MASTER
NEGA TIVE
NO. 92-80639-12
MICROFILMED 1 992
COLUMBIA UNIVERSITY LIBRARIES/NEW YORK
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AU THOR:
JUNGHANS, WILHELM
TITLE:
GESCHICHTE DER
FRANKISCHEN KONIGE
PLACE:
GOTTINGEN
DA TE :
1857
COLUMBIA UNIVERSITY LIBRARIES
PRESERVATION DEPARTMENT
Master Negative #
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BIBLIOGRAPHIC MICROFORM TARGET
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. 943.02
|J95
Junghans, Wilhelm, 183^1865.
Die geschieht« der fränkischen könige Childerich und Chlo-
dovech, kritisch untersucht von Wilhehn Junghans ... Göt-
tingen, Vandenhoeck und Ruprecht, 1857.
152 p. 21-.
1. Eranks— Ilist.— To 768. 2. C^ilderIc i, king of the Franks, d. 481.
3. Clovls, king of the Franks, 466-511.
Library of Congress
{Füll name: Karl August Wilhelm Junghansj
24—14245
( ) DC67.J8
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DIE GESCHICHTE
DER
F R Ä N K I S C H E X K Ö N 1 (} E
CHILDERICH und CHLODOVECH,
KlüTISCH UNTEKSÜCHT
VON
WILHELM JUNGHANS
Dr. piiiL.
►^>^KSM@o«>—
GÖTTINGEN,
YAMDENHOECK UND RUPRECHt's VERLAG.
1857.
1
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HERRN PROFESSOR
GEORG WAITZ
IN DANKBARER VEREHRUNG GEWIDMET.
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343185
Unter allen Gründungen deutscher Reiche auf rümischem
Boden während der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung ist
die des fränkischen Reiches die bedeutendste. Hier gelang
eine vollständige und gleichmässige Verschmelzung des Römi-
schen und Germjmischen ; hier gelang unter dem Einflüsse des
Christenthumes die Ausbildung eines Reiches, dessen Geschichte
für Europa von weitgreifendem Einflüsse war. Es ist Ghlodo-
vech, der König eines Theiles der salischen Franken, dem diese
Gründung gelingt; mit ihm beginnt die Geschichte des frän-
kischen Reiches in Gallien. lieber die Zeiten vor ihm sind
wir nur sehr unvollkommen unterrichtet. Sicherere Kunde frei-
lich haben wir über die ältesten Zustände der salischen
Franken aus dem salischen Gesetze, doch über die äussere
Geschichte des Stammes wissen wir nur, dass er, nachdem er
unter Julian in Toxandrien feste Wohnsitze gewonnen , all-
mählich sich weiter nach Süden ausbreitete, bis Chlojo, Gam-
brai und die Gebiete bis zur Somme durch Waffengewalt er-
oberte. Erst für die Zeiten von Ghlodovechs Vater und Vor-
gänger in der Herrschaft Childerich sind unsere Quellen rei-
cher an Nachrichten; mit ihm beginnen wir unsere Untersu-
chungen.
Die sagenhaften und geschichtlichen Tleberlieferungen
über Childerich.
Unsere Hauptquelle Gregor i) nennt Childerich den Sohn
Merovechs, welcher nach einigen Nachrichten zu Ghlojos Ge-
schlecht gehörte : er war sonach ein Mitglied jener ersten und
M Gregor von Tours in der Historia eccl. Francorum 11,9. De huius
(Chlogionis) slirpe quidam Merovechum regem fuisse adserunt , cuius
Tuit filius Childericus.
6
adlicheren Familie '), aus welcher die salischen Franken, nach-
dem sie den Rhein überschritten, ihre Könige wählten.
Unsere Nachrichten über Ghilderichs Leben und Thaten in
den fränkischen Quellen, Gregor, den Gesta regum Francorum,
sodann der sogenannten Historia epitomata Fredegars 2) zerfallen
in zwei Hauptmassen von durchaus verschiedenem Gharacter:
einen weitläuftigeren Bericht über die Anfänge seiner Regierung
und kurze, anscheinend zusammenhangslose Notizen über Ereig-
nisse, welche man, da sie später berichtet werden, auch auf
eine spätere Zeit beziehen wird. Diese beiden Hauptmassen
unterscheiden sich auch in Bezug auf das Verhältnis der späteren
Quellen zu Gregor. Während dieselben bei der ersten reich-
haltiger sind als Gregor , fügen sie bei der zweiten Nichts
hinzu, sie lassen Einzelnes weg, oder verändern die Ordnung,
in welcher Gregor die Ereignisse berichtet. Dies Verhältnis
ist wichtig für die Kritik.
Wir wenden uns zur ersten Hauptmasse. Gregor erzählt
folgendermassen 3) : ,jDa Ghilderich über das Frankenvolk
herrschte, begann er, unmässiger Wollust ergeben, die Fran-
kentöchter zu schänden. Die Franken, aufgebracht darüber,
stossen ihn vom Throne. Da er aber erfahren, dass sie ihn
sogar töten wollten, eilte er nach dem Thoringerlande ; er lässt
daheim einen vertrauten Freund zurück, damit er mit milden
Worten die Gemüther der aufgebrachten Männer besänftige.
Er giebt ihm ein Zeichen an, um zu wissen, wann er in sein
Vaterland zurückkehren könne : sie Iheilten nämlich zusam-
men ein Goldstück , den einen Theil nahm Ghilderich mit sich,
den andern behielt Ghilderichs Freund. „Wenn ich dir*S
sagte er, „diesen Theil sende, und beide Theile verbunden
ein Goldstück ausmachen, dann kannst du unbesorgt in dein
Vaterland zurückkehren." So ging er denn von dannen
nach dem Thoringerlande und hielt sich dort beim Könige
I
1) de prima et ut ita dicam nobiiiori suorum familia, wie Gregor
II, 9 sagt.
^) Bei Bouquet rerum Gall. et Francic. Scriptores 11 ; Rorico, Aimoin
und die Chroniques de St. Denis kommen nalUriich nicht in Betracht, b.
Bouquet a. a. 0. III.
•*) Greg. II, 12; ich folge fast überall Löbell, Gregor von Tourj» und
seine Zeit p. 334.
Bisinus und seiner Gattin Basina verborgen. Die Franken
wählen nach Ghilderichs Entthronung Aegidius , den vom rö-
mischen Staate gesandten Heermeister i) einstimmig zum
Könige. Als dieser im achten Jahre über die Franken herrscht,
sendet jener treue Freund, nachdem er die Franken heimlich
versöhnt hat, Boten zu Ghilderich mit der Hälfte des zertheil-
ten Goldstückes , welche er zurückbehalten. Als so Ghilderich
ein sicheres Zeichen sah, dass er von den Franken zurück-
gewünscht werde, zumal da die Franken auch selbst baten,
kehrte er vom Thoringerlande zurück und ward in sein
Reich wiedereingesetzt. Da diese nun zusammen herrschten "),
kam jene Basina, von welcher oben gesprochen ward, nach-
dem sie ihren Mann verlassen, zum Ghilderich. Als dieser
besorgt fragte , weshalb sie aus so weiter Entfernung 3) zu
ihm komme, soll sie geantwortet haben: „Ich habe deine
Tüchtigkeit erkannt, dass du sehr rüstig bist. Deshalb bin
ich hergekommen, um mit dir zusammenzuleben; denn wisse,
wenn ich jenseits des Meeres Jemanden kennte , tüchtiger als
du bist, so würde ich gewiss nach der Verbindung mit ihm
gestrebt haben." Ghilderich nahm sie fröhlich auf und ver-
band sie sich als Weib. Sie empfing und gebar einen Sohn
und nannte seinen Namen Ghlodovech. Dieser war gewaltig
und ein ausgezeichneter Kämpfer."
Für unsere beiden späteren Quellen die Gesta und die Histo-
ria epitomata bildet Gregors Bericht die Grundlage % Die Hand-
lung entwickelt sich auch hier nach den vier Hauptmomenten,
Entthronung und Flucht, Aufenthalt in der Fremde und Ver-
hältnisse daheim, Rückkehr, Vermählung und Geburt Ghlodo-
vechs. Allein es finden sich in der Ausführung des Einzelnen,
wie in der Auffassung des Ganzen, so bedeutende Abweichun-
gen von Gregor, dass wir beide Berichte neben ihm als
\
») So darf man doch wohl „magister militum" übersetzen.
2) Bis ergo regnantibus simul, Basina . . relicto viro suo ad
Childericum veoit. Löbell p 542 hat mit Recht die regnanles als Ghil-
derich und BiSinus, nicht als Ghilderich und Aegidiu» gefasst, wie noch
Giesebrecht in der üeberselzung Gregors I, p. 73. n. 5.
3) de lanta regione ; Löbell übersetzt „aus einem so grossen Reiche."
*) Siehe die üebersicht des Inhaltes im Anhange.
i
selbstäudig anerkennen müssen. In beiden tritt uns i^rössere
Ausführlichkeit entgegen, am meisten in der Historia epitomata,
weniger in den Gesta. Diese schliessen sich im Ganzen noch
sehr eng an Gregor an: die sachlichen Abweichungen sind
nicht sehr bedeutend, oft stimmt auch die Form wörtHch mit
Gregor überein. Doch zeigen sich trotzdem EigenthümHchkei-
len in Form und Auffassung : das epische Element kommt zur
Geltung in Reden und Gegenreden, in überlegter Wahl der
Epitheta i); es zeigt sich ein Streben, zu individualisiren. bei
Gregor ünverbundenes zu motiviren und verknüpfen 2) ; eine
gewisse Neigung zu moralisiren 3) . Abneigung gegen die Rö-
mer treten unverkennbar hervor 4).
Der Rericht der Historia epitomata bietet nicht so cha-
racterislische Eigenthümlichkeiten. Die sachlichen Abweichun-
gen von Gregor sind zahlreicher, die Ausführung des Einzel-
nen, bei Gregor nur Angedeutelen ist glcichmässiger, überleg-
ter als in den Gesta , und daher ist die Darstellung abgerun-
deter, einheitlicher geworden. Eine nicht unbedeutende Kunst
tritt auch in der Motivirung hervor. Das qusche Element ge-
winnt hier seine volle Ausbildung in Reden und Gegenreden.
Ein poetisches Moment von grosser Schönheit und Kraft ist
die Vision, welche Ghilderich als Begründer des neuen Königs-
hauses in der keusch verlebten Flochzeitsnacht das tragische
Geschick seines Geschlechtes, nach einer kurzen Zeit des Glan-
zes tiefer und tiefer zu sinken, vorher verkündet. Bemerkens-
werth ist, dass das Auge der burgundischen Quelle sich nach
<lem fernen Osten, nach Gonstanlinopel richtet: freilich ist die
i
4
') Childerich als „ulilis atqiie strenuus" dem Aegidius als „cru-
delis, iratiis atque superbus" gegenübergestellt.
'^) Wenn Ghilderich im Thoringoriande mit Basina Ehebruch treibt,
so dient dies, zu erklären, weshalb sie ihren iMann verlässl und Ghilderich
folgl. In eben diesem Sinne wird auch Wiomads Thiitigkeit, die Franken
zu versöhnen, hervorgehoben und Aegidius Entthronung hinzugefügt;
durch beides wird Ghilderichs Rückkehr möglich.
^) tenentes consilium non bonum nimisque inutile atque absurdum ; —
sine consilio hoc fecistis , non bene sed male hoc egistis — als ür-
Iheile über Ghilderichs Entthronung.
*) siehe n. 1 ; dann Wiomads Worte „non reminiscimini nee rccorda-
tis qualiter cjecorunt Romani gentem vestram de terra eorum"?
9
Bekanntschaft mit den dortigen Verhältnissen nur eine unvoll-
kommene 1).
Es wird die Frage entstehen, dürfen wir diese beiden Be-
richte als willkommenes historisches Material zur Ergänzung
von Gregors einfacherem Berichte benutzen 2) ? Die Antwort
kann nur nein sein. Die beiden Quellen spinnen mehr aus,
als dass sie ergänzen; was Neues hinzugefügt wird, trägt durch-
aus den Character des Unhistorischen an sich 3). Wir sehen
sie also an als freiere, poetische Fortbildungen des bei Gregor
überiieferten Stoffes. Die Schriftsteller der Historia epitomata
und der Gesta mögen immerhin ihren Berichten die Form gege-
ben haben , in welcher wir sie bei ihnen finden : doch leidet
es bei dem Character derselben wohl keinen Zweifel, dass sie
im Ganzen der Volksüberlieferung ihrer Zeit über diese Vor-
gänge gefolgt sind, dass also dieser, was wir als Fortbildung
und Abweichung Gregor gegenüber bezeichneten, angehört.
Für die Kritik Gregors kommen daher diese beiden Berichte
nicht in Betracht: er muss aus sich selbst beurtheilt werden.
Es fragt sich, dürfen wir seinen Bericht*) als einen streng
historischen ansehen? Formale und sachliche, Gründe sind da-
gegen. Was die sachlichen Gründe betrifft, so darf man nicht
verkennen, dass sich bedeutende ünwahrscheinlichkeiten finden,
.ledenfalls hat es etwas sehr Befremdendes, dass die Franken
den Römer Aegidius zu ihrem Könige machten. Das ist ge-
gen alle deutsche Sitte und bis jetzt genügend noch nicht er-
klärt 5). Weshalb zogen es die Franken nicht vor, einen an-
•) s. im Anhang.
") Fauriels Ansicht Histoire de la Gai^lemeridionale I, 273, Gre-
gor habe ausgeführtere Berichte auf das Mass dessen beschränkt, was
er gebe, steht in der Luft.
^) Petigny 6tudes sur l' cpoque merovingienne II, 169 ff. 195 ff.
hat viel aus diesen spätem Beriehten aufgenommen.
*) Gregor selbst gebraucht einmal „fertur", er stellt sich also mit
Bewusstsein seiner Quelle gegenüber.
5) Fauriel I, 275 meint, so viel sei Aegidius Ränken gelungen; Löbell
p.538 lässt nach Vertreibung des Ghilderich die Franken ohne König dem
Aegidius sich anschliessen, welcher so als Anführer der Franken fast wie
ihr König erschienen sei. Ob man in dieser Weise die Quelle umdeu-
ten darf, unterliegt doch Bedenken.
10
11
i
deren König aus der kÖniglichenFamilie zu nehmen: wussten
sie, dass Childerich so bald zurückkehren werde ? Childerichs
Rückkehr selbst, nachdem die Franken besänftigt sind, erklärt
sich nicht so leicht »), auch Basinas mit Childerichs Aufent-
halt im Thoringerlande verknüpfte Ankunft trägt nicht den
Charakter eines geschichtlichen Ereignisses an sich. Frei-
lich wird man diese Bedenken für subjectiv erklären können
und für ungenügend , zu erweisen , dass Gregor hier einer
Quelle folge, welche zu den historischen nicht zu rechnen sei.
Doch treten formale Kennzeichen des sagenhaften Berichtes
hinzu. Wir finden auch hier epische Breite , Eingehen ins
Einzelne, ausgeführte Heden, jene characteristischen Eigenthüm-
lichkeiten, welche wir an den späteren, unter dem Einflüsse
der Volksüberlieferung ausgebildeten Quellen bemerkten. Und
diese EigenthümUchkeiten müssen bei diesem Theile unse-
rer Ueberlieferungen über Childerich um so mehr aulTallen,
als die zweite Hauptmasse sie nicht theilt. Hier Unbestimmt-
heit, aber Verweilen beim persönlichen Verhältnisse, wie es
die Sage liebt, dort die äussere Begebenheit in scharfen, kur-
zen Umrissen ohne alle Ausführung 2). Es unterliegt also wohl
keinem Zweifel , auch Gregor hat hier aus einem alten Liede
geschöpft, wie es zu seiner Zeit im Munde des Volkes lebte 3).
Die lateinische Form hatdiechfirakteristischen EigenlhümHchkeiten
nicht verwischen können. Das Lied schliesst ab mit Chlodovechs
Geburt, mit einer Hinweisung auf seinen künftigen Ruhm ^) :
so werden wir nicht irren, wenn wir Gregors Bericht als ein
zu seiner Zeit im Munde des fränkischen Volkes lebendes Lied
über Chlodovechs Geburt autfassen. Gregor hat es, ohne eben
') Fauriel I, 2^{) hat oine irgend welchen Anhalt Childerichs Ilück-
kebr und das Vordringen der ripuarischen Franken gegen Trier combi-
nirt; Löbell p. 541 begnügt sich zu sagen, der Zustand sei unhaltbar ge-
worden. — Die spätem Berichte lassen Kämpfe mit Aegidius eintreten, oder
Aegidius von den Franken entthront werden.
*) Löbell p. 538.
^) Waitz , deutsche Verfassungeschichte 11 , 38. n. 4 ; ähnlich Gie-
sebrecht a. a. 0. p. 74. n. L, auch Luden 11, 446 meinte schon, Gregor
sei „Sagen und Märchen** gefolgt.
*) Hie (Chlodovechus) fuit magnus et pugnator egregius. Dies bil-
det, abgesehen von kleinen Abweichungen, in allen spätem Berichten
namentlich in der Hist. epit. und den Gesla ebenfalls den Schluss.
i
\
1
Kritik zu üben, aufgenommen; er sammelte seinen Stoff, wo er
ihn fand. Nun unterliegt es aber keinem Zweifel, dass die alt-
deutsche Religion und Mythologie auf die Ausbildung solcher
Lieder Einfluss übten, und daher muss Gregors Bericht, der
fränkischen Volkssage seiner Zeit entnommen, auch nach den
Grundsätzen der Sagenkritik geprüft sein, bevor wir seinen
Inhalt ganz, oder zum Theil in die Geschichte aufnehmen.
Die Erzählung von der Flucht und Rückkehr Childerichs
hat in mehreren Puncten grosse AehnUchkeit mit einer Reihe
von UeberHeferungen, welche sich in allen Gegenden Deutsch-
lands im Volksmunde erhalten haben und als ein Wuotans-
mythus erkannt sind, welcher an bedeutende geschichtliche
Persönlichkeiten, gefeierte Könige, Fürsten und Helden beson-
ders gern noch in verhältnismässig später Zeit angeknüpft ist »).
Freilich das in den meisten der bezeichneten Ueberlieferungen
hervortretende und für den Wuotansmythus characteristische
Moment, dass der in den Osten fahrende Held oder König ver-
heirathet ist, dass in seiner Abwesenheit sein Weib mit einem
andern buhlt, fehlt hier. Doch auch hier fährt Childerich
vertrieben in den Osten ins Thoringerland «):' während seiner
Abwesenheit herrscht ein Anderer 3). Acht Jahre ist Childe-
derich abwesend; dann kehrt er zurück, gerufen von einem
Freunde. Das Symbol des getheilten Goldstückes spielt im
wesentlichen hier dieselbe Rolle, wie in den bezeichneten
Ueberlieferungen der getheilte Ring. Was den zweiten Theil
des Liedes, die Vermählung mit der Basina anlangt, so kann
man zweifeln, ob man sie mit der Wiedervereinigung des zu-
rückgekehrten Helden und seiner Gattin, von welcher derselbe
') Müller die Fahrt in den Osten, in Schambach und Müller nieder-
sächs. Sagen und Märchen p. 389 ff.
■^) Meint das Lied die Thoringer am westlichen Rheinufer, so flieht
Childerich von Tournai aus nach Nordosten, vgl. Waitz, das alte Recht
der sal. Franken p. 48 ff. Man sieht, dass Childerichs Aufenthalt im
fernen Constantinopel in der Historia epitomata ganz im Geiste der Sage
gedichtet ist.
^) Dass dies in der Sage Aegidius ist, kann nicht auffällen, da die
salischen Franken Childerichs in jener Zeit unter römischer Hobheit stan-
den. Die Erinnerung daran ist eben in diesem Zuge unseres Liedes er-
halten, vgl. Giesebrecht a. a. 0. I, 73. n. 4.
n
13
getieont gewesen, zusaniinenstelleü darf. Dass die Ehe auch
an und für sich nicht allein im Liede von Chlodovechs Geburt
ihre Bedeutung hat, beweist die Historia epitomata, wo jene Vi-
sion sich anknüpft. Ob grade ein Wuotansmythus auch hier an
geschichtliche Personen und Verhaltnisse sich angelehnt hat,
zu untersuchen, ist jetzt der Ort nicht. Es genügt für unseren
Zweck, darauf hingewiesen zu haben, dass was wir vorn histo-
rischen Standpuncte aus als unwahrscheinlich, ungeschichtlich
bezeichnen mussten, für die Sage volle Berechtigung gewinnt,
und in ihr eine Erklärung findet.
In der Geschichte kann also dieser erste Theil unserer
üeberlieferungen von Ghilderich auch nicht einmal in dem
Umfange Berücksichtigung finden , wie es bei vorsichtigeren
Forschern geschehen ist. Die Vertreibung und Rückkehr Chil-
derichs, das Königthum des Aegidius gehören der beglaubig-
ten Geschichte nicht an. Auch das Verhältniss Childerichs zum
Thoringerkönige Bisinus, welcher in der That eine geschicht-
liche Person zu sein scheint '), bleibt dunkel; ebenso wenig
können wir sagen, auf welche Weise Basina Childerichs Weib,
Chlodovechs Mutter geworden ist. Denn, dass die Basina, von
welcher das Lied spricht, wirklich Chlodovechs Mutter ist, be-
zweifeln wir nicht; es ist undenkbar, dass, wenn der Na-
me einmal überliefert ward, ein falscher Name eindrang, und
ebenso undenkbar, dass man schon zu Gregors Zeiten den
Namen von Chlodovechs Mutter nicht mehr gewusst haben
sollte.
Wir kommen zum zweiten Theile unserer Üeberlieferungen
von Ghilderich 2). Gregor folgt hier offenbar römischen Quel-
len. Die Kürze und Präcision, mit welcher die einzelnen Er-
') Die V. Radegundis Acta SS. Ord. S. Bened. saec. I. p. 319.
(Bouquet a. a. 0. III. p. 45(>^ nennt einen König Basinus als Grossva-
ter der Radegundis, welche Chlodovechs Sohn Chlothar heiratete. Bea-
tissiroa igitur Radegundis, natione barbara , de regione Thoringa avo
rege Bassino . patruo Hertnenfrido , patre rege Berethario. — Auch das
Edictura Rotharis regis bei Neigebauer Edicta regum Langobardorum p. 2.
c. 5 erwähnt einen König des Namens: Wacho habuit uxores tres, una
Ratecunda filia Pisen regis Thuringorum.
*) Greg. II, 18.19. Die Hist. epit. hat Gregor arg verstümmelt; die
Gestu ^eben Gregor ebenfalls nicht genau wieder.
i
eignisse hervorgehoben werden , stimmen ganz überein mit
dem Stile der lateinischen Annalen dieser Zeit. Solchen Quel-
len entlehnt Gregor seine Nachrichten wörtlich, wie es scheint ^);
leider hat er die Angaben der Jahre weggelassen 2). Planlos
sind die Nachrichten nicht zusanimengestellt, wir können drei
grössere Abschnitte unterscheiden, welche durch das Fehlen je-
der Verbindungspartikel oder sonstigen Anknüpfung deutlich be-
zeichnet sind 3). So behandeln wir jeden dieser Abschnitte für sich.
Der erste Abschnitt "*) zerfällt in Ereignisse vor und nach
Aegidius Tode, welcher im Jahre 464 erfolgte 5). Bei Gregor
wird zuerst ein Kampf Childefrichs bei Orleans erwähnt. Eine
nähere Bestimmung ergiebt sich aus zwei von einander unab-
hängigen Berichten lateinischer Annalisten über Ereignisse des
Jahres 463 6). Sie berichten von einem Zuge der Westgothen
unter Friederich, dem Bruder des westgothischen Königs Theo-
derich, gegen Aegidius, in welchem Friederich Sieg und Leben
verliert. Dieses Zusammentreffen fand nach der einen Quelle
statt in der armorikanischen Provinz; die andre giebt genauer
Orleans als den Ort an, welches zur armorikanischen Provinz
gehört. Ein anderes Ereigniss kann hier Gregor schwerlich
im Auge haben '). Freilich wissen wir nicht, ob Ghilderich
') Löbell p. 544 billigt Dubos Ansicht , Inhaltsanzeigen seien hier
aneinandergereiht, doch diese Annahme ist nicht nothwendig. Heber die
Erklärung s. auch Giesebrecht a. a. 0. I, 77.
2) Ein Rest ist wohl c. 19 Eo anno mense nono . . .
^) Die Anfangsworte der drei Abschnitte sind : Igitur Childericus . . .,
Britanni de Biturica . . . , Adovacrius cum Childerico ....
*) Igitur Childericus Aurelianis pugnas egit. Adovacrius vero cum
Saxonibus Andegavos venil. Magna tunc lues populum devastavit. Mor-
tuus est autem Aegidius et reliquit filium, Syagrium nomine. Quo de-
functo, Adovacrius de Andegavis et aliis locis. obsides accepit.
^) Idatius bei Roncallius vetustiora Latinorum Chronica 11, p. 49 Ae-
gidius moritur alii dicunt insidiis, alii veneno deceptus.
'*) Idatius bei Roncallius II, p. 47. Adversus Aegidium comitem utri-
usque militiae, virum ut fama commendat Deo bonis operibus complacen-
lem, in Armoricana provincia Fretericus trater Theuderici regis insurgens,
cum his cum quibus fuerat superatus occiditur.
Marius bei Roncallius II, p. 403 Basilio et Bibiano (463). His
coss. pugna facta est inter Aegidium et Gothos inter Ligere et Ligeri-
cinum iuxta Aurelianis ibique interfectus est Fredericus rex Gothorum.
') Darauf hat Dubos, histoire critique de l'^tablissement de la mo-
nnni-i
II'
M
14
als Feind oder als Freund der Römer bei Orleans erschien '),
doch ist das Letzlere wahrscheinlicher 2). Ghilderich kämpfte
also zu Orleans als Bundesgenosse des Aegidius siegreich ge-
gen die Westgothen.
Als ein gleichzeitiges Ereignis wird die Ankunft von Sach-
sen unter Adovakrius 3) vor Angers genannt. Ob sie zu Lande,
oder zur See kamen , wissen wir nicht 4). Angers liegt an
der Mündung eines Nebenflusses der Loire. Bis dahin war
die Loire für die kleinen Schiffe der Sachsen gewiss tief ge-
nug. So würde ihr Auftreten in diesen Gegenden in Zusam-
menhang erscheinen mit der Rolle, welche sie als kühne See-
fahrer in jener Zeit überhaupt spielen. Gemeinsamkeit des
Handelns mit den Westgothen lässt sich aus der Gleichzeitig-
keit ihrer Ankunft mit dem Zuge der Westgothen nicht fol-
gern 5) : ebenso wenig wissen wir, ob Ricimer, Aegidius Feind,
den Sachsenführer gegen Aegidius angestiftet hat ^).
Gregors Quelle erwähnt nun Aegidius Tod, vorher, dass
eine gewaltige Seuche das Land verheert. Aegidius ward
durch sie nicht hingerafft: er starb durch hinterlistige Nach-
stellungen oder Gift '). Er hinterliess einen Sohn mit Namen
Syagrius, welchen wir späterhin im Besitze von Soissons finden
werden. Dass Aegidius Tod auf den Stand der Dinge in Gal-
lien nicht ohne Einfluss bHeb, sehen wir aus den folgenden
Ereignissen : die Römer müssen w^eichen , wo sie bei Aegidius
Lebzeiten Widerstand geleistet haben. Der Sachsenführer Ado-
vakrius empfängt nach Aegidius Tode Geiseln von Angers und
andern Orten. Diese Nachricht dürfen wir doch unbedenklich
mit dem Vorigen verbinden : wir sehen, der Sachsenführer er-
reicht hier seinen Zweck; das Land verlässt er nicht.
narchie frangalse L. III , 8 zuerst aufmerksam gemacht ; auch Löbell
p. 545 stimmt bei.
') feindlich fassen Childerichs Ankunft die Gesta c. 8. '
>) Löbell a. a. 0.
3) Die Hist. epit. nennt ihn rex, die Gesta nennen ihn dux: Gre-
gors Quelle vermeidet jede Bezeichnung.
*) Die zweite Auffassung geben die Gesta.
^) so Dubos a. a. 0.
^) Löbell p. 545.
s. oben p. 13. n. 5.
«
Im zweiten Abschnitte ») linden wir ein Fortgehen dersel-
ben Bestrebungen bei Westgothen und Sachsen. Die Westgo-
then suchen, nach Norden vordrängend , die Loire zur Gränze
ihres Reiches zu machen; die Sachsen, so scheint es, wollen in
Anders festen Fuss fassen; beiden Bestrebungen gegenüber
behaupten sich mit fränkischer Hülfe die Römer. Den West-
gothen gelingt es, die Britannen aus der Gegend von Bour-
oes zu vertreiben, viele fallen bei Dole, wo es zum Zusammen-
treffen kam. Dass diese Britannen aus Armorika, wie es scheint,
bei Bourges von Anthemius zum Schutze der römischen
Gränze 12000 an der Zahl unter ihrem Könige Riothimus
angesiedelt waren, wissen wir aus einer andern Quelle: aus
derselben erfahren wir, dass Eurich selbst gegen sie siegreich
kämpfte 2). Gregors Quelle erzählt dann weiter, dass der Graf
Paulus mit Römern und Franken die Westgothen bekämpft,
Beute macht. Ghilderich wird bei diesem Unternehmen nicht
genannt : ob er Antheil nahm , muss ungewiss bleiben 3). Die
Auffassung des Folgenden ist schwierig; die Worte der Quelle
lauten : „Da Adovakrius nach Angers kommt, kommt Ghilderich
am folgenden Tage an und nimmt nach Paulus Tode die Stadt
ein. An diesem Tage verbrennt das Gemeindehaus *)." Wir
haben es hier mit einem neuen Versuche der Sachsen gegen
Angers zu thun. Der Zusammenhang des Ganzen ist, voraus-
gesetzt, dass das Unternehmen des Paulus gegen die Westgo-
then und Adovakrius Zug gegen Angers nicht zu weit in der
') Britanni de Biturica a Gothis expulsi sunt multis apud Dolensem
\icum peremtis. Paulus vero comes cum Romanis ac Francis Gothis
bella intulit et praedas egit. Veniente vero Adovacrio Andegavis, Chil-
dericus rex sequenti die advenit, interemtoque Paulo comite civitatem
obtinuiU Magno ea die incendio domus ecclesiae concremata est. His
itaque gestis , inter Saxones atque Romanos bellum gestum est : sed
Saxones terga vertentes multos de suis, Romanis insequentibus , gladio
reliquerunt: insulae eorum cum multo populo interemto a Francis captae
atque subversae sunt. Eo anno mense nono terra tremuit.
^) Jordanis de rebus Geticis c. 45.
^) Löbell lasst Ghilderich Antheü nehmen : er scheint dies aus
dem gemeinsamen Auftreten der Römer unter Paulus und der Franken
unter Ghilderich bei Angers zu folgern.
^) üeber die Erklärung der Stelle siehe Löbell p. 547. Auch P6-
tigny II, 236 stimmt bei.
16
Zeit auseinander liegen '), wohl dieser: Adovakrius, welcher
die romische Macht gegen die Westgothen t)eschäftigt sieht 2).
zieht gegen Angers, augenscheinhch, um der Stadt sich durch
einen Handstreich zu bemächtigen. Doch Childerich erscheint
einen Tag später , auch die Homer unter Paulus sind da ; es
kdmmt zu einem Zusammentreffen, Graf Paulus fällt gegen die
Sachsen, Childerich behauptet die Stadt gegen Adovakrius.
Darauf entsteht nach unserer Quelle Krieg zwischen den Rei-
ner^ und den Sachsen, die Sachsen wenden sich zur Flucht,
\oii den Römern verfolgt, viele von ihnen fallen; ihre In-
seln , deren Lage ungewiss ist 3) , w erden von den Franken
erobert und unterworfen mit grossem Verluste der Sachsen.
Auch hier ist Childerich nicht genannt. In diesem Jahre ist
im Monat September ein Erdbeben.
Im dritten Abschnitte endlich berichtet Gregor, dass Ado-
vakrius mit dem Childerich ein fiündnis geschlossen und die
Alamannen , welche einen Theil Itahens durchzogen hatten,
unterworfen habe. Diese letzte Nachricht steht ganz ausser
allem Zusammenhange da *) ; doch haben wir kein Recht sie
deshalb zu bezweifeln, weil unsere Kenntniss nicht ausreicht, sie
zu erklären. Die Sachsen unter Adovakrius scheinen danach
doch in Gallien irgendwie festen Fuss gefasst zu haben.
So weit reichen Gregors Nachrichten über Childerich. Aus
der einen Hälfte konnten wir bestimmte historische Kunde nicht
gewinnen; unschätzbar sind für uns trotz ihrer Vereinzelung
die Nachrichten, welche die andere Hälfte uns darbietet. Was
wir für Childerichs Geschichte hier finden, ist Folgendes. Childe-
rich bekämpft mit Aegidius im Jahre 463 siegreich die Westgo-
then, er weist den Angriff eines Sachsenhäuptlings auf Angers
in Verbindung mit einem römischen Heerführer Paulus zurück ;
nach dem Tode desselben behauptet er im Interesse der Rö-
mer die Stadt. Endlich unternimmt er gemeinsam mit dem
') Dieser AufTassuog ist offenbar die Partikel vero günstig.
*) Löbell bezeichnet Adovakrius als Bundesgenossen der Westgothen.
3) Löbell p. 548 denkt an die Veneticae insulae an der Südküste
der Bretagne. Man könnte auch an Inseln in der Loiremündung denken.
*) Luden II, 599 freilich hält unsern Adovakrius für denselben
Odovakar , welcher dem römischen Reich ein Ende machte ; Dubos III,
16 verliert sich in anmuthigen Phantasieen.
17
Sachsenhäuptling einen Zug gegen die Alamannen. Franken
finden wir ausserdem noch einmal mit Römern gemeinschafthch
unter jenem römischen Führer Paulus gegen die Westgothen
beschäftigt: allein unterwerfen sie die Inseln der Sachsen, als
schon die Römer über die Sachsen, ohne Zweifel dieselben, de-
nen Childerich bei Angers entgegen trat, einen Sieg errungen
haben. In den beiden letzten Fällen ist Childerichs Theilnahme
nicht erwähnt.
So bietet Childerich in den Landen nördüch der Loi-?
dem sinkenden Römerthume hülfreiche Hand gegen die An-
griffe von Deutschen : er allein erscheint als ein Freund des Rö-
merthums. Daher dürfen wir uns auch nicht wundern, wenn
Childerich, der heidnische Frankenkönig, der katholischen Re-
ligion eher freundlich, als feindlich gegenüber steht. Ein Hei-
ligenleben •) rühmt die Ehrfurcht, welche er einer gottgeweih-
ten Jungfrau, der Genovefa, erwiesen. Einst habe er, um zu
verhindern, dass Genovefa Gefangene, denen er den Tod be-
stimmt, ihm entreisse, herausziehend aus der Stadt Paris die
Thore schliessen lassen. Doch Genovefa erfährt die Absicht
des Königs: sie eilt, die Gefangenen dem Tode zu entreissen.
Das Stadtthor öffnet sich ihr: sie erlangt beim Könige ihre
Absicht. Wenn uns diese Nachricht schon ein gutes Einver-
nehmen mit der kathoHschen Religion zeigt, so beweist uns
eine andere Nachricht noch mehr 2). In der Umgegend von
Langres hat sicli der Schrecken des fränkischen Namens ver-
breitet, alle wünschen sehnlich, ihnen möge die Herrscliaft zu-
fallen. Dass man hier an die safischen Franken Childerichs
zu denken hat, unteriiegt wohl keinem Zweifel. Kathofische
') V. Genovefae Bouquel III, 370. Cum esset insignis Hildericus,
Francorum rex, veneralionem qua eam dilexit effari nequeo; adeo ul
vice quadarn . ne vinclos quos inleriniere cogitabal Genovefa abriperet,
egrediens iirbem Parisiorum portam elaudi praecepent. At ubi ad Ge-
novefam per (idum internuntium regis deliberatio pervenit, confestim
ad liberandas animas proporans . iter direxit. Non minimum admirantis
populi fuit speclaculum quemadmodum se porla civitatis inter raanus
eius sine clave reseravit. .Sicque regem consecuta, ne vinctorum capita
amputarentur, obtinuit.
*) Greg. II, 2:^ Interea cum iam lerror Francorum resonaret in his
partibus, et omnes pos amore desiderabili cuperent regnare.
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18
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Romanen unter der Herrschaft eines arianischen Burgunderkö-
nigs wenden ihre Blicke auf das deutsche Volk, welches dem
von allen Seiten bedrängten Römerthume Hülfe geboten
hatte.
So sehen wir hier einen deutschen König in freundschaft-
lichen Beziehungen zu den Römern in Gallien. Es unterliegt
keinem Zweifel , dass diese Verbindung für Childerichs Stellung
von entscheidendem Einflüsse gew esen ist , doch muss man
sich hüten, ihre Bedeutung zu überschätzen. Es ist die An-
sicht aufgestellt •), nicht auf dem salischen Volkskönigthum be-
ruhe König Childerichs Macht, sondern auf dem Verhältnis, in
das Childerich zum Aegidius getreten sei. Früher der Aelteste
eines unbedeutenden deutschen Stammes, habe er im römi-
schen Dienste, als römischer Heeresfürst die Form gefunden,
von überall her herbeiströmende Genossen im Zaume zu
halten. Wenn auch gerade kein zusammenhängendes Terri-
torium oder Landabtretung in der Form der Hospitalität, so
doch eine Station unter römischer Hoheit in den Landen nörd-
lich der Loire 2) habe Childerich erlangt.
Was wir von Childerich wissen, reicht nicht aus, diese
Annahme zu beweisen. Als Bundesgenosse der römischen
Befehlshaber in den Gegenden nördlich der Loire, nicht als
römischer Beamter mit der Vertheidigung eines weiten Bezir-
kes beauftragt, bekämpft er Westgothen und Sachsen; Angers
besetzt er nach dem Tode des römischen Feldherrn im Interesse
der RÖhier: dass er die Stadt dauernd besetzt gehalten, wis-
sen wir nicht. Wenn Childerich nach der Heiligengeschichte
einmal bei seiner Anwesenheit in Paris offenbar auf einem
seiner Züge, welche ihn in jene Gegenden führten, die Thore
der Stadt schliessen lässt, so kann man daraus so wenig auf eine
amtliche, wie auf eine dauernde Machtstellung des fränkischen
Königs in jenen Gegenden schliessen. Wie endUch der Wunsch
der Bewohner von Langres, die Franken möchten anstatt der
burgundischen Arianer herrschen, zum Beweise dienen soll.
*) Sybel, Entstehung des deutschen Königtbums p. 179 — 184.
'') Leo Vorlesungen über deutsche Geschichte I, 313 IT. meint, sie
habe das Land zwischen Loire und Seine ostlich bis zur burgundischen
Qrttnze umfasit.
dass Childerich bereits in benachbarten Gauen seine Herrscher-
fähigkeit gezeigt, begreift man nicht i).
Eben so wenig aber findet eine ältere Ansicht, Childerich
habe nach Aegidius Tode das Amt des magister militum, wel-
ches allerdings auf Aegidius Sohn nicht übergegangen ist,
verwaltet, eine Bestätigung in unseren Quellen. Diese Ansiebt
konnte nur entstehen, da man annahm, Chlodovech. Childerichs
Sohn, habe dieses Amt verwaltet : doch diese Annahme ist eine
irrige '^). So lässt sich also aus Childerichs Auftreten in dem noch
römischen Theile Galliens, so weit wir dieses erkennen können,
nicht beweisen, dass seine Macht auf römischen Grundlagen
beruhe. Für jeden Unbefangenen muss vielmehr im Gegensatz
zu dieser Auffassung das Gaukönigthum als Grundlage von
Childerichs Macht erscheinen. Freilich umfasste dasselbe nicht
so grosse Strecken, wie jene Station unter römischer Oberhoheit,
mit der man Childerich ausstatten möchte; ja es ergiebt sich
aus der Geschichte Chlodovechs ^), dass in den Gebieten, wel-
che die salischen Franken eingenommen hatten, mehrere Gau-
königthümer bestanden. Dass der Sitz Childerichs Tournai
war, wissen wir, seitdem dort sein Grab aufgefunden worden
ist 4). Hier in den Gegenden , welche im Laufe der Zeit die
zweite Heimat seines Stammes geworden waren, herrschte Chil-
derich als König s) ; denn dass zu seiner Zeit das Königthum
noch einmal mit der Herrschaft der Volksgemeinde abgewech-
selt, lässt sich nicht erweisen 6), da die UeberHeferungen über
Childerichs Vertreibung und Flucht der beglaubigten Geschichte
nicht angehören. Für Childerich ist das Gaukönigthum der
feste Stülzpunct für alle seine Unternehmungen, zu denen er
Franken auch aus den ihm nicht unmittelbar untergebenen
Gebieten vereinigen mochte. An ihrer Spitze betheiligte er sich
an den Kämpfen und Bewegungen, welche damals Galhen er-
schütterten. Er stand hier zu den römischen Befehlshabern
') vgl. Sybel p. 182.
*) s. Waitz Vfg. rr, 39 n. 2; s. auch unten p. 2«. n. 4.
^) s. unten p. 20.
*) Chifflet, Anastasis Childerici regis.
'*) Hex wird er in allen Quellen genannt. Damit stimmt SybeU
Bezeichnung ,,Aeltester" wenig genug iiberein.
^) Löbell p. 549 folgert dies aus dem 12. Capitel Gregors.
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20
in dem loseren Verhältnisse eines Bundesgenossen. Die dem
Namen nach noch bestehende römische Oberhoheit bedeutete
wenig genug. "^
So hat Ghilderich zu dem fränkischen Gaukönigthume
die Verbindung mit dem römischen Statthalter des nördlichen
Galliens hinzugefügt, hülfreiche Hand bielend in der Stunde
der Gefahr. Diese Verbindung musste ihm die Schwäche der
römischen Herrschaft, besonders, seitdem Aegidius gestorben
war, deutlich genug gezeigt haben. Das sind die Grundlagen,
von welchen nach Childerichs Tode 481 ') sein Sohn Chlodo-
vech ausgeht.
Die Be^ündimg des fränkischen Kelches in üalil«3u
durch Chlodovech.
* •
1. Chlüdovechs Regi eruiigsau tritt. Stand der Dinge in
Gallien.
Als Ghilderich im Jahre 481 gestorben war, folgte ihm
zu Tournai sein Sohn Chlodovech erst fünfzehnjährig 2) in der
Herrschaft. Von einer Wahl zum Könige ist nicht die Rede,
nach Erbrecht herrscht er an der Stelle seines Vaters 3). Da
Ghilderich weder römischer magister mililum. noch in den Ge-
bieten nördlich der Loire Inhaber einer Station unter römi-
scher Hoheit war, ist auch kein Grund vorhanden, für Chlo-
dovech eine solche Stellung anzunehmen ^i. Chlodovech ist auf
•) tiesta c. 9. Eo tempore mortiius est Childericus re.x Kranconmi
regiiavitque aunos XXIV: danach hatte Childerichs Regierung 4.57 begon-
nen. Gregor hat diese Angabe nicht.
-) Greg. II, 43. r.hlodovech starb im fünften Jahre nach der Schlacht
beiVougle (507), also 511, er regierte 30 Jahre; seine Regierung begann
er also 481 und, da er 45jahrig starb, im 15. Jahre; er wäre sonach 466
geboren.
^) Gr. 11, 27. His ita gestis, mortuo Childerico. regnavit Chlodove
cbus filius eius pro eu.
*) Petigns U, 362 nach dem Vorgange Anderer hat zuletzt Tür Chlo-
21
das Gebiet seiner Herrschaft in den salfränkischen Landen be-
schränkt, über dies hinaus kann er eine amtliche Gewalt in
römischen Gebieten nicht in Anspruch nehmen ').
In den Landen, welche die salischen Franken cingenom-
inen halten^ seit ihnen .lulian Sitze in Toxandrien zugestanden
hatte, mehr und mehr gegen Süden sich ausbreitend, bis
Chlojo die Somme erreichte, bestanden zur Zeit Chlodovechs
noch mehrere selbständige Herischaften . welche wir als Gau-
königthümer passend bezeichnen können. Xamentlich wird
Ragnachar genannt, er hatte zu Cambrai seinen Sitz 2). Chlo-
dovech war or vervvandl. Ausserdem werden zwei Brüder
Ragnachars genannt Richar und Rignomir. Sie scheinen keine
eigenen Herrschaften besessen, vielmehr mit Ragnachar gemein-
schaftlich geheri^scht zu haben, doch so. tiass ihnen gegenüber
Ragnachar eine bevorrechtete Stellung einnahm 3). Dann wird
noch Chararich als Inhaber eines Königthums gonaünt, auch er
ist wohl Chlodovech verwandt, der Sitz seiner Herrschaft wird
nicht näher angegeben '). In späterer Zeit treten hier Flan-
dern , Hennegau . Brabanl ;ds bestin)m( gesonderte Gebiete
hervor: vielleicht entsprechen ihnen die drei Gaukönigthümer
Chararichs, Kagnachars, Chlodovechs. Ausserdem erwähnt noch
Gregor ^) viele andere Chlodovech ebenfalls verwandte Könige.
dovecii das Amt des mugister mililum in .Anspruch genommen, auch Leo.
Vmlesungen I, :^3** meint, Syagrius habe dem Chlodovech die Stellung
eines römischen (ienerals lassen müssen, vgl. Waitz Vfg. II, 43 n. 1
und unten im Aidiang über Remigius Briei.
') Petigny's Ansicht II, 379 Remigius habe lür Chlodovech Rheims,
t>halons imd die Städte der Belgica I, soweit sie den Ripuariern nicht
zugefallen gewesen, behauptet, steht demnach in der Luft.
■^) Gr. n. 42. Erat autem tunc Ragnacharius rex apud Caraaracum.
Gr. braucht öfter den Ausdruck parens, propinquus; Chlodovech bezeich-
net Ragnachar als zu seinem genus gehörig.
•*} vom 4tignomir heist es Gr. IF, 42 apud Cenomaunis . . . inter-
feclus est. Daraus geht nicht hervor, dass er dort eine Herrschaft gehabt
habe. Ob man aus Gregors VS'orten II, 27 quia et ipse regnum tene-
; bat, folgern darf , dass Ragnachar allein herrschte, muss unentschieden
bleiben.
*) (ir. II, 41. Dass Chararich Chlodovech verwandt war, wird nicht
ausdrücklich angegeben, doch folgt ihm Chlodovech ohne weiteres.
'') Gr. II, 42. Interfectisque et aliis multis regibus vel parentibu»
suis primis ...
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•ri;
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22
Ganz ohne Landbesitz können wir diese uns nicht denken.
So finden wir in den salischen Gebieten eine grosse Zersplit-
terung. Dass sie durch Theilung entstanden sei, ist eine blosse
Vermuthung *) : offenbar ist das Gaukönigthum, wie wir es bei
den salischen Franken in dieser Zeit finden, aus Fürstenherr-
schaft hervorgegangen; daher die grosse Anzahl kleiner Kö-
nigthümer. Zwischen diesen bestand kein näherer Zusammen-
hang: von einer Oberhoheit Chlodovechs findet] sich keine
Spur 2). Doch erscheint der Stamm der Salier, welchen er
beherrscht, als der bedeutendste.
Sehen wir auf die Lage Galliens um jene Zeit, so war
der Sturz des weströmischen Kaiserreiches von entscheidender
Bedeutung gewesen. Fm Jahre 476 war Odovakar zum Kö-
nige der Deutschen in Italien erhoben, im Jahre 480 war der
letzte Namenkaiser Nepos getödtet. So fiel die römische
Oberhoheit in Gallien ganz weg, denn der Einfluss des oströ-
mischen Kaisers bedeutete in dieser Zeit nichts. Odovakar
hat wohl keinen ernstlichen Versuch gemacht, in Gallien sich zu
behaupten, er war den italienischen Verhältnissen ganz zuge-
wandt 3). Die Ausbreitung der westgothischen Herrschaft im
südlichen Gallien bis an die Gränzen Italiens Hess er eesche-
hen. Doch bestand noch ein Rest römischer Herrschaft in Gal-
lien. Aegidius hatte bei seinem Tode 464 einen Sohn, den
Syagrius hinterlassen. In seiner amtlichen Stellung kann
. t
') Leo, Vorlesungen I, 335 denkt sich die Verwandtschaft so, dass
von einem Bruder Childerichs die Brüder Ragnachar, Richar , Rignomir
abstaroraen : Chararich findet in seiner Stammtafel keinen Platz , doch
auch dieser beherrschte Lande nördlich der Somme. Leo macht für
seine Ansicht die Voraussetzung, dass Chlojo das ganze salische Gebiet
beherrschte, was nicht bewiesen ist.
2) Petigny II, 373. Für den sie aus dem Amt des magistd militum,
welches er Chlodovech überträgt, folgt, muss sich das thatsächliche Feh-
len derselben aus gemindertem Ansehen des römischen Amtes erklären.
^) Candidus im Corpus Script. Hist. Byz. P.«l, p. 476. w? . . . VSoa-
xfO? ^Jtcdiaq nai avrrj<; ix^ärTjOf 'PeiftTfq Kai GraaiaGcivtoiv avröi tüiv Svo-
^tMftiy raXatoiv 6ta7t^iaßivoa/tivb)v ri avröiv xat ^()6oäAuov noix; Zrvuvct
X>(^oair^w ftdXXov 6 Zrjviav dnUhvtv deutet vielleicht auf einen ersten Ver-
such Odovakars. üeber die Ausbreitung der Westgotheu vgl. Procop,
de hello Goth. I, 12: über die Grunze gegen Burgund vgl. unten p. 24.
Syagrius dem Aegidius nicht gefolgt sein: das Amt des ma-
gister militum im nördlichen Gallien scheint überhaupt nicht
wieder besetzt zu sein. Mit dem Wegfallen der römischen
Oberhoheit musste Syngrius Gewalt einen territorialen Charak-
ter annehmen. Gregor sagt, zu Soissons, das einst Aegi-
dius inne gehabt, habe Syagrius seinen Sitz gehabt: er nennt
den Syagrius König der Römer *). Was man auch immer von
diesem Namen halten mag: Syagrius unabhängige Stellung ist
damit jedenfalls richtig bezeichnet. Die Gränze seines Reiches
war im Norden die Somme : hier berührte es sich mit den
Sitzen der salischen Franken; östlich gränzte es an die ripua-
rischen Franken 2j, deren Gebiet den Gau der Attuarier, den
untern Lauf der Mosel bis Trier jedenfalls umfasste: der obere
I^uf der Mosel, die Städte Toul, Verdun, Joine müssen dage-
gen zu Syagrius Herrschaft gehört haben 3). Südlich kann das
Reich von Soissons Langres nicht erreicht haben, denn dies
war burgundisch : Auxerre dagegen war nicht mehr burgun-
disch 4), im Westen endlich muss die Seine die Gränze gebil-
det haben 5). Hier im Westen schlössen sich dann die Gebiete
des armorikanischen Bundes an. Sie waren wohl seit Aegi-
dius Tode unabhängig. Im äussersten Westen etwa in der
heutigen Bretagne mögen sich noch Reste der alten keltischen
Bevölkerung gehalten haben unter einheimischen Fürsten *).
Ausserdem müssen in den Gebieten nördlich der Loire noch
hie und da römische Militärabtheilungen gestanden haben, de-
') Greg. II, '27. Anno autcm quinto regni ejus (Chlodovechi) Sya-
grius Romanorum rex, Aegidii filius, ad civitatem Suessionas quam quon-
dam supra memoratus Aegidius retinuerat, sedem habebat.
D. Bist. epit. c. 15 nennt den Syagrius Romanorum patricius. s.
Petigny II, 378.
*) vgl. Waitz Vfg. II, 41 u. 54. Retlberg, Kirchengeschichte Deutsch-
lands I, 264.
^) Verdun steht seit den Anfängen von Chlodovechs Herrschaft in
Gallien unter ihm, Toul und Joinc 496 ; s. unten.
*) V. Eptadii Bouquet III, 380, ob Auxerre zu Syagrius Reich ge-
hörte, lässt sich nicht entscheiden.
^) Gesla c 14. vgl. unten p. 29 n. 4. unterscheiden ganz bestimmt
ein von der Seine und ein anderes von der Loire begränztes Gebiet.
«) Greg. IV, 4.
I
24
25
i
nen in einer bessern Zeit die Bewachung der Gränze anver-
traut gewesen war ») : sie lebten ohne Zusammenhang mit ei-
ner andern Staatsgemeinschaft, römische Sitte und kriegerische
Eintheilung bewahrend, bis das Reich Chlodovechs sie in sich
aufnahm.
Während wir so im nördlichen Gallien Zersplitterung fin-
den, stehen sich im Süden zwei grössere germanische Reiche
gegenüber: beide greifen schon über Galliens natürliche Grän-
zen hinaus: das eine nach Osten, das andere nach Westen.
Das westgothische Reich war grade damals von Eurich auf
die Höhe seiner Macht gehoben und Eurich leb(e noch, als
Chlodovech die Regierung antrat. Von der Loire im Norden
bis zu den Pyrenäen inj Süden und weiter über den grössteii
Theil der spanischen Halbinsel, von dem atlantischen Ocean
bis zur burgundischen Gränze erstreckte sich Eurichs Reich.
Durch die Erwerbung der Provence war auch die Verbindung
mit Italien hergestellf, und diese musste um so mehr Bedeu-
tung gewinnen, seit das ostgolhische Reich in Italien begrün-
det war. Toulouse war die Hauptstadt dieses Reiches. Das
südöstliche Gallien dagegen hatten die Burgunder eingenom-
men: von den westlichen Abhängen der Alpen und den Voge-
sen bis über die Rhone hinaus, von dem Reiche von Soissons
südwärts dem Meere zu erstreckte sich das Burgunderland,
doch erreichte es das mittelländische Meer nicht: die Rhone-
intlndungen, vor allem das wichtige Arles waren in den Hän-
den der Westgothen, Avignon dagegen war burgundisch. In
dieser Gegend muss die Südgränze des Burgunderlandes ge-
wesen sein 2) ; vvenn eine Quelle die massilische Provinz als
einen Bestandtheil des Burgunderlandes nennt 3), so meint sie
wohl damit Gebiete, welche zu der Provincia im römischen
Sinne gehörten. Das Burgunderland war unter Gundovechs
Söhne getheilt, unter denen Gundobad den ersten Platz ein-
nahm: der Sitz seiner Herrschaft war Lyon, sein Bruder Godegi-
') Procop tie hello Gothico L 12, xai arifariwrai. de 'Vo>nai(ov f'rfQoi
rq rdXliov raq tO'/aTKi(; q<vXa*7^ii, fVfx« irträyato. s. unten p. 3i, n. 3.
') (jf. II, 32 wird Gundobad in Avignon belagert.
*) Gregor II, 32. Tunc (i. .1. 5tM)) Gundobadus et Godegiselus fratres
regnum circa Rhodanum aut Ararim (Saone) cum Massiiiensi provincia
retinebant.
sei hatte in Genf seinen Sitz »). Welche Gebiete die andern
beiden Brüder besessen haben, wissen wir nicht. Gundobad
war römischer Patricius , er setzte sogar dem weströmischen
Reiche einen Kaiser, den Glycerius; in den Zeiten der Schwäche
Italiens unternahm er verheerende Züge in die Lande jenseits
der Alpen. Ihm ist es auch gelungen, die getrennten burgun-
dischen Beiche zu vereinigen.
So bedeutenden deutschen Reichen in Gallien gegenüber,
schien Chlodovechs kleines Gaukönigthum kaum zu etwas Grös-
serem berufen, und in der That ist auch nur durch einen
seltenen Verein glückUcher Umstände Chlodovechs grosses
Werk gelungen. Vielleicht ist grade die Kleinheit seiner Herr-
schaft als ein solches günstiges Moment anzusehen, sie liess
seine ersten Unternehmungen weniger bedeutend erscheinen,
als sie in der That waren: sodann dass Chlodovech in fort-
währendem Zusammenhang mit der deutschen Heimat und
den Sitzen seines Stammes bUeb, während bei Westgothen
und Burgundern dieser Zusammenhang zerrissen war; endlich
dass Chlodovech noch der heidnischen Religion, oder vielmehr
nicht der arianischen Religion anhing, da dadurch die religiöse
Spaltung, welche im westgothischen und burgundischen Reiche
zwischen den katholischen Romanen und arianischen Deutschen
bestand, in seiner Neugründung vermieden ward.
2. Siej; über Syagrius. Ausbreitung von Chlodovechs
Reich im nördlichen üallien.
Von den ersten Jahren der Herrschaft Chlodovechs ist uns
nichts berichtet. Man kann sich immerhin diese Zeit wie auch
schon die letzten .lahre Childerichs als eine Zeit der Ruhe, der
Vorbereitung zu den ersten folgenreichen Unternehmungen den-
ken : ja selbst ein ausdrückliches Zeugnis lässt sich dafür an-
führen, dass die Franken von Tournai längere Zeit in Frieden
lebten % Im fünften Jahre seiner Herrschaft, im 20. seines
') V. Epiphanü Bouquet III, 371, (uil (Epiphanias) Genevae ubi
Godegiselus germanus regis larem statuerat. Genauere Angaben der V.
Sigismundi Bouquet III , 402 beruhen auf Compilalion und willkürlicher
Abstraktion.
^) Theoderich der Grosse schreibt Cass. Var. III, 4 an Chlodovech:
iflii!
26
2T
Lebens hat sich dann Cblodovech gegen die Reste der römi-
schen Herrschaft im nördlichen Gallien gewandt.
Unsere Nachrichten über diesen wichtigen Vorgang sind
sehr dürftig: es kommt darauf an, sie in ihrer Bedeutung
recht zu würdigen, doch muss man sich hüten, durch gewagte
Combinationen mehr aus ihnen schliessen zu wollen , als möß-
lieh ist.
Es scheint, dass Chlodovech den Versuch gemacht hat,
für sein Unternehmen die Hülfe verwandter salischer Gaukönige
zu gewinnen. Ragnachar von Gambrai hat wirklich Hülfe ge-
leistet *); auch König Ghararich war aufgefordert zur Unter-
stützung, doch hat er sich nicht an dem Unternehmen bethei-
ligt, er wartete vielmehr den Ausgang ab , um dem Sieger in
Freundschaft sich zu verbinden 2). Die waffenfähige Mannschaft
seines Reiches hat Ghlodovech gewiss vollständig aufgeboten.
Syagrius scheint dagegen auf die Streitkräfte des ihm unter-
gebenen Gebietes allein beschränkt gewesen zu vsein 3). Einen
Anlass zum Kriege für Ghlodovech zu suchen, ist überflüssige
Mühe, da uns alle Nachrichten darüber fehlen 4) ; vielleicht darf
mi
. . . ut gentes vestrae, «piae sub parentibus vestris longa pace ttoruerunt,
subita non debeant concussione vastari; unter den parentes sind Childe-
rich und Eurich verstanden. Weniger Gewicht möchte ich auf eine andere
Steile legen ib. H, 41 Gloriosa quidem vestrae virtutis affinitate gratu-
lamur, quod gentem Francorum prisca aelate residem feliciter in nova
praeiia concitastis et Alamannicos populos . . . subdidistis. Hier wird
offenbar nur die alte Sesshaftigkeit der Franken seit ihrer Aufnahme in
Toxandrien den neuen Unternehmungen Chlodovechs gegenübergestellt,
welche das Frankenvolk über seine bisherigen Gränzen hinausgeführt
haben, vgl. P6ügny II, 353. Waitz Vfg. II, 44 n. 1.
') Gr. II, 27.
''] Gr. II, 41. Quando autem cum Siagrio pugnavit, hie Chararicus
evocatus ad solatium eminus stetit, neutrani adiuvans partem, sed even-
tum rei exspectans, ut cui eveniret victoria, cum illo et hie amicitiam
conligaret. Huschberg Gesch. d. Alamannen und Franken p. 624 bezieht
dies auf Verralh, den Ghararich in der Schlacht von Soissons geübt.
^) Hierauf hat Dubos III, 20 hingewiesen.
'*) Dubos Ausführungen, welche sich auf eine Stelle d. Ep. Sidnnii
V, .5. stützen, bedürfen nicht der Widerlegung ; eben so wenig P^lignys
Ansicht II. 384, wonach Syagrius «Prätendent und Ghlodovech als erbli-
cher Inhaber der Würde des magister militum berechtigt ist, diesen An-
spruch zu bekämpfen. i
man darauf hinweisen, dass im Jahre 486 das weströmische
Reich bereits untergegangen war, und damit die Oberhoheit,
unter welcher rechtlich bis dahin die Deutschen auf römischem
Gebiet begründeten Reiche standen.
Wir beginnen mit dem Berichte Gregors *). „Im fünften
Jahre von Chlodovechs Herrschaft", erzählt dieser, „hatte Sya-
grius in der Stadt Soissons, welche einst Aegidius, von wel-
chem oben gesprochen ward, innegehabt, seinen Sitz. Gegen
ihn zieht Ghlodovech mit Ragnachar seinem Verwandten, da
dieser auch selbst ein Reich besass, heran und verlangt, dass
man sich rüste zur Schlacht. Syagrius zögerte nicht und fürch-
tete, diesem Begehr zu widerstehen 2). Als so beide mit ein-
ander kämpften, wendet Syagrius, da er sein Heer besiegt sah,
den Rücken, und flieht eilig zum Könige Alarich nach Toulouse.
Ghlodovech sendet zum Alarich, er solle ihn ausliefern, sonst
möge er wissen, dass ihm , halte er Syagrius zurück , Krieg
drohe. Alarich voll Furcht, um seinetwillen den Zorn der
Franken gegen sich zu wenden , wie es ja die Art der West-
gothen ist, feige zu sein, überlieferte ihn gebunden Chlodovechs
Gesandten. Ghlodovech , da er ihn zurückerhalten , liess ihn
gefangen setzen, und nachdem er sein Reich empfangen hatte,
heimlich mit dem Schwerte erschlagen."
Es scheint, dass dieser Bericht Gregors römischen Quel-
len entnommen ist. Er ist gewiss durchaus glaubwürdig : das
harte Urtheil über die westgothische Feigheit 3) indes werden
wir etwas beschränken dürfen. Das Gefühl der Schwäche
konnte Alarich unmöglich zur Nachgiebigkeit bestimmen : bei
') Gr. II, 27. Die Historia epitomata folgt Gr. fast wörtlich mit ei-
ner Abweichung s. p. 23. n. 1. Die Gesta c. 9 erzählen in freierer Weise
nach Gregor, doch lassen sie Bemerkenswerthes offenbar aus Flüchtigkeit
aus. Ganz eklektisch verfährt die V. Remigii Bouquet III, 374. Sie hat
Einiges aus der unverbürgten Lokaltradition von Rheims aufgenommen,
im Ganzen beruht sie auf den Gesta.
'^) sed nee iste distulit (sc. pugnam] ac resistere metuit.
^) Dieselbe den Westgothen feindliche Auffassung tritt auch II, 37
hervor in der Schlacht bei Vougle, cumque secundum consuetudineni
Gotthi terga vertissent etc., dass Gregor dies in seinen Bericht hiseinge-
tragen hat, ist sehr wahrscheinlich. Vgl. die detestabilis consuetudo der
Gothen ihre Könige zu tödten. ^. .
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29
r
i
I
weitem glaublicher ist es. dass Alarirh selbst Syagriiis Besei-
tigung nicht unerwünscht war, sei es nun, dass er alten, von
seinem Vater überkommenen Groll befriedigte, oder dass ihm.
dem Arirmer der heidnische Frank enköniii ein minder gefähr-
lieber Nachbar zu sein schien, als der katholische Römerfürst »\
Freilich hat er sich hierin getäuscht . seine Nachgiebigkeit
musste Chlodovech reizen. Grösseres zu versuchen. Halten
wir uns auf dem Standpuncte einer Kritik von Gregors Be-
richt, so verdient es noch hervorgehoben zu werden, dass die
Ereignisse sich schwerlich mit der Raschheit gefolgt sein kön-
nen, wie Gregor sie berichtet. Toulouse ist von Soissons, in
dessen Nähe doch die Schlacht vorgefallen sein muss, in gra-
der Linie über 90 Meilen entfernt: so wird zwischen Svagrius
Niederlage und Tod immerhin eine geraume Zeit verflossen
sein.
Folgen wir Gregors Bericht weiter, so fand Chlodovech
nach der gewonnenen Schlacht keinen Widerstand mehr. Wir
hören wohl noch etwas von den Leiden, welche das eroberte
Land zu erfahren hatte von Chlodovechs raublustigen Kriegeru,
dass selbst die Schätze der Kirchen vor ihnen nicht sicher
waren. Musste doch Remigius von Rheims es geschehen las-
sen, dass aus einer Kirche der Stadt Rheims ein geweihter
Krug von bedeutender Grösse und Schönheit geraubt ward
nebst den übrigen heiligen Geräthen '^). W^as Remigius durch
sein Ansehen bei Chlodovech erlangte, die Rückgabe, mag
Wenigen zu Theil geworden sein. Doch abgesehen hiervon
berichtet Gregor nichts mehr über die Kroberung von Sya-
grius Reich, die im .fahre 486 gemachte Beute wird in Sois-
•} Auf (las Eisle hal l»etigny If, 3b9 hiiige\vifi>cii auf das Zweite
Leo Vorlesungen 1, 339.
Gregor und die Üesla nennen den Namen des Bischofs und der
Stadt nicht, die Historia epitomata hat Beides, ebenso die V. Kemigii.
welche indes Manches hinzufügt , dessen Glaubwürdigkeil Zweifeln un-
terliegt. Die ganze Erzählung vom Durchzuge der Kranken scheint fast
ein Versuch Hinkmars zu sein, den Namen der via Barbarorum zu er-
klären. Was aus dieser Stelle Dubos a. a. 0. über den Marsch Chlodo-
vechs gegen Syagrius folgert, leidet, abgesehen von dem geringen Glau-
ben, welchen Hinkmar verdient, an dem Fehler, dass hier vor den Ent-
scheidungskampf gesetzt wird , was Hinkmar nach demselben berichtet.
sons getheilt: als Chlodovech im nächsten Jahre (487) sein
Heer zur März Versammlung berufen hat, kann er es wieder
nach Hause gehen lassen «). Dass sich dieser Bericht Gre-
gors auf die Eroberung von Syagrius Reich bezieht ist klar ge-
nug: ob aber durch diese Eroberung Chlodovech Herr des
ganzen nördlichen Galliens ward, erfahren wir nicht.
Es stehen uns indess noch andere Berichte über die Be-
gründung Mild Ausdehnung von Chlodovechs Reich in Gallien
zu Gebote, mit deren Hülfe wir zu festeren Resultaten kom-
men können. Es kommt hier vor allen Dingen eine Nachricht
in Betracht, welche wir freilich erst aus dem Zusammenhange,
in welchem sie uns überliefert ist, loslösen müssen, um sie
in ihrer rechten Bedeutung fassen zu können. Der poetisch
ausgeschmückte Bericht der Gesta 2) über Chlodovechs Ver-
mählung schUesst ab mit Aurelians Belohnung für die gelei-
steten treuen Dienste. Er erhält das Herzogthum Melun. Dass
nun freilich diese Ausstattung Aurelians so gut wie seine ganze
Thätigkeit bei der Vermählung der ausschmückenden Dichtung
und nicht der Geschichte angehört, steht für uns fest 3). Wie
zum Beweise, dass Chlodovech wirklich im Stande gewesen
sei, Aurelian so königlich zu belohnen, wird vorher bemerkt:
„m jenen Tagen erweiterte Chlodovech sein Reich bis zur
Seine: in der folgenden Zeit nahm er das Gebiet bis zur Loire
ein *).'■ Diese beiden Sätze tragen einen ganz andern Charak-
ter an sich, als die ganze bisherige Erzählung : sie sind otlen-
bar vom Verfasser der Gesta aus dem schon bezeichneten
Zwecke in seine Erzählung aufgenommen und so für uns ge-
rettet. Heben wir sie aus diesem Zusammenhange heraus, .so
erkennen wir in ihnen einen kurzen Bericht über die Erobe-
') Die in mehr als einer Hinsicht bemerkenswerthe Schilderung die-
ser Versammlung soll unlen gewürdigt werden s. unten Abschn. 9.
') s. unlen im vierlen Abschnitte und im Anhange dazu.
^) s. unten a. a. 0.
') Gesta c. 14. In illis diebus dilalavit Chlodovechus ampliticans
regnum suum usque Sequanam. Sequeuti tempore usque Ligere fluvio
uccupavil. Auch die V. Hemigii a. a.ü. hat dies aufgenommen und zwar
aus den Gesla. Als selbständige Quelle (Löbell p. 121, Huscbberg p.627)
darf man sie ihnen gegenüber nicht anführen.
i<
II If ■
30
rung des nördlichen Galliens durch Chlodovech ; wir werden
nicht irren, wenn wir ihn als aus lateinischen Annalen ent-
nommen betrachten. Was die Auffassung des Einzelnen an
langt, so können wir auf den üebergang „in illis diebus'' odei
„eo tempore" kein Gewicht legen; er ist offenbar vom Verfassei
der Gesta. Damit fällt die Möglichkeit fester chronologische!
Bestimmung weg *). Ungewiss müssen wir es lassen, ob dei
Bericht eine Erweiterung von Ghlodovechs Reich durch Waf
fengewalt, oder mehr auf friedlichem Wege im Auge hat 2)
das Erstere ist das Wahrscheinlichere. Unsere Quelle unter
scheidet zwei Hauptmomente der Eroberung, Ausdehnung bis
zur Seine, Ausdehnung bis zur Loire; sie rechnet offenbar von
Ghlodovechs bisherigem Königssitze Tournai aus südwestlich.
Es kann nichl zweifelhaft sein, dass wir unter der Ausdeh-
nung von Ghlodovechs Reich bis zur Seine die bei Gregor
berichtete Eroberung von Syagrius Herrschaft im Jahre 48(»
verstehen müssen. Als das entscheidende Ereignis wird gradt?
dies hervorgehoben. Die Ausdehnung des Reiches bis zu Loire
erwähnt Gregor nicht, ob wir die „vielen Kriege und Siege
Ghlodovechs", von denen er später spricht, darauf beziehen
dürfen, ist ungewiss 3). Dagegen haben wir in andern Quellen
vereinzelte Nachrichten von Kämpfen in den Gebieten zwischen
»
Seine und Loire.
So berichtet das Leben der heiligen Genovefa 4) von einer
Belagerung , welche die Stadt Paris zehn oder wie die eine
Handschrift hat, fünf .lahre lang von den Franken zu erdulden
gehabt hat. Auch die Stadt Nantes ward, wenn wir unserer
Quelle trauen dürfen s), zu Ghlodovechs Zeit sechzig Tage lang
belagert, bis eine nächtliche, wunderbare Erscheinung das
') Mascov, Gesch. d. Teutschcn II, 14 setzt die beiden herichteten
Ereignisse 493 und 494. Andere versuchen ähnliche Bestimmungen s.
Dubos III, 2(1, Huschberg 627.
'-*) Fauriel II, 31 versteht zwei Feldzüge.
3) Löbell p. 123 n. 2 ist der Ansicht, dass in Gregors Worten I!,
27 muUa bella victoriasque fecit eine solche Beziehung liege; doch bil-
den diese Worte wohl nur den üebergang zu Ghlodovechs späteren
Thaten. Ob man deinde aufnimmt, oder nicht, trägt hierfür wenig aus.
*) V. Genovefae Bouquet III, 370.
^) Gregor de Gloria raartyrum I, c. 60.
3]
feindliche Heer schreckte und bewog, so eilig die Belagerung
aufzugeben, dass am andern Morgen kein Feind mehr gefun-
den ward. Diese Nachrichten sind indes sehr unbestimmt,
sie können höchstens dazu dienen, unsere Auffassung der bis-
her behandelten Berichte zu bestärken; einen Versuch durch
Gombination noch nähere Beziehung heyzustellen, gestatten sie
nicht Auch die Nachricht einer alten Vita *), dass in der er-
sten Zeit von Ghlodovechs Kegierung , als er mannichfache
Kämpfe zu bestehen gehabt, auch di^ Bewohner von Verdun
auf Verrath und Abfall bedacht gewesen, dass sie dann von
Ghlodovech belagert seien, jedoch durch Vermittlung des grei-
seri Presbyters Euspicius Gnade von ihm erlangt hätten, müs-
sen wir in der Unbestimmtheit lassen, wie sie uns überliefert
ist. Möglicherweise kann diese Belagerung Verduns mit Ghlo-
dovechs Unternehmen gegen Syagi^ius zusammenhängen, doch
vielleicht gehört das Ganze in eine spätere Zeit 2).
Wir kommen jetzt zu Procops Erzählung von der Begrün-
dung der fränkischen Macht in Gallien 3). Procop setzt die
') V. Maximini Acta SS. ord. S. Bened. Saec. I. App. p. 580. Bou-
quet III, 393.
^) Man konnte meinen, Chlodovech habe schon Christ sein müs-
sen, da sich die Schenkung an Euspicius und Maximin, worüber wir die
Au>fertigung noch haben Pardessus Diplomata et charlae I, p. 57 unmit-
telbar an diese Begebenheit anschliesst.
3) Procop de hello Gothico I, 12. . . 'P^vot; Jt h t6v o)Kfar6v ran
txfioAcui Tzonirai,. U/uvai tt ivrcti'&a ol <)>} l'fQftavol ro nakaibv oixfjvtOy
ßa(jßa(jov t&voqy or nokkov koyov ro xat^ a^/ot« ä^ov, oi vvv *P^oiyYOt na-
kovvrat TOJ^Toiy iyö^ihvoi "^Qß6()vxoi wxoi'». . . . itvyxavov de "A^ßoffv-
'/Ol. tön 'Potfiaibiv GT^aTionat yfyn-rjfAtvot' ov6 drj FfQ^iavoi /.artjHOOvq Oipioiv
t&tXovtffi ate 6/i6(iov(; oVrav xai noXttiiav ijy h^ov näXai JtaiaßaXovTaq,
noitjoaa&ai, iXTjitovtö tt xat TTavd'tjftü TToXtfitjafiovr«; In avroixi v^ükav.
'^'t^ßÖQvxoi' dt dgtrijv n xai fvvoiav e« 'Potjuainvc: ivönldfitvoi dvdf)«; ayo-
9oi tv tifiöf TW nokinbi iyivovro, xai. i/Tfi ßtdi^ta&ai avroix: Vi^fiavoi ov/
oioi Tf r^oav f etat^u^ff^a» t* ^iiovv xai dXXijkoK; x^dtatai yiyvfo&at' ä
dfj A^ßoQvxoi ovTi dxoi'otoi' ividi/ovro- X^tortavoi yd^ d/tifoTiQot 6vtt(;
itvyxavov. ovrot n ti<i tva Xdov ivvtX&6vtf(i öwd/nttaq inl fiiya ix^ittioav.
xat otQattwtai 6'f 'Pwftamv ttf^ot «g laXXoiv tdq laxattdq (pvXaxtio, 'ivma
tritaxato- oi dij oTxf iq 'Pa,jnf]v önotq inavrilovaw txftmq, ov fttjv oi*?t*
niiooxoifiHv 'A^uivoiq oi'O* Toi? TtoXffiioiq ßovX6ft(voiy aifäq rt avtovt: |i.v
ToJf aijfitioK; neu jj^oi^av ^v ndXctt "Potfiaiou; iifvXaaaoVf 'A(fßoffi>xot<i ri nai
A^ayoK Udoeav ...
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32
33
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ältesten Wohnplätze der Franken an die Hheinmündungen. Ih-
nen zunächst hätten die Arborycher gewohnt '). Um die Zeit
der Ausbreitung des Weslgolhenreiches in Gallien und Spanien
seien diese romische Soldaten geworden. Als sie dann, nach-
dem sie die staatliche Verbinduni^ . welche sie sjehabt , verlo •
ren, versuchten die Franken sie zu unterwerfen. Sie unter-
nahmen Heutezüge und Kriegszüge mit ihrer ganzen Macht ge-
gen sie. Doch die Arborycher leisteten tapfern Widerstand
und die Franken, unveT"mogend, mit Waffengewalt sie zu unter-
werfen, verlangten , Freundschaft mit ihnen zu schliessen und
dass man unter einander sich verheirate. Das nahmen die
Arborycher nicht ungern an, denn beide waren Christen. So
verschmolzen beide zu einem mächtigen Volke. Auch andere
römische Soldaten , welche in Gallien auf dem äussersten Po-
sten gestanden hatten, da sie an Hom keinen Rückhalt mehr
hatten und den feindhchen A rianern nicht zufallen wollten 2),
schlössen sich den vereinicten Franken und Arborvchern an
mit ihren Feldzeichen und dem Lande, welches sie bewachl
hatten. Sie bewahrten sich und ihren Nachkommen bis auf
Procops Zeit ihre Feldzeichen, mihtärische Kintheilung, römi-
sche Sitte und römische Tracht.'*
Dass Procop hier von dem Verhältnis der Franken zu den
gallischen Provinzialen, den Bewohnern des tractus Armorica-
nus spricht, also \on der Erwerbung des Gebietes zwischen
Seine und Loire für Chlodoxechs Reich, unterliegt keinem Zwei-
fel: auf die kleine Abweichung der griechischen und der la-
teinischen .\amensform darf man da nicht zu viel Gewicht le-
PCD 3). Nicht mit einbegritfen sind die Briten, welche sich in
der Bretagne niedergelassen hatten : sie traten erst nach Chlo-
i
') Procop überträgt hier otfenbar das Zusanunengränzen nach der
Einnahme von Syagrius Reich in eine frühere Zeif.
■-) Unter den Arianern siml natürlich die Westgotheu, vielleicht aucli
die Burgunder zu verstehen.
^) Die lateinische Namensform Armorici weicht vor> der Procops
\4iiß6(tvxoi ab , doch entweder liegt nur ein Versehen des Abschreibers
zu Grunde, da /* und /^» leicht verwechselt werden können; oder die Ab-
weichung der griechischen und lateinischen Namensform ist entstanden,
indem jede Sprache selbständig den zu Grunde liegenden einheimischen
vielleicht zwischen M und H in der Mitte stehenden Laut auszudrücken!
versuchte s. Löbell p. 125.
dovcchs Tode unter fränkische Oberhoheit, und kriegten selbst
dann noch unter ihren Fürsten mit den merovingischen Köni-
gen •). Procops Bericht bestätigt uns also den zweiten Theil
jener, lateinischen Annalen entnommenen Stelle derGesta. — Es
handelt sich vor allem um die richtige Auffassung von Procops
BerichL Man hat gemeint, aus ihm folgern zu müssen, durch
einen förmlichen Vertrag hätten die Römer im nördlichen Gal-
lien überhaupt. 2) oder doch im Lande zwischen Seine und
Loire Ghlodovech sich unterworfen 3). Sehen wir auf das,
was Procop als Bestimmungen des Vertrages angiebt, so sind
es Vorgänge, welche in Folge der Eroberung nicht ausbleiben
konnten. Man darf wohl vermuthen 4], Procop habe die Ver-
einigung von Franken, Galliern und Römern unter einem Kö-
nige, zu einem Reiche und Staate, welche als Ergebnis der
geschichtlichen Entwicklung selbst zu seiner Zeit bestand, auf
ein bestimmtes Ereignis zurückzuführen gesucht, oder als ein
solches dargestellL Da musste es nahe liegen, sie auf einen
Vertrag zu gründen. Dass Procop denselben erst in Folge
vergeblicher Anstrengungen der Franken zur Unterjochung der
Arborycher abschliessen lässt, darf nicht befremden: selbst un-
Isere dürftigen Quellen wissen von Kämpfen in jenen Gebieten,
und so hatte auch wohl Procop eine gewisse, wenn auch nur
dunkle Kunde davon, oder ei' denkt an Syagrius Kampf mit
Chlodovech.
Bei dieser Auffassung von Procops Bericht können wir
nicht so grosses Gewicht darauf legen, dass er ausdrücklich
') S. Lübell p. 127, wo mit Recht auf Greg. IV, 4 hingewiesen ist:
na») semper Britanni sub Francorum potestate posl obitiim regis Chlodo-
Ivechi fuerunt, et comites non reges appellati sunt. Im Jahre 511 unter-
schreiben (He Bischöfe von Le Mans, Hennes, Angers, Nantes, Vannes die
Bestinmiungen des Concils von Orleans; ihre Diocesen mussten also da-
|mals zu Chlodovechs Reich gehören; s. Conciliorum Galliae Collectio I,
843; auch Bouquet IV, 102.
-) Fauriel II, 35, nach dessen Ansicht Procop die Briten von Armo-
jrika mit den Galloromern des Syagrius verwechselt.
^) Löbell p. 128 fl'. nimmt an , dass ein Vertrag unter billigen Be-
dingungen die Verhiiltnisse des Grundbesitzes und die rechtliche Stellung
|dei dortigen Romanen regelte.
*) VVaitz Verfassungsgesch. II, 45.
3
4
W ^
sagt, die Arborycher hätten den Vorschlägen der Franken deß-
halb Gehör gegeben, weil sie Christen gewesen seien, auch
andere römische Soldaten hätten den vereinigten Franken und
Arborvchern sich angeschlossen , um nicht Arianern sich aa-
schhessen zu müssen. Eine chronologische Bestimmung für
den Zeitpuncl der Unterwerfung des Landes zwischen Loire
und Seine können wir daraus nicht entnehmen >) : diese Gp-
•biete waren sicher Chlodovech schon untergeben, als er das
Christenthum annahm. Eine Urkunde, welche Annahme des
Ghristenthums und Unterwerfung Galliens in ein Jahr setzt, ist
gewiss falsch 2).
Was wir also unsern Quellen über den äussern Hergang
der Begründung des fränkischen Reiches im nördlichen Gallien
durch Chlodovech entnehmen können, ist Folgendes. Chlodo-
vech hat im Jahre 486, unterstützt von seinem Verwandten
Raunachar, Svaerius in der Mähe von Soissons besiegt und in
Folge dieses Sieges die Gebiete bis zur Seine seiner Herrschaft
unterworfen. Späterhin hat er auch die Lande zwischen Seine
und Loire, wie es scheint nicht ohne Kampf, gewonnen : nicht
unterworfen sind die Gebiete mi äussersten Westen, in wel-
chen Briten sich niedergelassen hatten. Der Schwerpunct von
Chlodovechs Herrschaft lag nun nicht mehr in seinem salischen
Königthume, sondern in den neuerworbenen gallischen Gebie-
ten; das spricht sich auch äusserlich darin aus, dass Chlodo-
vech jetzt den Sitz seiner Herrschaft nach Soissons über-
trug 3).
Fragen wir, welche Zustände für die Römer in den neu
erworbenen Gebieten eintraten, so kommt, abgesehen von dem.
i
11
») Petigny 11, 397 ff. kommt durch willkürliche Combinalion zu clei
Annahme, die senonischen Städte, unter ihnen das 5 Jahre (?) belagerlf
Paris (s. p. 3(») hätten sich Chlodovech unterworfen , als er ihnen durrh
Vermählung mit einer katholischen Christin die Aussicht auf Annahme
des Christenlhums eröffnet {Pötigny II, p. 411) , das Land zwischen Sem.-
und Loire habe sich erst unterworfen, als er das Christenthum nngenom
men habe (p. 419).
2) S. Anhang I. und Waitz Verfassungsgesch. II , 44. n. 3.
3) Die V. Remigii Bouquet Ifl, 377 E. sagt dies ausdrücklich, v«9i-
dient freilich wenig Glauben, doch ergiebt sich dasselbe aus Gr. II. 2T
wo Soissons als Ort der Beutetbeilung bezeichnet wird.
35
was sich bei unserer Auffassung 'von Procops Bericht ergiebt
der Scbluss von Gregors Erzählung über die Eroberung des
Reiches von Soissons in Betracht «). Sprachgebrauch und Satz-
fügung lassen keinen Zweifel; dass darin mehr liegt, als beim
ersten Blicke sclieint: Syagrius wird heimlich getötet, nachdem
Chlodovech sein Reich em^pfangen hat, d. h. wohl, durch einen
öffentlichen Act feierlich 'als Herrscher von den Syagrius un--
tergebenen Römern anerkannt ist. Ist dies wirklich gesche-
hen , so din^fen wir erwarten , dass die Römer den Franken
gegenüber nicht in die Stellung eines unterworfenen Volkes
getreten si«d , und diese Ansicht bestätigt sich uns auch aus
dem , was wir Tür die durch Chlodovech begründeten Zustände
aus der späteren Stellung der Römer im fränkischen Reiche
schliessen können. Wir finden, dass in den meisten Beziehun-
gen das in den letzten Zeiten des römischen Reiches Beste-
hende geachtet ist 2).
Es ist hier von entscheidender Bedeutung, dass nicht das
gesammte Chlodovech untergebene Volk sich 'in den neuerwor-
benen Gebieten niedergelassen hat. Es war deshalb nicht
nothwendig, dass jener ajtdeutsche Grundsatz der Eroberung,
wonach die Unterworfenen ihr ganzes Land, oder doch be-
stimmte Theile den Siegern abtreten mussten, hier seine An-
wendung fand. Für Chlodovechs Begleiter war gewiss genug
herrenloses Land vorhanden, dem fränkischen Könige ist der
Besitz der römischen Kaiser, des römischen Staates, sodann
der römischen Veteranen und Soldaten zugefallen, und das
reichte hin, um, wenn dies nöthig war, auch die Theilnehmer
seines Unternehmens mit Land auszustatten und dabei doch
dem fränkischen Königthum die nothwendige materielle Grund-
lage zu geben 3). Dass aber in die Verhältnisse des privaten
•) quem (Syagrium) Chlodovechus receptum cuslodiae muncipari
praecepit: regnoquc eins accepto eum gladio dam feriri manda-
vit ; vgl. Gr. 11,40. Chlodovech wird hier das Königthum von den Ri-
puariern übertragen: das wird bezeichnet als accipere regnum; II,
'41 wird derselbe Ausdruck gebraucht, als Chlodovech nach Erbrecht
Hagnachars Reich einnimmt, doch Erbrecht und üebertragung stehen sich
gleich. In der Salzfiigung ist der abl. absol. bedeutsam.
S. Waitz Verfassungsgesch. II, 46 flf. und die dort dtirte Lilleratur.
^) Gudrard z Irminon I, .503; ohne Grund nimmt er indes an, der
inerovingische König habe reservirt une espece de domaine commun ou
3*
p« --
36
Grundbesitzes nicht eingegriffen ist, sehen wir daraus, dass
im fränkischen Reiche dieselben Glassen freier Römer noch zur
Zeit Karls des Grossen fortbestanden , welche wir in der letz-
ten Zeit des römischen Reiches m Gallien finden : grundbesi-
tzende possessores und grundbesitzlose tributarii >). Damit blieb
denn freilich auch die römische Sleuerverfassung bestehen.
Der römische possessor zahlte nach wie vor Grundsteuer von
seinem Eigenthum , der tribularius hatte Kopfsteuer zu zahlen.
Diese Steuern flössen nunmehr in den Schatz des fränkischen
Königs, welcher an die Stelle des römischen Kaisers getreten
war. Ausserdem übte der fränkische König als Nachfolger
des römischen Kaisers bestimmte fiscalische Rechte in Bezug
auf die Römer aus, namentlich an Bergwerken, Weiden und
Wäldern; auch blieben die Zölle bestehen 2).
Wichtig ist dann vor* allen Dingen die Fortdauer des rö-
mischen Rechtes. Die Gonstitutio Chlotars 1. bestimmt, dass
unter Römern Rechtshändel nach römischen Gesetzen ent-
schieden werden* sollen 3). Bei der Allgemeinheit der Bestim-
mung dürfen wir sie auf das Fortbestehen des römischen Cri-
minal- und Privatrechtes beziehen. Daraus folgt aber das
Fortbestehen des römischen Gerichtswesens keineswegs. Die
Römer gaben und empfingen Recht in denselben Gerichten,
wie die Franken, auch wo es sich um Rechtshändel zwischen
Römern allein handelte ') : dass Streitigkeiten zwischen Rö-
mern und Franken, so gut wie Streitigkeiten zwischen Fran-
public. Was bei den Angelsachsen bestand , darf man nicht ohne weite-
res auf fränkische Verhältnisse übertragen.
') L emendala bei Pardessus Loi salique p. 305.
Tit 43. 6. Si quls Romanum hominem, convivam regis, oc-
ciderit, Xll M. dinariis, qui faciunl solidos CCC, culpabilis iudicelur.
7. Si Romanus possessor, id est, qiii res in pago ubi comma-
net proprias possidel , occisus fnerit , is qui eum occidisse convmcitur,
IV M. dinariis, qui faciunt solidos C, sulpabilis iudicelur.
9. Si quis Romanum tributarium occiderit, MDCCC dinariis, qui
faciunt solidos XLV, culpabilis iudicctur.
S. die Erklärung dieser Stelle von Savigny in Zeilschr. (ür gesch.
Rechtswissensch. IV, 369 ff.
'*) Schaffner, Gesch. der Rechtsverfass. Frankreichs I. p. 193 ff. : vgl.
auch das Diplom Pardessus Diplomata I, 57.
*) Pert2 Legg. I. p. I. c. 4 : inter Romanos negolia causarum Roma-
m» legibus pl^^ecipimus lerminari
*) S. Waitz Vcjfg. II. 422. 42;^.
ken auf dem Gericht des Grafen erledigt wurden, unterliegt
keinem Zweifel.
So sind bei der Begründung des fränkischen Reiches auf
nallischem Boden die Besitzverhältnisse und die darauf begrün-
dete Steuerverfassung geblieben, das römische Recht hat nicht
aufgehört. Dagegen sind die ständischen Verhältnisse der Rö-
mer nach deutschem Rechte geregelt. Es hat der Grundsatz
der Lex salica, wonach der Römer, welcher freies Grundeigen-
thum besitzt, von diesem jedoch dem fränkischen Könige die
Grundsteuer entrichtet, das gleiche Wergeid mit dem fränki-
schen Liten 100 solidi hat, auch in den unterworfenen Gebie-
ten seine Anwendung gefunden. Der Römer dagegen, welcher
kein Grundeigenlhum halte, oder fremdes gegen einen Zins
bebaute, hatte ein Wergeid von 45 solidi; über diesen beiden
steht, erst im fränkischen Reiche in Folge des Eingehens auf
germanische Verhältnisse entstanden, der conviva regis >). Ge-
wiss darf man in der Gleichstellung des freien grundbesitzen-
den Römers mit dem fränkischen Liten in Bezug auf das Wer-
geld eine Herabwürdigung nicht erkennen. Dass der Römer
überhaupt ein Wergeid erhielt, zeigt deutlich genug, dass man
ihn in die germanische Ehre einsetzte ; nur mit einem Wergeide
ausgestattet sollte und konnte er in die Ordnung des fränki-
schen Reiches aufgenommen werden. Sein Wergeid ist aller-
dings geringer, als das des freien Franken; die verschiedene
Ehre der Abkunft macht einen Unterschied 2). Doch hat dies
auf die Stellung des Römers im fränkischen Reich keinen wei-
tem Einfluss gehabt; hier steht er in keiner Beziehung hinter
dem Franken zurück. Ehen werden zwischen Römern und
Franken geschlossen, die Römer dienen im Heere, sie bethei-
ligen sich an den inneren Kriegen. Wir finden Römer in ein-
flussreicher Stellung in der unmittelbaren Nähe des fränkischen
Königs als Rathgeber als Gesandte, sie werden königliche Be-
amte, Herzoge, Grafen, und sind als solche thätig in Krieg und
Frieden 3). So darf man gewiss nicht behaupten, die Lage
des Römers habe sich im fränkischen Reiche )^rschlechtert
') Savigny a. a. 0. und Schaffner 1, 107.
2) LöbeR p. 132—155.
'] Löbeil a. a. 0.
15
3Ä
im Vergleich mit derjenigen, welche er zur Zeit des römischen
Reiches gehabt : der Römer bat durch seine Aufnahme ins
fränkische Reich volles Staatsbürgerrecht erhallen.
3. Die ersten Kämpfe Chlodovechs mit deutschen Stäm-
men. Unterwerfung der Thoringer und Alamannen.
Durch die Unterwerfung der römischen Gebiete im nörd-
Jichen Gallien hatte Ghlodovech ein starkes romanisches Ele-
ment in sein Reich aufgenommen; es war deshalb von ent-
scheidender Wichtigkeit für den Charakter des neu begründe-
ten Reiches, dass auch deutsche Stämme ihm verbunden wur-
den. Der Anfang hiezu ist gemacht durch die Bekämpfung
und Unterwerfung der Thoringer. Nach Gregor ») gelang dies
Ghlodovech im zehnten Jahre seiner Herrschaft (491). Dass
hier nicht an die Thüringer im Innern Deutschland zu denken
ist, braucht jetzt nicht mehr erwiesen zu werden 2) ^ auch da-
für, dass es sich hier um die Tungrer handle, lässt sich nichts
Stichhaltiges vorbringen 3). Eine Quelle Gregors scheint die
Thoringer als Anwohner der See gedacht zu haben ^) ; so set-
zen wir sie am sichersten aufs linke Rheinufer an die iMün-
dungen von Rhein und Maas. Ob diese Thoringer den sali-
schen Franken verwandt waren, oder nic'ht, zu entscheiden,
fehlen uns die Mittel; Gregor fasst sie offenbar als einen nicht
verwandten Stamm auf.
Etwas genauer als über diesen Krieg sind wir unterrich-
tet über Chlodovechs Krieg mit den Alamannen, doch sehen
wir auch hier nicht so klar, wie wir wünschen könnten.
') Gr. II, 27: decimo regni sui anno Thoiingis bellum intulit, eos-
demquc suis ditionibus subiugavit.
*^) Waitz. Das alte Recht der salischen Franken p. 18 — .52 und
Vfg. IF, 59, wo auch darauf üufnierksam gemacht ist, dass schon die
Geste c. il di% Thüringer in Deutschland verstanden. Deshalb auch die
Aenderungen „commoto exercilu magno valde in Toringiam abiit : ipsos-
que Toringos plaga magna prostravit."
3) Diese Ansicht vertreten Huschberg p. 629 und Petigny 11, p. 406.
*) Basina sagt zum Childerich Gr. II, 12; si in transmarJrtis parti-
bus aiiquem cognovissem uliliorem te . . .
39
Gregor >) berichtet den Alamannenkrieg als den entschei-
denden Anlass für den üebertritt Ghlodovechs zum Christen-
thume. Er folgt dabei einer i\i seiner Zeit gewiss weit ver-
breiteten Auflassung, welche namentlich der katholischen Geist-
lichkeit nahe liegen musste. Nach Gregors Erzählung koJimii
es im Jahre 486 ^j zu einem Zuge gegen die Alamannen. „Als
beide Heere zusammentrelTen , entsteht gewaltiges Morden,
Chlodovechs Heere droht Vernichtung. Da ruft der Franken-
könig gläubigen Herzens in lautem Gebete die Hülfe des Chri-
stengottes an, weichen seine Gattin Chrotechildis bekennt, und
noch während er betet, wenden die Alamannen den Rücken
und beginnen zu fliehen. Da sie ihren König getödtet sehen,
unterwerfen sie sich Chlodovechs Gewalt mit den Worten:
Nicht länger, bitten wir, sei der Vernichtung geweiht unser
Volk, schon sind wir dein. So hemmt Ghlodovech ferneren
Krieg, er ermahnt das alamannische Volk zur Treue, er kehrt
in Frieden zurück und erzählt seiner Kömgin von dem unter
göttlichem Beistande gewonnenen Siege."
Den Ort, wo diese entscheidende Schlacht geschlagen ist,
deren Folge nach Gregor die Unterwerfung des alamannischen
Volkes war, erfahren wir aus ihm nicht, doch hat man längere
Zeit Zülpich südwestlich von Cöln dafür gehalten 3). Gregor
') ür. II, 30. Die Abweichungen der Historia epiloniala und der
(Jesta, welche hier bedeutender sind, als sonst, werden unten Berück-
sichtigung tiitden. Die Rolle, welche Aurelian in den Gesta spielt, ist
gewiss nicht geschichtlich , er kommt nur in den Dichtungen von Chlo-
dovechs Vermahlung vor: jedenfalls durfte dies nicht in die £rzahlung
des Herganges aufgenonnnen werden. Auf den Gesta beruhen die hje
(Hui da ausschmückende V. Kcmigii Bouquet III, 375 und die kürzende
V. Chrolhildis ib. 398. ebenso die V. Arnulti ib. 383.
'^) Die Datirung ergiebt sicli aus der Lesart einer alten Handschrift
des Gregor, vgl. Bouquet II. praef. p. VII. Bello probibito , cohortato
populo cum pace regressus narravit reginae qualiter per invocationem
Hominis Christi victoriam meruit obtinere. Actum anno XV. regni sui.
Auch die Gesta haben diese Datirung wohl aus altern Handschriften Gre-
gors aufgenommen.
^) So seit Masco V II, 14 und Dubos IV, 1 die meisten Neueren, na-
mentlich Düntzer in d. .labrbüchern des Vereins von AlterthumsfreMiid«n
im Rheinlande lU, 32 und XV, 50. n. 44; selbst Merkel, de republica
Alamannorum p. 6 hat diesen Irrthum beibehalten.
r
1>
40
41
erwähnt nnmlich beiläufig M einmal , dass Sigibert der König
der ripuarischen Franken aus einem Kampfe mit den Alamannen
bei Zülpich einen lahmen Fuss davon getragen : dass aber diese
Schlacht eine und dieselbe ist mit derjenigen, in welcher Ghlo-
dovech siegte , lässt sich nicht erweisen 2) ; zum mindesten
würde man eine Riickbeziehung auf die früher ohne Angabo
des Ortes erwähnte Schlacht erwarlen. Eben so willkürlich
aber sucht man in jenem Kampfe Sigiberts mit den Alamannen
für Chlodovech den Anlass diese zu bekriegen 3). Die Nach-
richten Gregors reichen nicht aus zur Bestimmung des Ortes
der Schlacht: grössere Sicherheit gewinnen wir aus einer an-
deren Quelle, welche neben Gregor selbständige Bedeutung hat.
der Vita Vedasti **). Als Chlodovech ins Alamannenland gekom-
men sei 5), so berichtet die Quelle, habe vor der Schlacht der
Rhein die kampflustigen Heere getrennt gehalten. Es scheint
demnach, dass die Schlacht stattfand, als Chlodovech den Rhein
überschreiten wollte. Der Hergang der Schlacht wird in üe~
bereinstimmung mit Gregor berichtet, nur fällt hier der Ala-
mannenkönig nicht, er wird mit seinem Volke von Chlodovech
unterworfen. Diese abweichende Angabe beruht indes wohl
auf einem Versehen *). Nach seinem Siej^e kehrt dann Chlo-
'} Gr. II, 27 : Hie Sigiberlus pugnans cünlra Alainunnos apud
Tulbiacense oppidimi percussus in geniculo claudicabaL Die Emeiida
fion Tullense oder Tulliacense oppidum, wofür sich auch Türk, For
schlingen III, 98 erklart, fördert die Sache nicht, üeber Sigiberts Lahm-
heit vergl. auch Gr. 11 , 40 Chlodovechs Worte an Sigiberts Solin : Eccc
pater tuus senuit et pede debili Claudicat.
^) Gegen jene Combination Luden III, 649 ; dann Sybel Jahrbucher
III , 39 a. a. 0. Waitz Vfg. II , .56.
*) Diese Beziehung haben Luden III. 68, auch Heltberg Kirchenge-
schichte I, 265, ebenso Düntzer a. a. 0. nachzuweisen gesucht.
*) Bouquet III , 372. Gegen Düntzors AngritTe a. a. 0. verthoidigt
die Giaubwiirdigkeit mit Recht Sybel Jahrbücher III, 40.
*) Die Worte der Vita sind gewiss minder verderbt als Düntzer
annimmt, um durch Eraendation eine ihm unbequeme, doch werthvolk
Nachricht zu beseitigen. Ueber den Sinn des Ganzen ist kein Zweifel
Die Worte lauten: Quo cum venisset ab utroque acies et nisi obvium
bestem habuisset Rheni, tarn Franci quam Alamanni ad mutuam caedem
inhiarent ...
'• *) Auch unsere älteren Quellen stimmen in diesem Puncte mit
Gregor ij berein , s unten p. 41 n 7. u. p. 43 n. 1.
dovech über Toul , den Gau von Vouzy , Billy, dem Laufe der
Aisne folgend, nach Rheims zurück *). Hiemit stimmt es überein,
wenn eine andere Quelle weiss . dass Chlodovech auf der
Rückkehr Joine berührt hat 2). Es ist daher nicht unwahr-
scheinlich, dass das Schlachtfeld am obern Rheine gewesen ist 3).
Das Resultat des von Chlodovech gewonnenen Sieges ist
nach Gregor die Unterwerfung des alamannischen Volkes.
Man hat die Genauigkeit dieser Angabe in Zweifel gezogen.
Wir wissen, dass Theoderich der Grosse seine Aufmerksam-
keit diesen Verhältnissen zugewandt hat und selbst vermittelnd
aufgetreten ist. Uns ist noch in Cassiodors Sammlung 4) Theo-
dorichs Brief an Chlodovech erhalten, dieser ist zu einer
Zeit geschiMeben , wo schon beide Könige verwandt waren,
wahrscheinlich auch nach ('hlodovechs Uebertritte zum Chri-
stenthume ^). Dass derselbe wirklich in Anlass des Krieges
geschrieben ist, von welchem Gregor berichtet, nicht etwa in
Anlass eines späteren 6), wird zur Genüge durch die im Briefe
berührten Thatsachen erwiesen. Die alamannischen Stänune
sind von Chlodovech mit siegreicher Hand unterworfen, der
König ist gefallen, der Stolz des Volkes gebrochen; demüthig
hat es um das Geschenk des Lebens gebeten '). Theoderich
') Victor ... ad Tullum oppidum venit . . . Dum pariter perge-
rent, quadam die venerunt in pago Vongise ad locum qui dicitur Gran-
deponte iuxta villam Rilugiago super fluvium Axona. Deindc ad Remo-
rum urbem . . perduxit.
■^) V. Arnulf! Bouquet III, 3S3: victor (Chlodoveus) ad Juviniacum
in pago Suessonico remeavil.
^) Wie Sybel a. a. 0. dazu kommt, Toul als den Ort der Schlacht
zu bezeichnen , begreife ich nicht
^) Cass. Var. II, 41.
^) Dies hat Düntzer a. a. 0. XV, 35 0. aus den Ausdrücken affini-
las, parcnles und gentilitas nachgewiesen.
♦•) Düntzer hat diese Behauptung aufgestellt a. a. 0. III, 34 und
trotz geschehener Einsprache von Waitz Vfg. II, 57. n. 4 festgehalten.
Kin spaterer Krieg ist gewiss nicht anzunehmen; auch nach einer Stelle
in Avitus' bald nach Weihnachten 496 geschriebenem Briefe ist mit dem
Feldzuge von 496 Alles beendet; s. unten p. 47. n. 3. Theoderichs Brief
scheint bald nach dem Ende des Krieges geschrieben zu sein.
') ... Alamannicos populos causis forlioribus inclinatos , victrici
dextera subdidistis. ... Memorabilis triurophus est, Alamannum acer-
'•«^
n
wünscht dem Frankenkönige Glück zu dem errungenen Erfolge,
doch bittet er ihn, seinen Aufbruch (Zorn ?) gegen die erschöpfe
tea> Ueberbleibsel zurückzuhalten , da nach dem Rechte der
Gnade frei auszugehen verdienten, welche in den Schutz sei-
nes (Chlodovechs) Verwandten geflohen seien. Chlodovech
solle denen gnädig sein, welche sich, verscheucht aus ihrem
Lande, innerhalb seiner (der ostgothischen) Gränzen geborgen.
Denn trefte er mit den noch Uebrigen zusammen, so werde man
nicht glauben, dass er die Gesammtheit besiegt habe. Theo-
derich hofft Gewährung seiner Bitte, und verspricht in diesem
Falle gegen Chlodovech nichts zu unternehmen >). Wir sehen,
nur müde Ueberbleibsel — es scheint fast, dass aus der Schlacht
entkommene Krieger gemeint sind — haben bei Theoderich
Schutz, Aufnahme gesucht; die Gesammtheit des Volkes ist Chlo-
dovech unterworfen, diese Flüchtlinge — - ihre Zahl kann nicht
gross sein — will Theoderich vor der nach Kriegsrecht ihnen
drohenden Knechtschaft schirmen. Da ausdrücklich gesagt
wird, die aufgenommenenAlamannen würden jetzt aufgescheucht
aus ihrem Lande von Theoderichs Gränzen geborgen , so ist
dadurch die Auffassung, Theoderieh wolle alamannische Gebiete
Chlodovechs Herrschaft entziehen, ausgeschlossen.
Schwieriger dagegen ist es, die richtige Auffassung einer
diese Verhältnisse berührenden Stelle aus der Lobrede des
Bischofs Ennodius auf den Ostgothenkönig Theoderich zu ge-
winnen 2). Alamanniens Gesammtheit, meint Ennodius, sei von
rimuni sie expavisse, ut tibi cum cogas de vitae nuineie supplieare.
Wie eng sich diese Worte mit Gregor berühren , springt in die Augen.
Sufticiat ilhim regem cum gentis suac superbia oecidisse. sutticiat innu-
merabilem nationem partim ferro partim servitio subjugatam — Mit
Bewusstsein sind im Briefe die Ausdrücke populi Alamanniei und die
unter sich gleichbedeutenden natio, gens einander gegenüber gestellt.
Früher waren die Alamannen unter mehrere Könige gctheilt: jetzt ste-
hen sie unter einem einzigen.
') Sed . . motus vestros in fessas reliquias temperale, quia jure
graliae merentur evadere, quos ad parentum vestrorum defensionem
respicitis confugisse. Estote illis remissi , qui nostris finibus celantur
exterrili .... Nam si cum reiiquis contligis, adhue cunclos superjisse
non crederis. . . . Cede itaque suaviter genio nostro, quod sibi gentili-
tas communi remitiere consuevit exemplo.
'*) Ennodii Panegyricus bei Manso, Gesch. des ostgoth. Reiches
p. 477.
m
Theoderich innerhalb der Gränzen Italiens eingeschlossen ohne
iNachtheil für den römischen Possessorenstand : so sei ihr nun-
mehr ein König zu Theil geworden, nachdem sie den ihrigen
verloren >). Wächterin des latinischen Reiches sei sie geworden,
sie, die immer in Verheerung römischer Gebiete sich ergan-
gen. Zum Glücke sei sie geflohen aus ihrem Vaterlande, denn
so sei ihr des römischen Bodens Reichthum zu Theil gewor-
den 2). Ein Land habe sie gewonnen , welches vom Karste
sich bewältigen lasse, obschon ja nicht aller Schade vergessen
werden könne 3). So sehe man unter Theoderich aus Unglück
Glück entstehen, befreit von ihrem Rohre wünsche die Ala-
mannenschaar sich Glück, ein Land zu bebauen, welches sich
ihr, die bisher nur undichte Wohnstätten gekannt, durch fe-
slerer Binsen Wohlthat empfohlen *). Die Ansicht, Theoderich
') Quid? quod a te Alamanniae generalitas intra Italiae terminos
sine detrimento Romanae possessionis inclusa est, cui evenit habere
regem, postquam meruit perdidisse. — Der Ausdruck generalitas wird
freilich zunächst auf die «iesammtmasse des alamannischen Volkes bezo-
gen werden , doch muss es autlallen , dass E. den Ausdruck Volk ganz
umgeht. So kann man immerhin den volltönenden Ausdrück auf Rech-
nung des Panegyrikers schreiben und ihn etwa „Gemeinde" übersetzen.
Wie man inclilsa est zu fassen hat, muss zweifelhaft bleiben. In
t'ebereinstimmung mit Gregor wird auch hier gesagt, dass der König
der Alamannen getöttet sei.
'-) Facta est Latiaris custos impcrii. semper nostrorum populatione
grassata , cui feliciter cessit fugisse patriam suam , nam sie adepta est
soli nostri opulentiam. — Man kann zweifeln, ob in custos impcrii der
Sinn liegt, den aufgenommenen Alamannen sei die Beschirmung der
Gränze anvertraut, oder ob der Ausdruck bildlich zu fassen ist. Die
erste AutTassung ist wohl die bessere: eine Fortdauer römischer Sitte
auch in dieser Beziehung kann bei dem Charakter von Theoderichs Reich
nicht aufifallen. Die Worte fugisse patriam sind entscheidend für die
Bedeutung der Stelle, ebenso das folgende „adepta est soli nostri opu-
lentiam" und „acquisistis terram"; sie lassen nur den Sinn zu, wel-
chen wir im Briefe fanden. Wie eng sich die Worte „fugisse patriam"
mit denen des Briefes „qui nostris finibus celantur exteniti" berühren,
leuchtet ein.
-*) Acquisistis, quac noverit ligonibus tellus adqufescere , quamvis
non contigerit damna nescire. — .\uch hierin tritt es klar zu Tage, die
Alamannen haben ihr Land aufgegeben. Dass bei dem Lande, welches
Nie entschädigen soll, ausdrücklich gesagt wird , es sei cultur fähig,
macht es wahrscheinlich, dass es uncultivirt war.
'*) Sub te vidimus eventus optimos de adversilate generari et tieri
4%
45
habe alamannische Gebiete in sein Reich aufgenommen, findet
durch diese Stelle keine Bestätigung. Den flüchtigen Alaman-
nen, für welche Theoderich nicht ohne Erfolg gebeten hat,
sind an der Nordgränze von Theoderichs italienischem Reiche
feste Wohnsitze angewiesen. Es ist geschehen ohne Nachtheil
der römischen Possessoren; so scheint ihnen uncultivirtes , je-
denfalls herrenloses Land , an welchem in jener Zeit überall •
kein Mangel sein konnte, angewiesen zu sein. Dass diese Ala-
mannen, deren Zahl nicht bedeutend gewesen sein kann, als
Entgelt für das ihnen angewiesene Land, die Pflicht der Gränz-
vertheidigung übernahmen , ist wahrscheinhch : Theoderich
niusste es daran liegen, seine Nordgränze gegen die ihm durch
die letzten Ereignissse näher gerückte fränkische Macht zu si-
chern. Wo aber und in welchem Umfange diese Ansiedelun-
gen flüchtiger Alamannen stattgefunden haben, näher zu be-
stimmen, reichen unsere Quellen nicht aus *).
Durch das, was sich aus unbefangener Auffassung unse-
rer Quellen über Theoderichs Vermittlerrolle ergiebt , wird
also Gregors Angabe, das ganze alamannische Volk sei Chlo-
dovech in Folge jenes Sieges unterworfen, nicht erschüttert:
die Annahme, es seien die südlichen Theile des Elsass 2), oder
überhaupt des alamannischen Landes 3) Theoderich zugefallen,
(indet in unseren Quellen keine Bestätigung «). Dagegen ist
secundorum matrcm occasionem periculi. Ulvis liberata gralulatur ter-
rain incolens , quae liactenus dehiscenlibus domiciliis , solidiori schoeni
emergebat beneficio. — Teber die Deutung der Stelle ^g\. Mani^os Anni.
Ennodius meint, auch festere gegen Wind und Wetter mehr gesicherte
Wohnsitze hätten die Alamannen in der neuen Heimath gewonnen.
•) Manso p. 59 meint , sie seien im heutigen (iraubünden angesie-
delt; Burckhardt Archiv lur schw. Gesch. IV, 49, es sei an den Gran-
zen von Schwaben , im nördlichen Vorarlberg (Bregenzerwald) im obern
Lechthal und dem Oberinnthal in Tirol geschehen , wo noch alamanni-
sche Mundart herrsche.
^) Luden III, 70.
') Stalin Wirtembergische Gesch. I, 150 meint, der alamannische
Theil der Schweiz, der spätere constanzer und der augsburger Sprengel
seien Tbeoderich zugefallen.
*) Dass Agathias I , 6 mil den von Tbeoderich unterworfenen Ala-
mannen TorToi'? St nqöxtqov StvötQ^x^^i . . . c\- ipo^ov anaywy^v na^aötfi-
eine andere Behauptung aufgestellt: es seien damals alamanni-
sche Gebiete freigeblieben. Von Ghlodovechs Enkel Theude-
bert sind noch Alamannen unterworfen, wie eine Quelle be-
richtet i). Doch unterliegt es wohl keinem Zweifel , dass
die Quelle hier dasselbe im Sinne hat, wie weiter unten, wo
sie berichtet, die Ostgothen hätten von den Oströmern be-
drängt, das alamannische Volk aufgegeben *) , unter dem wir
eben jene alamannischen Ansiedelungen auf ostgothischem
Gebiete verstehen 3). Hiedurch also wird die Annahme noch
freier alamannischer Gebiete nicht bewiesen: doch könnte es
scheinen, als führten fränkische Quellen auf sie. Die Gesta
berichten nämhch, Chlodovech habe einen Zug gegen die Ala-
mannen undSueven unternommen 4): in dem weiteren Verlaufe
des Krieges ist von den Sueven nicht die Rede. Ist nun diese
Abweichung nicht auf eine Umschreibung von Gregors Wor-
ten zurückzuführen 5) , so könnte man annehmen, dass die
Sueven, also etwa w eiter südöstlich gelegene Gebiete, von dem
Geschicke der Alamannen unberührt geblieben seien 6). Ein
zeitweiliges Freibleiben alamannischer Gebiete, oder genauer
genommen alamannischer Volksgenossen dagegen erwähnt eine
odfiivot; xatfjuoov tl/i ro (fükov, nur jene alamannischen Ansiedlungeu
meint, steht wohl fest; vgl. Waitz Vfg. II, 58. n. I.
*) Agathias I, 4 : na^a/.afjMv de T^y naT(tföav a^xrjv u SfvSlßnttoq
ToiJt; tt ^Alafiawoiiq y.aTtat(ji^>ato moU ä).?.a arra n(i6<ioi'Ha t&vij.
^) Agathias I, 6: l'&tBoi vTto&wntvortf^ rovq fl'^dyHovq .... m'(»wv
Vgl. Stalin 150 n, 4. und 152.
3) Stalin fasst natürlich die den Franken nun zufallenden alamanni-
schen Gebiete als jene frühern Erwerbungen Theoderichs , deren Werth
er- zu hoch anschlug lieber Merkels Auffassung dieses Vorganges vgl.
Waitz in Gott. gel. Anzeigen 1850. p. 398.
^) Gesta c. 14. Chlodovech glaubt nicht an den Christengott , do-
nec tandem aliquando bellum contra Alamannos Suevosque moveret.
^) Der Suevenname gewann bekanntlich später neben dem Ala-
mannennamen wieder Geltung , bis er diesen verdrängle. Vielleicht
sind die Gesta in einer Zeit geschrieben , wo beide Namen neben ein-
ander für dasselbe Volk bestanden, und folgen dem Sprachgebrauche
ihrer Zeit.
«) Bei dieser Auffassung könnte man auch eher die Widersprüche
bei Agathias erklären , doch ist sie gewiss eine unnatürliche.
■^';»
andere fränkische Quelle, die Historia epitoniata *). Hier schwei-
fen die Alaniannen neun Jahre fern von ihren Sitzen umher;
da sie kein Volk finden können, das ihnen gegen die Franken
Hulf«; geboten, unterwerfen sie sich endlich Chlodovechs Macht.
Es ist bedenklich , diesen Bericht mit Gregor combiniren zu
wollen 2) ; das Zeugniss der bessern Quelle verdient allein
Glauben, möghcherweise folgt die Historia epitomata hier wie-
der einmal der die Geschichte ausschmückenden Volksüberlie-
rung und denkt an die Alamannen , welche bei Theoderich
Schutz suchten.
Wir halten also an Gregors Angabe fest, dass durch seinen
Sieg Ghlodovech das ganze Alamannenvolk unterworfen hat 3).
Es fragt sich indes, bedingte diese Unterwerfung für alle Theile
des alamannischen Landes ein gleiches Loos, oder fanden Un-
terschiede statt? Jedenfalls ist es eine bemorkenswerthe Er-
scheinung, dass früher alamanuische Gebiete, die nördUchen
Gegenden um den Main und Neckar, in der späteren deutschen
Geschichte als durchaus fränkisch erscheinen, während das
nachmalige Herzogthum Alamaunien seinen besondern Stamni-
cbarakter bewahrt hat. Man wird müghcherweise in der Art
der Behandlung bei der Eroberung den Grund dieser Erschei-
nung suchen: es könnte immerhin jener nördliche Theil des
alamannischen Landes dem Sieger abgetreten sein : der Grund-
') Hist. epit. c. 21 nach Merkel p. 32 : Alamanni terga vertentes
in fuga lapsi sunt. Cumque regem suuni ceinerent interemptum noveni
anuis exoli a sedibus eoruni nee ullain potuerunt gentem conperire,
qui ei contra Francos auxiliarel , landein se dicionem Chlodoviae sub-
dunt.
Ludcns Auflfassung dieser Stelle ist gewiss eine willkürliche III, (>51 ;
exoli kann gewiss nicht bedeuten, was er darunter versteht. Seine
Emendation wird durch die älteste Handschrift nicht bestätigt.
-) Merkel p. 6 unterscheidet 496, nach 10 Jahren, und von den
Ostgothen 536 erworbene alamannische Gebiete. Er meint die nach 10
Jahren unterworfenen hätten eignes Recht behalten : dies sollen die
Sueven gewesen sein. Doch diese Unterscheidung ist willkürlich ; vgl.
VVaitz Gott. gel. Anz. 1850. p. 396.
^) Die Annahme Ludens III, "0 und Düntzers XV, 40, es liabe sich
überhaupt nur um westrheinische Gebiete gehandelt, ist ganz gegen die
Quellen. Mtinso p. 59 .scheint doch an eine Eroberung des ganzen ala-
mannischen Gebietes ^u denken.
47
satz deutscher Eroberung, wonach ein besiegtes Volk dem sie-
genden ein oder zwei Drittel seines Gebietes überlassen musste,
wUrde dann hier noch einmal seine Anwendung gefunden haben.
So würde es sich erklären, wie ein Theil des Landes die alaman-
nische Nationalität, das alamannische Recht bewahrte, ein ande-
rer in fränkisches Gebiet überging. In jenem Theile erhielt dann
das Volk nur einen neuen Herrscher, in diesem verlor es die
politische Selbständigkeit, wenn es nicht das Land verliess *).
Directe Zeugnisse giebt es für eine solche Annahme freilioh
nicht 2) : ob man aus einer Stelle in einem Briefe des Bischofs
Avitus von Vienne 3) , wo Chlodovechs Mitleid gerühmt wird,
welches ein neuerdings von ihm freigegebenes kriegsgefange-
nes Volk erfahren habe, darauf schliessen darf, dass diesem
Volke, in dem wir nur die Alamannen sehen können, anfangs
ein härteres Loos bestimmt gewesen, dass dann Milderung ein-
getreten sei, muss dahingestellt bleiben.
4. Chlodovechs Vermähluno:.
In die Zeit zwischen die Eroberung des Thoringerlandes
und die Unterwerfung des alamannischen Stammes fällt Chlo-
dovechs Vermählung mit der burgundischen Königstochter
(^hroteehildis.
Gregor eczählt dies Ereignis folgendermassen 4). „Gundioch
•) Diese Ansicht ist aufgestellt von Waitz Vfg. 11 , 58. Andere Er-
klärungen ib. 57. n. 3.
'^) Wenn Tbeoderichs Brief unterscheidet ..sufliciat innumerabileai
nationem partim ferro , partim servitio subjugatam", so bezieht sich das
nur auf Besiegung und Unterwerfung der Alamannen. Die Worte der
Gesta „Alamannos cepit . ip.sos terramque eorum sub jugo tributarios
constituit", sinil schwerlich mehr als eine Umschreibung von Gregors
Bericht.
^) Ep. Aviti bei Boutfuet IV, 50: an misericordiam (vobis praedi-
cabimus) quam solutus a vobis adhuc nuper populus captivus gaudiis
mundo insinuat lacrymis deo ?
**) Gr. 11, 2S: Huic (Gundeucho) fuemnt quatuor filii, Gundobadus,
Godegiselus, Qhilpericus et Godomarus Igilur Gundobadiis Chilperiouni
fratrem suum interfecit gladio uxoremque eins, ligato >ad colluui lapide,
aquis inmersit. Huius duas filias exsilio condemnavit : >quarum senior
I^p^
I'*
l1 II
f
I
I»
48
biüterliess vier Söhne Gundobad , Godegisel, Ghilperich und
Godomar. Gundobad tötete seinen Bruder Ghilperich mit dem
Schwerte und Chilperichs Weib ertränkte er. Seine beiden
Töchter, von denen die allere Chrona, welche ins Kloster
ging, die jüngere Ghrotechildis genannt wurde, verbannte er.
Als nun Chlodovech öfter eine Gesandschaft nach dem Burgun-
derlande schickt, wird Ghrotechildis von seinen Gesandten ge-
funden. Diese lernen ihre Schönheit und Klugheit kennen
und melden es dem Ghlodovech. Sogleich sendet er eine Ge-
sandtschaft zum Gundobad und verlangt sie zur Ehe. Gun-
dobad wagt nicht dem Frankenkönige sein Begehren zu wei-
gern ; er liefert das Madchen den Männern aus. Diese brin-
gen rasch das Mädchen zu ihrem Könige, der König erfreut
vermählt sich mit ihr. Schon hal er von einem Kebsweibe
einen Sohn mit Namen Theuderich.*'
Auser diesem Berichte haben wir zwei spätere in den
Gesta und der Historia epitomata, andere kommen nicht in
Betracht»). Gregor giebt die kürzeste Erzählunj;, sehr viel
ausführlicher ist die Historia epitomata, am ausführlichsten
sind die Gesta. Im Anfange stimmen beide fast wörtlich
mit Gregor überein, doch so wie sie auf die Geschichte der
Vermählung selbst kommen, weichen sie von ihm und un-
ter sich weit ab. Man kann nur noch das Gerippe der Yer-
mählungsgeschichte, wie es bei Gregor gegeben ist, wiederer-
kennen 2). Das Ereignis wird mit einer Genauigkeit und Aus-
mutala veste Chrona, iunior Clirolechildis vocabalur. - Poito Clilodc»-
vechus dum legatioiiem in Burgundiam saepius mittit , Ghrotechildis
puella reperitur a legatis eins. Qui cum eam vidissent elegantem al-
que sapientem et cognovissenl , quod de regio esset genere, nui»tiave-
lunt haec Ghlodovecho regi. — Nee moralus ille ad Gundobadum lega-
lionem dirigit eam sibi in matrimonio petens. Quod ille recusare me-
tuens, Iradidit eam viris - illique accipientes puellam , velocius regi
repraesentani. — Qua visa rex valde gavisus suo eam coniugio socia-
vit, habens iam de concubina tilium nomine Theodoricum.
>) Die üebersicht des Inhaltes im Anhange. Die V. Ghrolildis
Bouquet III, 397 fl"- kürzt nacii Belieben den Bericht der Gesta. Naiv
ist es, wenn der Schreiber der Vila von den beiden Bitten der Chlotilde
die Bitte um Rache weglasst, da sie auf seine Heilige ein zu schlechl.es
Licht werfen könnte.
-) Die fünf Hauptraomenle sind : Geschick der beiden Töchter Kö-
«9
führlichkeit erzählt, welche im Vergleiche mit dem kurzen Be-^
richte Gregors im höchsten Grade auffallen muss. Bei Gregor
wird in kurzen einfachen Zügen das Wesentliche gegeben: in
den Gesta und der Historia epitomata finden wir ruhige, be-
hagliche Breite der Erzählung, Neigung zum Individualisiren «),
Verweilen beim Einzelnen, ausgeführte Reden und Gegenreden.
In sachlicher Hinsicht kann man sie mit Gregor kaum zusam-
menstellen, sie erweitern ihn nach allen Seiten hin. Vieles
davon trägt einen durchaus novellistischen Charakter an sich,
so namentlich die Bettlerrolle Aurelians. Anderes könnte
man eher für geschichtlich halten, doch wird dies von beiden
Quellen in so abweichender Fassung oder Anordnung gege-
ben, dass man schon deswegen bedenklich werden muss. So
behandelt die Historia epitomata Flucht und Verfolgung aus-
führlicher, die Gesta erzählen die Ehe weitläufiger; in den
Verhandlungen der werbenden Gesandten mit Gundobad ist in
der Historia epitomata dSs Juristische hervorgehoben u. s. f.
Nicht immer sind es dieselben Personen , welche handelnd in
den beiden Berichten auftreten : die Werbung Ghlodovecbs beim
Gundobad geschieht in den Gesta durch Aurelian, in der Hi-
storia epitomata durch andere Gesandte, die Historia epitomata
nennt den Aurelian ausdrücklich einen Römer, in den Gesta
geschieht dies nicht. Einzelne Elemente werden an verschie-
denen Stellen in verschiedener Weise verwandt; so die Gefahr,
welche Aurelian durch seine Verkleidung als Bettler sich zu-
zieht, bestohlen zu werden. Man sieht, das Ganze ist noch
flüssig, einer verschiedenen Gestaltung fähig, obschon wesent-
liche Grundzüge sich festgestellt haben. Dazu kommt, dass ift
beiden Quellen eine bedeutende Verschiedenheit in der Auf-
fassung der Bedeutung des Ereignisses hervortritt. Dem durch
sie bestimmten Grundgedanken gemäss gestaltet sich das Ein-
nig Chilperichs, Sendung Chlodovechs nach dem Burgunderlande, Wer-
bung bei Gundobad, Brautfahrt der Ghrotechildis, Vermählung: danach
sind Gregor p. 47 n. 4 und die Berichte im Anhange gegliedert.
') Bemerkenswerth ist das Streben der Hist. epit , überall an ein
bestimmtes geographisches Lokal anzuknüpfen. Freilich ist «uch so völ-
lige Bestimmtheit nicht erreicht. Die Gesta theilen dies Streben nicht :
sie lassen Alles im Unbestimmten.
'r''
50
51
ü
zelne. Den Gesta ist Chlodovechs Vermählung der Änlass
für seine Bekehrung zum Ghristenthuine. Gleich zu Anfang
wird es hervorgehoben, Chrotechildis sei Christin, und da die-
ser Ton einmal angeschlagen ist, klingt er überall durch. Chro-
techildis Frömmigkeit wird besonders nachdrücklich hervorge-
hoben: als sie Chlodovechs Werbung empfangt, ist ihr erster
Gedanke, die Christin dürfe den Heiden nicht heirathen; des-
halb besinnen auch mit der Ehe ihre Versuche, den heidnischen
König dem katholischen Glauben zu gewinnen. Die burgundi-
sche Quelle dageg(»n fasst die Vermählung auf als Anlass zum
Untergange des burgundischen Reiches: die Pflicht der Rache
kommt durch die Vermahlung an Chlodovech; Aridius weiss
dies und trilt freilich zu spät als Warner auf; als Chrotechildis
das burgundische Land verlässt, beginnt sie durch einen sym-
bolischen Akt selbst die Rache. In wie hohem Grade abwei-
chend die Darstellung unter dem Einflüsse dieser beiden Auf-
fassungen sich gestalten musste und*gestaltet hat, liegt auf der
Hand *). Gewiss haben beide Auff'assungen ihre Berechtigung
auch in der Geschichte 2); gegen Quellen aber, welche sich in
solchem Masse von ihnen beherrschen lassen, darf man mistrau-
isch sein. Dazu kommt, dass eine bestimmte paiteiische Färbung
unverkennbar hervortritt, besonders in den Gesta. Im Vollgefühle
der fränkischen Kraft betrachtet sie die Burgunder als schwach,
feige; daraus erklärt sich das Abmahnen der burgundischen
Grossen, als ihr König zum Kriege geneigt ist. Weniger deut-
lich zeigt sich etwas Derartiges in der burgundischen Quelle,
doch ist auch hier Abneigung gegen die Franken bemerkbar 3)
und natürlich. Auf eins muss noch hingewiesen werden, wel-
ches sich in den beiden Quellen geltend macht, auf den Einfluss
•) Freilich Icennt auch die Bist, epitomata Chrotechildis Christenlhum,
auch in den Gesta findet sich der Gedanke der Rache, allein die für
beide als charakteristisch bezeichnete Auffassung tritt durchaus in
den Vordergrund.
*) Fauriel W , 493 — .^06 behandelt die Berichte in einem Anhange.
Er erkennt als zu Grunde liegende Tendenz ein Streben , die Treue,
Geschicklichkeit der Gallorömer dem fränkischen Könige zu empfehlen;
cf. p. 505. 506.
'^) Bist. epit. c. 19: ... quam omni tempore tu et tui scandalize-
mini a Francis
der Zeit in welcher sie entstanden sind. Vielfach spiegeln sich in
der Darstellung die Zustände einer späteren Zeit, namentlich
die Gesta kennen eine Stellung der Grossen am burgundischen
Hofe, wie sie zur Zeit Chlodovechs gewiss nicht bestanden hat.
Ebenso ist die Kenntnis des später ei^folgten Unterganges des
burgundischen Beiches durch die Franken nicht ohne Einfluss
auf die Darstellung geblieben : die handelnden Personen kön-
nen mit Bestimmtheit auf das Kommende hinweisen.
Wir gelangen also zu dem Besultate, dass unsere beiden
späteren Berichte über Chlodovechs Vermählung zu den streng
historischen Quellen nicht gerechnet werden können; es sind
Dichtungen, Lieder, welche sich im Laufe der Zeit im Franken-
lande und in Burgund im Munde des Volkes ausgebildet ha-
ben, bis sie durch die Verfasser der Historia epitomata und
der Gesta ihre Aufzeichnung fanden. Gewiss ist dabei
noch Manches eigenthümlich gestaltet, namentlich mag der
Grundgedanke schärfer hervorgehoben und bei der Darstellung
der Gesta vielleicht hineingetragen sein. Es besteht hier
jilso für unsere drei Berichte im Ganzen das gleiche Verhält-
nis, wie bei dem ersten Theile unserer üeberlieferungen über
Childerich. Neben Gregor kommen die beiden spätem Erzäh-
lungen für die Erforschung des Historischen nicht in Betracht «).
Um so grossere Bedeutung haben sie für die Geschichte der
deutschen Heldensage. Die deutsche und zunächst die frän-
kisch - burgundische Heldensage hat nachweislich 2; einzelne
Momente aus der burgundischen Geschichte aufgenommen, be-
sonders ist die Vermählung Chlodovechs mit der rachedürsten-
den Chrotechildis als Motiv des Unterganges der Burgunder von
entscheidendem Einfluss auf die Fassung der Niblungensage
gewesen, wie sie uns in den Bearbeitungen aus dem Ende
des zwölften, Anfang des dreizehnten Jahrhunderts noch vor-
liegt Wir können an unseren beiden Berichten nachweisen,
dass schon im siebenten Jahrhundert einzelne Elemente der
deutschen Heldensage eine poetische Ausbildung erlangt hat-
ten, welche späterhin im wesentlichen bewahrt isL
') Versuche wie die von Dubos III, 23, Huschberg 632 , P6tigny H,
400 ff. durch Combination beider Quellen, mit Ausscheidung des Unwahr-
scheinlichsten, Geschichte zu machen, verdienen keine Widerlegung.
^) S. Müller, Versuch einer mythol. Erklär, der Niblungensage p. 31 ff.
4*
^.
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IV
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52
Wir kehren nun zu unserem allein glaubwürdigen Be-
richte über Chlodovechs Vermählung bei Gregor zurück. Zu
seiner Zeit scheint sich noch nicht die Dichtung dieses Ereig-
nisses bemächtigt gehabt zu haben. An der Wahrheit des bei
Gregor Erzählten zu zweifeln, haben wir keinen Grund, wir
dürfen seinen Bericht unbedenklich in die beglaubigte Ge-
schichte aufnehmen. Was er indess von den Gräuelthaten
Gundobads gegen die Familie seines Bruders berichtet, mag
mit etwas zu schwarzen Farben gemahlt sein «). Gregor folgte
fränkischen Quellen: sie mögen zum Nachtheil des Burgunder-
köni"s, welcher ja ausserdem Arianer war, entstellt haben;
denn was wir sonst vom Gundobad wissen, zeigt ihn uns von
einer besseren Seite.
Wann Chlodovech sich mit der burgundischen Königs-
tochter vermählt hat, sagt Gregor nicht: wir können vermu-
then, dass es 493 geschah 2).
Für die wichtigste Folge dieser Vermählung hat man es
wohl gehalten, dass die Verpflichtung zur Blutrache für den
ermordeten König Chilperich von Burgund an Chlodovech und
seine Familie gekommen sei, und damit ein Vorwand, Burgund
zu bekriegen, zu erobern. Wir sahen, dass die burgundische
Dichtung dies hervorgehoben hat. Für die Geschichte hat
es weniger Bedeutung; denn rechtlich war ja diese Verpflich-
tung vorbei, seitdem das Christenthum angenommen war, und
überhaupt hat Chlodovech nicht eben nach einem Vorwande
für seine Eroberungskriege gesucht. Weit bedeutender ist es,
dass Chlodovech eine Christin zur Gemahlin bekam, und zwar
eine katholische Christin 3). Mehrere deutsche Könige sind
für das Christenthum. namentlich das katholische Bekenntnis
durch ihre Frauen gewonnen worden : so berichtet auch Gre-
gor *) von unablässigen Versuchen der frommen Königin, Chlo-
») Hierauf hat etwas einseitig Luden Ilf , 62 u. Anm. hingewiesen ;
"forsichliger Gaupp, die german. Ansiedlungen p. 2S8.
') Vgl. Dubos III, c. 24. Chlodovech sind 2 Söhne geboren, bevor
er (496) in den alamannischen Krieg zieht.
3) P^tigny II, 411 u. 400 meint ohne allen Grund, die Heirath mit
einer katholischen Christin sei Bedingung der Unterwerfung des Landes
bis zur Seine gewesen.
♦) Greg. II, 39. Dass Cbrotecbildls Rede nur ein Machwerk Gregors
ist, liegt auf der Hand; vgl. Retlberg a. a, 0. I, 273.
93
dovech dem Christenthume zuzuführen. Chlodovechs Antwort
athmet ganz den Geist des deutschen Heidenthums : „durch
den Befehl der heidnischen Götter werde Alles geschafl'en, die
Ohnmacht des Christengoltes zeige sich darin , dass er nicht
einmal von göttlichem Geschlechle sei >).'' Dennoch hat es, wie
Gregor erzahlt, Chlodovech zugegeben, dass Cbrotechildis den
ersten Sohn Ingomer, den sie gebar, christlich laufen liess;
der Knabe erkrankte und starb noch bevor er die weissen
Taufgevvänder abgelegt hatte. Bei Chlodovech regt sich die
Furcht vor dem Zorne der beleidigten heidnischen Götter:
wäre der Knabe in ihrem Namen geweiht, meint er, so würde
er ihm erhalten geblieben sein. Dennoch liess er auch beim
zweiten Sohne Chlodomer die Königin gewahren. Als auch
dieser nach der Taufe erkrankt, zweifelt Chlodovech von
Neuem an der Macht des Christengottes, bis Ghrotechildis Gebet
den Knaben rettet. Wir sehen, welchen Einfluss die Ueberlie-
ferung, welcher Gregor folgt, der Chrolechildis im Hause Chlo-
dovechs zuschreibt; ein christliches Element ist so in seine
Familie eingedrungen, dies konnte auf den König selbst und
seine Entschlüsse nicht ohne Eintluss bleiben.
5. Chlodovechs Bekehrung zum Christenthume.
Wir geben zuerst an der Hand unserer Quellen eine Darstel-
lung der Taufe Chlodovechs, um dann kurz auf die Bedeutung
seines Uebertrittes zum katholischen Christenthume einzugehen.
Wir finden bei Gregor eine ausführiiche Schilderung der
Taufe 2). Seine Darstellung trägt eine vorwiegend kirch-
liche Färbung, doch tritt das legendenhafte Element, welches
in spätem Berichten Geltung gewinnt, kaum hervor. Er er-
wähnt selbst, dass eine Lebensbeschreibung des Bischofs Be-
migius von Bheims vorhanden sei 3). in dieser muss Chlodo-
') Deorum nostrorum iussione omnia creantur ac prodeunt: Deus
vero vester nihil posse raanifestatur, ei quod magis est, nee de deorum
genere esse probatur.
*) Greg. II, 31. üeber die Abweichungen der abgeleiteten Quellen
im Anhange.
') ibid : est enim nunc Über vitae eius, qui eum narrat mortuum
suscitasse. Mit welchem Rechte Giesebrecht a. a. 0. I, 91 n. 2 an die
n
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V.
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54
55
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vechs Taufe als das wichtigste Ereigniss im Leben des Bi-
schofs mit besonderer Vorliebe behandelt gewesen sein. Da
die Lebensbeschreibung noch zu Gregors Zeiten vorhanden
war, ist es undenkbar, dass sie von ihm nicht benutzt sein
sollte ; die Vermuthung , dass er die Taufe im wesentHchen
nach dieser alten für uns verlorenen Vita Remigii berichte,
liegt daher sehr nahe.
Gregor knüpft an seine Erzählung vom Alamannenkriege an.
Die günstige Stimmung, welche der über die Alamannen er-
rungene Sieg in Ghlodovech geweckt, soll nicht unbenutzt blei-
ben. „Die Königin lässt heimlich •) den Bischof Remigius von
Rheims rufen, damit er den König, der damals auf dem Rück-
wege aus dem Alamannenkriege begriffen in Rheims rastete 2)^
in den Lehren des Heiles unterweise. Als Remigius damit be-
ginnt, sagt Ghlodovech: „Gern, heiligster Vater, will ich dich
hören , doch will mein Volk seine Götter nicht verlassen 3)^
aber ich will zu ihm reden nach deiitem Worte." Allein noch
bevor er zur Versammlung der Seinigen gesprochen, rief gott-
begeistert das gesammte Volk : „Die sterblichen Götter werfen
wir von uns, frommer König : wir sind bereit , dem unsterbli-
chen Gotte zu folgen, den Remigius predigt." Sogleich liess
der Bischof mit grosser Feierlichkeit und Pracht die Zurüstun-
gen zur Taufe treffen ; Strassen und Kirche werden mit Vor-
hängen herrlich geschmückt 4)^ Weihrauchduft verbreitet sich,
wohlriechende Kerzen flammen, so dass die Anwesenden der
Wohlgerüche des Paradieses Iheilhaftig zu sein glauben. Der
König im weissen Gewände des Täuflings 5) verlangt zuerst
vom Remigius die Taufe, ein neuer Constantin schreitet er zum
noch erhaltene Vita, welche Fortunat zugeschrieben wird, denkt, sehe
ich nicht ein.
') clam, secretius, wohl deshalb, weil man der Zustimmung
des frankischen Volkes noch nicht sicher ist.
^) Vgl. oben p. 41 n. I u. 2 das über Chlodovechs Rückkehr Zu-
sammengestellte.
**) So fasst mit Recht Löbell p. 258 die Worte: sed reslat unum,
quod populus qui me sequitur non patitur telinquere Deos suos. Die
andere Auffassung, welcher Luden III, p. 73 folgt, nach patitur ein me
ergänzend, ist grammatisch und durch den Sinn weniger empfohlen.
*) Zwischen plateae und ecclesiae ist zu interpungiren.
') Siehe die Stelle der £p, Aviti, Bouquet IV, p. 55 n. 3.
Taufstein: „Beuge dein Haupt in Demulh Sigambrer •)", sprach
der heilige Mann, „bete an, was du verbrannt, verbrenne, was
du angebetet hast." So wird Ghlodovech, nachdem er — fipd
Gregor hebt dies mit besonderem Nachdruck hervor, dem ari-
anischen Bekennlnis gegenüber — den dreieinigen Gott be-
kannt hat, getauft im Namen des Vaters, des Sohnes, des hei-
Ift^en Geistes, er wird gesalbt mit dem heiligen Oele, das Zei-
chen des Kreuzes wird geschlagen über den ersten deutschen
König 2), welcher der katholischen Kirche gewonnen ist. Mit
ihm wurden von seinem Heere mehr als 300U getauft, ebenso
seine Schwester Albofled, die nicht lange darauf starb. Zu-
gleich wandte sich eine andere Schwester Chlodovechs Lan-
techild von der Lehre des Arius dem katholischen Glau-
ben zu."
So weit Gregor. Sein Bericht tragt durchaus das Gepräge
der Wahrheit an sich : er sagt eher zu wenig, als zu viel. Auf
die Bedeutung, welche man der kirchlichen Feier auch äusser-
lich zu geben suchte, fällt Licht durch eine Stelle aus ei-
nem gleichzeitigen Briefe 3) des Bischofs Avitus von Vienne
an Ghlodovech : danach scheint zur Taufe in Rheims ein Theil
der katholischen Geistlichkeit Galliens, zum mindesten die Ge-
sammtheit der damals Ghlodovech untergebenen Bischöfe ver-
sammelt gew esen zu sein , auch an katholische Bischöfe, wel-
') Mitis depone colla Sicamber: adora quod incendisli, inceiide quod
adorasti; mitis steht prädikativisch; vgl. Luden HI, 73.
^) Die Worte Gregors „delibutqsque sacro chrismate cum signaculo
crucis Christi" übersetzt Luden „er ward gesalbt in der Gestalt des Kreu-
zes Christi mit heiligem Oele." — üeber den katholischen Ritus finde ich
nichts Bestimmtes. Die bei Matthies, baplismatis exposilio p. 212 n. 54
aufgeführten Stellen enthalten Nichts darüber; auch die Stelle Cyprianl
ep. LXXII: . . ut qui in ecciesia baptizantur praepositis ecclesiae offeran-
tur, nt per nostrara orationem et manus impositionem spirilum sanctum
consequantur et signaculo dominico consummentur — lässt im Unklaren
darüber , ob das Salben in Form des Kreuzes geschah oder nicht. Bei
Gregor ist doch die gegebene Auflfassung sprachlich allein möglich.
^) Ep. Aviti bei Bouquet IV, 50 A: Conferebamus namque nobis-
cumque tractabamus, quäle esset illud , cum adunatorum numerus
ponlificum manus sancti ambitione servitii membra regia undis vitalibus
confoveret, cum se Dei servis inflecteret timendum gentibus caput, cum
sub casside crines nulritos salutaris galea sacrae unctionis indueret.
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che nicht zu Cblodovechs Reiche gehörlen, sind wohl Einla-
duDgen ergangen ; entschuldigt sich doch der Bischof Avilus
fa$t , dass er persönlich nicht habe zugegen sein können. Der
Bericht bei Gregor erwähnt die Anwesenheit jener Bischöfe
nicht; doch erklärt sich das leicht daraus, dass Remigius der-
jenige ist, welcher die heilige Handlung vollzieht und deshalb
auch neben Ghlodovech allein hervortritt. *
Wir müssen aber noch etwas näher auf abweichende An-
gaben der Quellen über einzelne Punkte eingehen , da neben
der echten üeberlieferung über Ghlodovechs Taufe sich auch
eine falsche gebildet hat.
Was zuerst die Zeit der Taufe betrifft, so giebt Gregor
sie nicht bestimmt an. Andere Quellen ■) haben die Nachricht,
Ghlodovech sei am Osterfest getauft 2). Aus dem Briefe des
Avitu^ von Vienne dagegen 3) geht es hervor , dass die Taufe
am Weihnachlsfeste war; und da Ghloidovech auf der Rückkehr
vom Alamannenkriege des Jahres 496 getauft ward , ist auch
als Jahr der Taufe das J. 496 sicher gestellt. Dazu kommt bestä-
tigend ein indirectes Zeugnis in dem Briefe des Remigius 4), wel-
cher ebenfalls bald nach der Taufe geschrieben ist. Die Erwäh-
') Hist. epit. c. 21 : nam cum de proelio memorato superius Chio-
doveus Remis fuisset reversus, dam a S. Remedio Remensis urbis epi-
scopo adtrabento etiam Chrothechilde regina baptismatis gratia cum VI
miiibus Francorum in pascha domini coiisecratus est. Dieselbe Angabe
in V. Remigii, Bouquet HI, 376.
^) Dubos IV, 1 versucht mit vielem Scharfsinn nachzuweisen, wie
die abweichende Angabe entstanden sei , doch überzeugt er nicht. Eher
kann man mit Rettberg I, 276 meinen, dass Ostern als die übliche Tauf-
2eit genannt sei.
'^) Die betreffenden Stellen des Briefes sind folgende : . . . . siquidem
•t occiduis partibus in rege non novo novi iubaris lumen etfulgurat.
Cuius splendorem congrue redemptoris nativitas inchoavit: ut consequen-
ter ea die ad salutem regenerari e\ unda vos pateat quo natum redempti-
oni suae caeli dominum mundus accepit. Igitur qui celeber est natalis
domini, sit et vestri; quo vos scilicet Christo, quo Christus ortus est
mundo. Avitus ist durch einen Boten von der Taufe benachrichtigt :
unde nos post hanc exspeciationem jam securos vestri sacra nox re-
perit
'*) Bouquet IV, 51 fin.: Tarnen per harum (epistolarum) baiulum si
iubetis, ut vadam, contempta hiemis asperitate ... ad vos . . . perveoire
cont^ndan).
57
nung der winterlichen Kälte würde hier unmöglich einen Sinn
haben, wenn die Taufe Ostern gewesen wäre. So leidet es
keinen Zweifel, die Taufe war Weihnachten 496.
Auch über den Ort der Taufe finden sich widersprechende
Angaben. Aber dass sie in Rheims geschah, giebt eine Quelle
ganz bestimmt an •). Die entgegenstehende Angabe des Bi-
schofs Nicetius in einem Briefe an Ghlodovechs Enkelin, wo-
nach die Taufe in der Kirche des heiligen Martin in Tours ge-
wesen wäre, scheint in der That nur auf einem Versehen zu
beruhen *).
Bestritten ist endlich auch die Zahl der in Rheims mit
Ghlodovech getauften Franken.
Es fragt sich vor allen Dingen, ist mit Ghlodovech zugleich
das ganze fränkische Volk getauft, oder nicht. Gregor giebt
die Zahl der Getauften auf mehr als 3000 an. Dies sind waf-
fenfähige Männer, ein Theil von Ghlodovechs Heere 3). Wenn
vorher, als Ghlodovech dem Volke seinen Entschluss mittheilt,
das ganze Volk bereit ist, die alten Götter aufzugeben , so ist
der Ausdruck wohl nicht buchstäblich zu nehmen. Man hat
wohl Stellen angeführt gegen die auf Gregor begründete Auf-
fassung, doch wird sie durch dieselben nicht erschüttert; die
eine dieser Stellen hat offenbar eine spätere Zeit im Auge 4)^
eine andere ist zu allgemein gehalten, um bestimmte Folgerun-
gen zu gestatten 5), eine dritte scheint auf Misverständnis zu
>) V. Vedasti, Bouquet III, 372: Quo (in Rheims) quantfsper mo-
ratus sacrae trinitatis fidem Chlodoveus professus baptismi graliam re-
cipiU
') Bouquet IV, 77 C und Anm. Von ihrer Grossmutter meint Nice-
tius habe Chlodoswind gehört, wie eifrig Chlodovech von Remigius un-
terwiesen , die Wahrheit zu erkennen gestrebt. Cum ista . . . probala
cognovit, humilis ad Domini Martini limina cecidit et baptizari se sine mora
permisit. Vgl. Rettberg I, 276.
^} De exercitu vero eius baptizati sunt amplius tria millia.
*) Brief des Hormisda V. Remigii, Bouquet III, 379 C: . . . Chludo-
wici, quem nuper ad fidem cum gente integra convertisti et sacri dono
baptismaüs consecrasti.
^) Brief des Papstes Anastasius an Chlodovech, Bouquet IV, 50 E:
quippe sedes Petri in lanta occasione non potest non laetari, cum plcni-
tudinem gentium intueatur ad eam veloci gradu concurrere.
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58
59
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beruhen *). Es geht auch aus andern guten Quellen hervor,
dass nicht das ganze Volk der Franken mit Chlodovech ge-
tauft wurde ; Avitus hofft, dass nach Chlodovechs Bekeh-
rung Gott auch das Frankenvolk bald ganz sich zum Eigenthuni
erwerben werde 2) ; Vedast zum Bischof von Arras erho-
ben hat noch zu thun mit der Bekehrung der Franken sei-
ner Üiöcese 3). So guten und so bestimmten Zeugnissen
gegenüber bedarf es keiner weitern Widerlegung der An-
nahme, dass das ganze Frankenvolk schon Weihnachten 496
übergetreten sei. Doch scheint es, als müsse Gregors Angabe,
über 3000 von Chlodovechs Heere seien mit ihm getauft, sich
noch eine Berichtigung gefallen lassen. Eine andre Quelle er-
zählt 6000 seien getauft % wieder eine andere 3000 Waff"en-
fähige seien getauft, ausserdem Weiber und Kinder &), eine
dritte, es seien 364 gewesen, freilich werden dieselben als
vornehme Franken bezeichnet. Die letzte Angabe verdient
keine Berücksichtigung 6) : die bei Gregor fehlenden Weiber
') Rede des Hinkmar, Baluz Cap. T. H, p 22(1. (vgl Dubos III, c. 19):
Hludovici regis Francorum inclili per beali Remigii . . . praedicationem
cum inlegra genle conversi et cum tribus millibus Francorum exceplis
parNulis et mulieribus . . . baplizati; vgl mit der Stelle der Gesta c. 15:
BaptJzantui- de exer< itu cius amplius quam tria millia viiorum. Bapti-
zantur sonores . . . ipsa die. Baplizalurque postea cunclus populus Fran-
corum cum gloria , woraus gewiss Hinkmar schöpfte.
'-) Bouquet IV, 50 B: unum quod vellemus augeri , ut quia Deus
gentem vesiram per vos ex tolo suam laciet — .
3) V. Vedasti Bouq. III, 372: Erat gratus penes aulam regiam (Ve-
dastus), nee valebat Francorum viros a profanis erroribus ex inlegro re-
trahere. Sed paulatim, quos per dulcia etfamina religionis subdebat, ec-
clesiae cipiebat sinu.
*) Hist. epit. c. 21 ; s. p. 56 n 1.
5) V. Remigii, Bouquet III, 377: Baptizantur aulem de exercitu eins
tria millia virorum exceptis parvulis et mulieribus. Dubos überschätzt
den Werth dieser Stelle, da er sie auf die alte V. Remigii zurückrührt.
*) V. Solennis, Acta SS. Boll. Sept. VII, 69 : Qui (Solennis) sacerdos
. . . assumsit secum sacrae legis cultores Remigium et Vedastum ... et
ad regem perveniens buptizavit eum cum omnibus dignitalibus suis et
simul cum eo duces 364 nobilissimos Francorum . . . Die Vita verräth
auch sonst leicht ihre völlige Unkenntnis: ist auch nicht alt. Rettberg I,
277 überschätzt ihren Werth.
und Kinder sind in den andern Quellen offenbar eine reine Zu-
that '), und es bleibt also doch bei der Nachricht Gregors.
Wenigstens erwähnt werden muss hier noch die wunderliche
Vermuthung 2), bei Anlass der Taufe habe ein Theil der Chlo-
dovech untergebenen Franken seiner Herrschaft sich entzogen,
um der alten heidnischen Rehgion getreu unter Ragnachars
Herrschaft zu leben ; sie findet in den Quellen keinen Anhalt 3).
Wann freilich Chlodovechs Franken ganz dem Chrislenthume
gewonnen waren, können wir nicht genau sagend]; aus dem
von Hinkmar mitgetheilten Briefe des Papstes Hormisda wird
man nicht schHessen: dass dies noch zu Lebzeiten des Bischofs
Remigius geschehen sei 5). Ebensowenig wissen wir, ob
Chlodovechs Uebertritt einen directen Einfluss auf die Chri-
stianisirung der übrigen salischen Franken ausübte. König
Chararich und sein Sohn waren Christen, als Chlodovech ihr
Reich in Besitz nahm ; von Ragnachar und seinen Brüdern,
ebenso von den übrigen Chlodovech verwandten Königen der
salischen Franken ist uns nichts Bestimmtes bekannt. Sie
scheinen Heiden geblieben zu sein 6). Ebenso die ripu^rischen
Franken unter ihrem Könige Sigibert.
Mit welchem Interesse man Chlodovechs Uebertritt zum
katholischen Glauben in der katholischen Christenheit vernahm,
welche Hoffnungen man daran zu knüpfen wagte, beweisen
uns noch zwei Zuschriften von hochgestellten katholischen
GeistHchen, welche Chlodovech bald nach seiner Taufe eni-
*) Die Abweichung der Hist, epit. ist nach dem Dafürhalten Bou-
quels Schreibfehler. Rettberg I, 277 meint, 3(100 hätten sich zur Taufe
entschlossen, jene 364 Edle seien mit (Chlodovech Weihnachten 496 ge-
tauft, die grössere Menge am nächsten Pascha gefolgt. So lassen sich
freilich die widersprechendsten Angaben vereinigen
*) Löbell 261. 266. Rettberg I, 275, wogegen Waitz Vfg. II, 48
n. 2.
^) Nicht einmal in der Stelle der V. Remigii, Bouquet III, 377 D.
Multi denique de Francorum exercitu necdum ad fidem conversi cum re-
gis parente Ragnacario ultra Summam fluvium aliquamdiu degerunt.
Dass dies Chlodovechs Franken waren , liegt gar nicht in den Worten
der Quelle.
.*) Vgl. die Stelle der Gesta c. 15, p. 58 n. 1.
^) S. oben p. 57 n. 4.
') S. n. 3.
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A
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pfänden hat. Die eine ist vom Bischöfe Avilus von Vienne,
welcher nach Kräften die Siiche des katholischen Glaubens im
arianischen Burgunderlande förderte. Der Brief soll seine Ab-
wesenheit bei der Taufe entschuldigen.
Avitus schreibt dem Könige ') erfreut, dass trotz der Bemü-
hungen der Irrgläubigen (Avitus meint otFenbar die Arianer) Chlo-
dovech für die wahre Lehre gewonnen sei. Während sie (die
KathoUken) ihr Geschick der Ewigkeit vertraut hatten, wahrend
sie dem jüngsten Gerichte die Entscheidung darüber anheim ge-
stellt, was ein jeder von Beiden Richtiges glaube, sei auch hier
in der Zeit ein Strahl der Wahrheit hervorgebrochen. Denn
die göttliche Vorsehung habe einen Richter gefunden. Chlo-
dovechs Wahl sei ein Urtheil für Alle. Jetzt werde man nicht
mehr wie früher den Ermahnungen der Priester, den Auffor-
derungen der Genossen, die Gewohnheit des väterlichen Ge-
schlechts und die Weise der väterlichen Sitte entgegenstellen.
Avitus lobt es, dassChlodovech von der ganzen Gescblechtsreihe
uralter Herkunft mit dem Adel allein zufrieden, gewollt habe,
dass, was nur immer jeglicher edelen Geburt Gipfel zieren
könne, für sein Geschlecht von ihm selbst ausgehe 2). Den Vor-
fahren gleich herrsche er in der Welt, im Reiche Gottes sei
er Vorbild der Nachkommen. Avitus freut sich, dass nunmehr
auch im Westen die rechtgläubige Kirche einen König erwor-
ben habe 3), dessen Wiedergeburt bedeutsam mit dem Geburts-
fesle des Erlösers zusammengefallen sei 4). Durch einen Bo-
') Bouquet IV, 49 ff. Avilus Viennensis episcopus Chlodovecho
regi.
^) De tolo priscae originU stemmate sola iiobilitale cüiitenli,
quiiiquid omiiis potest fastigium gencrositatis ornare, prosapiae vesdae
a vobis voiuistis e\surgerc. Die Erklärung der Stelle ist vernachläs-
sigt. Wenn man bedenkt, dass Chlodovech durch den Uebertritt zum
Christenthumo die alten liütter aufgab, kann man über das, was Avitus
sagen will, nicht schwanken. Wir wissen , dass bei andern deutschen
Stammen die königlichen Geschlechter sich von den Göttern herleiloten.
Das giebt Chlodovech auf: es bleibt ihm nur der .\del seines Geschlech-
tes; an Chlodovech ist es, nun durch den Ruhm, welchen er erwirbt,
den Glaoz, die Hoheit zu ersetzen, welche seinem Gescblechte bis dahin
Zurückführung auf die Götter gab.
^) Dies ist gesagt im Hinblick auf den oströmischen Kaiser Ana-
stasius, welcher nicht für ganz rechtgläubig galt.
') S. d. Stelle oben p. 56 n. 3.
61
ten benachrichtigt, hat Avitus am Weihnachtsfeste die Taufe,
welcher er persönlich nicht hat beiwohnen können, im Geiste
mitcefeiert j sich ausmahlend jenen w ellgeschichtlichen Augen-
blick, wo das von den Völkern gefürchtete Haupt sich zur
Taufe den Dienern der Kirche gebeugt hat •). .letzt hofft er,
werde die Taufe Ghlodovechs Waffen stärken 2) , wie sie bis-
dahin das Glück begünstigt. Ermahnen will Avitus den König
nicht : er bedarf nicht der Mahnung zum Glauben, zur Demulh,
zur Milde, da er sie schon bewiesen, wo sie von ihm noch
nicht verlangt werden konnten. Nur an eins erinnert Avitus:
bald werde Gott das Frankenvolk ganz sich zum Eigenthum
erworben haben : so solle er es nicht versäumen , Völkern,
welche noch unberührt durch falsche Lehre im Hcidenthume
lebten, vom Schatze seines Glaubens mitzutheilen : er solle die
Mühe nicht scheuen , durch Sendung von Heidenbekehrern
Gottes Reich zu fördern, welcher das seine so hoch erhoben.
Dann , meint er , würden auch die auswärtigen heidnischen
Völker Chlodovech anfangs der Religion wegen dienen , doch
bald ihm ganz zufallen 3)^ und eine gemeinsame Sonne werde
er strahlen, heller freilich denen in seiner unmittelbaren Nähe
durch sein Diadem, doch auch den Abwesenden durch seine
Herrscherwürde. Alles feiere mit ihm seine Triumphe , auch
die Kirche berühre sein Glück : so oft er kämpfe, siege sie.
Zum Schlüsse empfiehlt Avitus Ghlodovechs Mitleid den Sohn
des Laurentius.
Auch Papst Anastasius hat einen Brief gesandt *). Er ist
hoch erfreut, dass seine Erhebung auf den päpstlichen Stuhl
mit des Könics Taufe zusammengefallen sei. Der Stuhl des
Petrus müsse frohlocken, dass ihm die Menge des Volkes zu-
') S. d. stelle p. 55 n. 3
'■') Nee pudeat pigealque etiam direclis in rem legationibns adslru-
ere partes Dei, qui tantum vestras erexit : quatenus externi quoque po-
puli paganorum, pro religionis vobis primilus imperio serviluri, dünn ad-
huc in alios videntur habere proprietatem, discernani potius gentem quam
principem.
^) In Avitus Gundobad i J. 499 gegebener Antwort (s. unten) klin-
gen dieselben Ideen durch. Achnlictie Stellen bei Löbell p 260«
*) Bouquet iV, 50. Giorioso et illustri filio Cludoecho Anastasius
episcopus.
V
•I
62
ströme *). Diese Freude zu bezeugen , sendet er den Pres-
byter Eumenius, mahnend , der König möge im Guten behar-
ren, zur Freude der Kirche seiner Mutter; er möge ihr eine
eherne Säule sein, jetzt zumal in der Zeit der Anfechtung 2).
Doch hofft er auf den Herrn, welcher den Frankenkönig aus
der Macht der Finsternis errettet, und der Kirche einen Für-
sten zugeführt hat, welcher ihr Schirm und Schutz gewähren
könne. Er empfiehlt den Frankenkönig seinen geliebten, ruhm-
vollen Sohn, und dessen Reich dem göttlichen Schutze.
Gewiss haben es auch die katholischen Geistlichen, welche
Chlodovech als ihren König anerkannten, an Beweisen ihrer
Theilnahme nicht fehlen lassen. Namentlich sehen wir noch
aus einem Briefe des Remigius seine Sorge für den neugetauf-
ten König 3). Chlodovechs Schwester Albofled mit ihm zu-
gleich zum Christenthume übergetreten, starb sehr bald; Re-
migius war bemüht, den König zu trösten: wünscht Chlo-
dovech es, so will er trotz der Winterkälte, nicht achtend des
Weges Mühe, von Rheims nach Soissons kommen. Diese Sorge
ist gewiss eine aufrichtige.
In der That konnte die katholische Kirche frohlocken über
den neuerworbenen Christen ; Chlodovechs Uebertritt war für
sie ein Ereignis von der grössten Bedeutung: wir sehen es
aus den Briefen des Avitus und Anastasius, dass die Einsich-
tigeren dies wohl erkannten. Das arianische Bekenntnis
herrschte damals in allen deutschen Reichen des westlichen
Europa, das katholische war das unterdrückte. Jetzt gewann
die katholische Kirche eine feste Stätte in dem neubegründe-
len fränkischen Reiche, welchem man noch eine weitere Aus-
breitung prophezeien konnte. Einem solchen Reiche gesellt,
mussle sie einen gewaltigen Aufschwung nehmen. Das frän-
kische Reich war geeignet der Vermittler des Ghristenthums
auch für die noch heidnischen Deutschen zu werden 4); es
') p. 57 n. 5.
2) Laetifica ergo, gloriose et illusJris fili, matrem tuam et eslo illi
in columnam ferream.
^) Bouquet IV, 51. Domino illustri meritis, Chlodoveo regi Remi-
gius episcopus. - Vgl. mit firegor 11, 31 fin.
*) Ep. Avili Bouquet IV, 50 B : • ünum ergo quod vellemus au-
gerl, ut . . . uUerioribus quoque gentibus, quas in naturali adhuc igno-
63
konnte auf der andern Seite dem Arianismus beschränkend
entgegentreten, zum mindesten den Katholiken unter arianischer
Herrschaft seinen Schutz bieten. Allein auch Chlodovech ge-
wann durch seinen Uebertritt zum Christenthume und nament-
lich zum katholischen Christenthume viel. Er kettete ohne
Zweifel die nicht fränkische Bevölkerung der ihm untergebe-
nen Gebiete nördlich der Loire fester an sich, er gewann vor
allem die katholische Geistlichkeit für sich mit ihrer in den
Stürmen jener Zeit fest begründeten Gewalt über die Gemü-
ther der Menschen. Sie giebt Chlodovechs Regierung eine hö-
here Weihe, seinem Reiche auch äusserlich einen christlichen
(Charakter ^). Ja auch in den Chlodovech nicht untergebenen
Theilen Galliens richteten sich die Augen aller katholischen
Romanen auf Chlodovech, sie hoffen durch ihn Befreiung von
den verhassten arianischen Herrschern 2), wir werde^i sehen,
dass Chlodovech bei seinen Unternehmungen gegen Burgund
und das westgothische Reich eine fränkische Partei im Lande
hülfreiche Hand bot.
Es ist nun die Ansicht aufgestellt, schon Chlodovech habe
den für ihn aus seinem Uebertritte zum Katholicismus erwach-
senden Vortheil erkannt; er sei, eben um ihn sich zu sichern,
aus slaatskliigen Absichten Christ geworden 3). Im Gegensatze
zu dieser pragmatischen Auffassung haben andere im Uebertritte
Chlodovechs eine Wirkung des heiligen Geistes gesehen 4).
Es ist gewiss immer misslich in der Geschichte aus persönli-
ranlia constitutas nwlla pravonim dogmatiim germina corruperunl , de
bono thesauro vestri cordis fidei semina porrigatis
') Waitz Vfg. II, 4^ n. 4.
Interessant ist die Auffassung Ep. Nice^ii, Bouquet IV, 77 : Qui
(Chlodoveus) baptizatus quanta in haereticos Alaricum vel Gondobaldum
Reges fecerit audisti. S. auch Greg. I. III, prooem.
^) Planck, Gesch. der christlich kirchl. Gesellschaflsverfassung II, p
25 meint, aus Politik sei Chlodovech katholischer Christ geworden, um
die Bewohner des eroberten Landes für sich zu gewinnen, und so den
in Gallien gegründeten Staat zu befestig"en ; sodann, um einen Vorwand
zum Kriege gegen die ketzerischen Burgunder und Gothen zu haben.
^) Löbell p. 2IS9 ff, seine Ansicht 262; ähnlich Retiberg I, 274 ff.
Dem steht die ältere Ansicht Schlossers, Weltgesch. in zus. Erz. I, 102:
„Chlodovech nahm die christliche Religion an , oder vielmehr übte die
Ceremonien derselben statt der heidnischen" schroff genug gegenüber.
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eben Motiven zu viel herleiten zu wollen. Wir dürfen nicht
verkennen, dass das fränkische Volk und mit ihm. der Köniü;
von verschiedenen Seiten Einwirkungen erfuhren, welche noth-
wendig früher oder später zur Annahme des Christenthums
fuhren mussten. Seitdem Chlodovech an Syagrius Stelle ge-
treten, war er mit seinen Franken mitten hineingestellt in
eine Umgebung, wo das ganze Leben, die ganze Bildung
schon vom Christenthume durchdrungen waren. In stetem
Zusammenleben mit den katholischen Romanen konnten die
Franken diesen christhchen Einflüssen sich nicht verschliessen ;
sie waren denselben um so mehr ausgesetzt, als sie getrennt
waren von den filten Stätten ihrer heidnischen Gottesvereh-
rung. Auf Chlodovech selbst hat offenbar grossen Einfluss
geübt seine Gemahlin. Schon dass er als Heide eine Christin
heirathen konnte, wird uns ein Beweis dafür sein, welch eine
Geltung christliche Anschauungen bereits bei Chlodovech und
in seiner unmittelbaren Umgebung erlangt haben mussten.
Dass sie nach der Vermählung noch mehr an Kraft gewinnen
mussten, ist klar; Chlodovech hat es zugegeben, dass die bei-
den Sohne, welche ihm Chrotechildis vor seinem Uebertritte ge-
bar, christlich getauft wurden. Von Bedeutung ist auch Chlo-
dovechs persönliches Verhältnis zum Bischof Remigius von
Rheims, zu anderen Geistlichen seines Reiches *) ; die katholi-
sche Geistlichkeit wird es nicht versäumt haben, direct und
indirecl auf den fränkischen König, auf sein Volk einzuwir-
ken; selbst von aritinischer Seite scheinen Versuche gemacht
zu sein, den fränkischen König zu gewinnen 2): die katholische
Geistlichkeit wird nicht minder eifrig gewesen sein 3). . Was
Gregor von der Chrotechildis erzählt 4), dass sie durch das
Gepränge des christlichen Cultus bei der Taufe ihrer-Söhne auch
den starren Sinn Chlodovechs, welchen ihre Predigt nicht beu-
1
•) Auch die V. Vedasii und V. Arnulfi T^'issen von einem Einfluss
dieser Männer auf Chlodovech.
') Anfang des Briefes des Avitus p. 60.
^) ib : solent plerique . . . si pro expetenda sanilate credendi aut
sacerdotum hortatn aut quorumcunque sodalium suggestione monean-
tur, consuetudinem generis et ritum paternae observalionis opponere
*) Greg. II. 29.
65
gen konnte, einzuwirken gesucht, wird auch die katholische
Geistlichkeit beim fränkischen Volke nicht versäumt haben.
So erkennen wir, wie allmäblich, allein sicher, das heid-
nische Volk dem christlichen Glauben zugeführt werden muss-
te, und zwar dem kathohschen Bekenntnis, da dieses allein
in den Gegenden herrschte, wo das fränkische Reich begrün-
det war. Wann der Uebertritt geschah, ist da im Grunde von
geringer Bedeutung, denn erfolgen musste er doch einmal.
Was man auch immer von den Vorgängen in der Alamannen-
schlacht halten mag i), man wird zugestehen müssen, dass sie
nur für den Moment des Uebertrittes von Bedeutung gewesen
sein können; dieser selbst war eine geschichtliche Noth-
wendigkeit. Dass aber Chlodovech sich zum katholischen Glau-
ben wandte , ist für die Geschichte von der grössten Bedeu-
tung : nur so ward die unselige Spaltung der arianischen Ger-
manen und der katholischen Romanen beseitigt und jene innigb
Verschmelzung der beiden iNationalitäten möglich, welche be-
deutsam für das geschichtliche Leben der kommenden Zei-
ten geworden ist; durch Chlodovechs Taufe geschah zugleich
der erste Schritt, jene Verbindung des Germanenthums mit
der römischen Kirche zu begründen, in welcher Grösse und
Verlan des Mittelalters zugleich ihren Grund haben.
6. Der Krieor Chlodovechs wiit Burgund.
Von kleinen Anfängen ausgegangen, nahm Chlodovechs Reich
in Gallien gegen Ende des sechsten Jahrhunderts eine nicht unbe-
deutende Stellung ein. Nordwärts der Loire war dem Franken-
könige alles Land unterworfen, schon war durch die Unterwer-
fung der Thoringer, der Alamannen auch ins Innere Deutschlands
der Weg eröffnet. Durch die Annahme des Christenthums
hatte dies Reich im Innern eine grössere Einheit gewonnen,
gemeinsame Interessen bewegten nunmehr Franken und Ro-
•) Merkwürdiger Weise wird ihrer gar nicht gedacht an einer Stelle,
wo man vor allen Dingen Bezug auf sie genommen zu sehen wünschte,
in der Antwort des fränkischen Volkes, Gr. II, 31, als Chlodovech ihm sei-
nen Entschluss das Christenthum anzunehmen mittheilen will.
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66
manen. So konnte Ghlodovech jetzt Grösseres beginnen, hof-
fend, dass es ihm bestimmt sei , in ganz Gallien zu herrschen.
Wir werden sehen, dass ,eine Zeitlang der Gedanke einen
Kampf mit dem westgothischen Könige zu versuchen, dem
König nicht fern gelegen haben kann; doch ward hier der
Bruch noch vermieden. Dagegen hat sich Ghlodovech schon
im Jahre 500 gegen das andere deutsche Reich im südlichen
Galhen. gegen Burgund gewandt; die Verhältnisse scheinen
hier einem Versuche zur Eroberung nicht ungünstig gewesen
zu sein.
Wir beginnen auch hier mit Gregors Berichte über diese
Dinge: kommt es doch in unserm Zeiträume der fränkischen
Geschichte vor allem darauf an, seine Erzählung recht zu be-
greifen, vollständig auszunutzen *).
„Die Brüder Gundobad und Godegisel hatten, so beginnt
Gregor, das Reich zu beiden Seiten der Rhone und Saone mit
der massilischen Provinz, (d. h. mit einem Theile des Gebietes,
welches in der Römerzeit den Namen Provinz führte 2), inne.
Doch stehen beide sich feindlich gegenüber. Godegisel wen-
det sich heimlich durch Gesandte an Ghlodovech, von dessen
Siegen er gehört hat, mit der Bitte um Flülfe; so, hofft er,
werde es ihm gehngen , den Bruder zu tödten oder zu ver-
treiben. Dafür verspricht er Ghlodovech einen jährlichen Tri-
but zu zahlen, welchen dieser selbst bestimmen soll. Ghlo
dovech geht gern darauf ein. Zur bestimmten Zeit zieht er
') Gr. II. 2*2. 23. Die abgeleiteten Quellen bieten wenig von Be-
lang. Ueber eine Abweichung der Hist. epit. unten p. 68 n. 3. Die bei-
den Versionen der Gesta c. 16 weichen hier einmal naehr als sonst von
einander ab. Sie lassen abweichend von Gregor Gundobad und Gode-
gisel gemeinschaftlich zu Dijon gegen den heranziehenden Chlodovecii
kämpfen, und von ihm besiegt werden. Gundobad sei nach Avignon
geflohen. Von da an giebt die eine Version eine kurze üobersicht nach
Gregor, die andere folgt ihm wörtlich Beide lassen Godegisels Be-
lagerung in Vienne weg, eben so Chlodovechs Abzug. Für die Kritik
Gregors kommen diese Abweichungen nicht in Betracht. Sie erklären
sich leicht aus der Art abhängiger Quellen, einen ihnen vorliegenden
Bericht sich anzueignen. Die V. Remigii folgt auch hier offenbar der
kürzenden Version der Gesta; ganz willkürlich wirft alles durch einander
die V. Sigismundi, Bouquet III, 4(12. Die V. Chrolechildis schweigt
^) S. oben p 24 n. 3.
67
mit einem Heere gegen Gundobad. Dieser seines Bruders li-
stigen Anschlag nicht ahnend, ruft Godegisel zur Hülfe herbei.
So zieht Gundobad mit Godegisel gegen Ghlodovech ; es kommt
zur Schlacht bei Dijon an der Ansehe. Godegisel geht der
Verabredung gemäss zu Ghlodovech über, und beide reiben
Gundobads Heer auf. Dieser üieht an den sumpfigen Ufern
der Bhone hinab nach Avignon. Godegisel verspricht Ghlo-
dovech einen Theil des Reiches : er selbst nimmt seinen
Sitz in Vienne. Ghlodovech zieht mit verstärkter Macht Gun-
dobad nach, um ihn in seine Gewalt zu bekommen und zu
todten. Gundobad füixhtet plötzlichen Tod, doch der kluge
Aridius, an welchen er sich in seiner Bedrängnis wendet, rettet
ihn durch einen geschickten Anschlag. Derselbe lässt sich vom
burgundischen Könige vei^sprechen , er wolle handeln nach
seiner Vorschrift. Als habe er vom Gundobad sich losgesagt,
kommt nun Aridius zum Ghlodovech und bietet ihm seine Dien^
sie an. Ghlodovech nimmt ihn bei^eitwillig auf; seine trefflichen
Eiiienschaften erwerben ihm bald die Gunst des Frankenkönigs.
Jetzt tritt er mit seinem Anschlage hervor. Er stellt Ghlodo-
vech, dessen Heer von allen Seiten Avignons Mauern umgiebt,
\ür: ohne Nutzen belagere er Gundobad, welcher im festen
Avignon sich geborgen. Er verwüste das Land ringsum, ohne
doch Gundobad selbst schaden zu können. Lieber solle er
das Land schonen und von Gundobad durch Gesandte Tribut
fordern: so werde er den König beherrschen. Verweigere
Gundobad den Tribut, so könne er noch immer nach seinem
(iefallen handeln. Ghlodovech folgt diesem Rathe : er fordert
durch Gesandte vom Burgunderkönige jährlichen Tribut, wel-
chen dieser für das laufende Jahr zahlt und auch ferner-
hin zu zahlen verspricht Doch sobald Ghlodovech abgezogen
ist, denkt Gundobad, nachdem er seine Macht verstärkt hat,
nicht mehr an den versprochenen Tribut , er belagert Godegi-
sel in Vienne. Bald entsteht xMangel in der Stadt, Godegisel
muss das ärmere Volk ») aus der Stadt vertreiben , um sich
mit seinem Heere hallen zu können. Unter den Vertriebenen
JSl auch der Baumeister , welchem die Sorge für die Wasser-
') Die Bezeichnung minor populus bei Gregor ist doch
fassen.
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69
leitung anvertraut ist; erbittert über seine Vertreibung, wen-
det er sich an Gundobad, erhält von diesem eine Schaar BewaflF-
neter, und führt dieselbe durch die Wasserleitung mitten hinein
in die Stadt; mit eisernen Hebebäumen wird der Stein, welchoi
das Luftloch verschliesst, abgewälzt: so dringt der Feind ein
während Gundobad durch einen Angriff die Vertheidiger be
schäftigt. Die Stadt wird erobert, von beiden Seiten angegrif
fen, fallen die Vertheidiger; Godegisel flieht in eine Kirche und
wird hier mit dem arianischen Bischöfe ermordet. Eine Fran
kenschaar, welche beim Godegisel ist •), wirft sich endlich in
einen Thurm: doch Gundobad befiehlt, sie zu schonen; er
schickt sie als Verbannte zum Alarich dem Westgothenkönigd
nach Toulouse. Wer von den Senatoren und Burgundern sich
zu Godegisel gehalten, verfällt dem Tode. So beherrscht Gun-
dobad von neuem das ganze Burgunderland/'
So weit Gregor. Sein Bericht ist anschaulich, voll Leben,
von grossem Interesse durch die Genauigkeit, mit welcher der
Hergang auch im Einzelnen erzählt wird. Doch darf man
nicht verkennen, dass derselbe auch manche Eigenthümhch-
keiten darbietet, an denen wir schon öfter die nicht streng
historische Quelle erkannten. Es muss zugegeben werden,
dass des Aridius mit grosser Genauigkeit berichtete vermit-
telnde Thätigkeit während der Belagerung von Avignon an ei-
ner gewissen Unwahrscheinlichkeit leidet. Man wird kaum
glauben können, dass Ghlodovech die Vortheile eines Sieges.
welcher ihm so sicher schien, für einen jährlichen Tribut da-
hingegeben habe. Auch der umstand, dass Franken als beim
Godegisel zurückgelassen erwähnt werden, muss befremden 2)
weshalb sendet Gundobad sie zum Alarich? Wenn eine an-
dere Quelle 3) bestimmt angiebt, Ghlodovech habe sie zurück-
•) Denique Franci, qui apud Godegisolum erant, in unam turrim !^e
congregant. — Dass sie von Ghlodovech beim Godegisel zurückgelassen
sind, ist wahrscheinlich, allein nicht ausdrlidilich gesagt. Ludens üeber-
setzung „die Franken stellten sich in ein geschlossenes Viereck zusam-
men" ist doch sicher falsch.
') Luden III, 80 meint, sie hätten an den Frieden und an Chlodo-
vechs Waffen und Macht erinnern sollen.
3) Bist, epit c. 24: ... Chlodoveus rediit in Franciam, relictis cueü
Godegiselo quinque millibus Francorum. Exiens Gundobadus de Ave-
gelassen, ihre Zahl auf 5000 erhöht, und diese ganze Masse vom
Gundobad niedermachen lässt, so zeigt uns dies deutlich genug,
dass wir hier einen Zug der Erzählung haben , welcher ver-
schiedenartiger Ausbildung fähig ist. Freilich wird man diese
Bedenken auch nicht zu hoch anschlagen dürfen; wären un-
sere Nachrichten reicher , vielleicht würden diese Unwahr-
scheinlichkeiten hinwegfallen. Allein auch der ganze Ton, die
Haltung des Berichtes sind nicht die eines streng historischen
Zeugnisses. Eine gewisse ruhige , behagliche Breite der Dar-
stellung macht sich namentlich im ersten Theile bemerkhch;
hier finden sich ausgeführte Wechselreden, Ausmahlung von
für das Ganze unwesentlichen Zügen. Aridius Persönlich-
keit ist mit epischer Breite geschildert, namentlich werden
seine Eigenschaften sehr genau aufgezählt •). im zweiten Theile
des Berichtes, der Belagerung von Vienne, treten diese Eigen-
thümlichkeiten freilich weniger hervor, doch ist auch hier ein
Streben zu individualisiren unverkennbar 2) ; im ersten Theile
steigert sich dies fast zu novellistischer Behandlungsweise.
Verbinden wir nun damit noch das bei einer anderen Unter-
suchung gefundene Besultat 3). dass gerade der burgundischen
Verhältnisse schon in verhältnismässig früher Zeit die Dich-
tung sich bemächtigt hat, so müssen wir zugestehen, dass auch
in diesen Bericht möglicherweise schon Dichtung eingedrun-
gen sein kann. Gregor mag auch hier der Ueberiieferung ge-
folgt sein, welche noch zu seiner Zeit über Ghlodovechs Krieg
mit ßur^und im Munde des fränkischen Volkes fortlebte und
bereits eine gewisse poetische Ausbildung erhallen hatte.
nione lesumlis viribus, Godegiselum in Vienna circumdat, per aquae-
(luctum in civitatem ingrediens Godegiselum interfecit. Francos adgre-
gatüs in unam lurrem ferro trucidavil, nihilque postea Chlodoveo reddere
disponens.
') Habebat lamen secura virum ilhistreni Aridium strennuum atque
sapieiiteni . . . quem (Aridium) ille (Ghlodovechus) promtissime colligens
secum retinuit: erat enim iocundus in fabulis, sirenuus in consiliis, iu-
stus in iudiciis, in commisso ßdelis. — Das ist die Sprache der Dich-
tung, nicht der Geschichte.
'^) Man beachte Wendungen, ^ie „Ille vero indignans ... ad Gun-
dobadum furihundiis vadit." Dann „multis cum ferreis vectibus praece-
dentibus, erat autem spiraculum illius lapide magno conclusum."
^) S. oben p. 51.
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Dass er schon zu seiner Zeit ein grosses Gedicht über den Un-
tergang des burgundischen Reiches vorgefunden habe, werden
wir nicht annehmen »), doch war der geschichtliche Stoff schon
in einer gewissen Erweiterung begriffen, vermöge deren er
späterhin für die Dichtung um so leichter verwendbar wurde.
Wir haben bisher aus den charakteristischen Eigenthüm-
lichkeiten von Gregors Erzählung auf ihre Herkunft zu schlie-
ssen gesucht. Es kommt nun darauf an, nachdem wir diese
erkannt haben, den Bericht für die Feststellung des histori-
schen Thatbestandes zu benutzen. Da kommt es uns sehr zu
statten, dass noch eine andere von Gregor unabhängige Quelle
uns zu Gebote steht: es sind die Annalen des burgundischen
Bischofs Marius von Avenches 2). Wir erfahren hier, dass der
Krieg im Jahre 500 begonnen und beendet ist. Im Allgemei-
') Man vermisst vor allen Dingen das Hervortreten des Grundge-
dankens, dass Rache für den von Gnndobad begangenen Frevel den Fran-
kenkönig zum Kriege bewogen : denn in einem Gedichte vom Untergänge
Burgunds konnte diöser nicht fehbn. Freilich könnte man meinen, die-
ser Gedanke trete wirklich hervor in der Begründung von Ghlodovechs
Zug gegen Gnndobad nach Avignon: . . . ut eum de civitate extractum in-
teriraeret; doch ist ja Chlodovech auf Godegisels Wunschs — ut eum
fratrem) hello interficere aut de regno eiicere possim - eingegangen. Dass
ihn also Rache bewegt, liegt in den Worten durchaus nicht: eben so
wenig in Aridius Worten : „Cur retines exercitum, cum loco firmissimo
tuus resideat inimicus." Deutlich dagegen tritt dieses Motiv hervor Gr.
Iir, 6 in.
■') (500 ) Patricio et Hypatio. His coss. pugna facta est Divione
inter Francos et Burgundiones Godegeselo hoc dolose contra fratrem
suum Gundobagaudum machinante. In eo praelio Godegeselus cum suis
adversus fratrem suum cum Francis dimicavit, et fugatum fratrem suum
Gundobagaudum, regnura ipsius paulisper obtinuit : et Gundobagaudus
Avinione latebram dedil.
Eo anno Gundobagaudus resumptis viribus Viennam cum exercitu
circumdedit, captaque civitate fratrem suum interfecil, pluresque senio-
res sc Burgundiones, qui cum eo senseranf, multis exquisitisque tormen-
tis morte damnavit: regnumque quod perdiderat, cum eo quod Godege-
selus habuerat, reeeptum, usque in diem mortis suae feliciter gubernavit
Dass der Bericht Gregor gegenüber selbständig ist, beweisen die
sachlichen Abweichungen und die ganze Auffassung. Dagegen kommt die
wohl zufällige üebereinstimrpung mit Gregors Worten : Post haec re-
sumptis viribus . . . nicht in Betracht. — In dem ersten Absatz ist wohl
zu lesen : et fupato ß-atre mo Guncbhagaudo. Mitgetheilt ist die Stelle
bei Bouquet Bd. IT.
71
nen finden wir Uebereinstimmung mit dem Berichte Gregors;
doch übergehen die Annalen Wesenthches. Sie nennen Chlo-
dovech nicht als gegenwärtig, obschon sie die auf burgundi-
scber Seite handelnden Brüder nennen ; das Verhältnis Gode-
üisels zu den Franken würden wir kaum errathen, wenn wir
es nicht aus Gregor kennten. Ganz übergangen ist die Bela-
gerung von Avignon und der von Gundobad gezahlte, für spä-
tere Zeiten versprochene Tribut. Die Belagerung Godegisels
in Vienne ist dagegen berichtet, selbst Einzelnheiten der Ero-
berung sind erwähnt; genauer als bei Gregor wird das Resul-
tat des Bruderkampfes , die Vereinigung des gesammten Bur-
ijunderlandes unter Gundobad angegeben. Fassen wir alles
zusammen, so sehen wir in der burgundischen Quelle alles
für Burgund Bedeutsame berichtet; was die Franken allein an-
gebt, für Burgund nicht ruhmvoll ist, bleibt weg. Gregors Er-
zählung hebt dagegen mehr hervor, was für die Franken von
Bedeutung ist. Ganz vereinigen lassen sich beide Auffassun-
gen des Geschehenen nicht Namentlich sind die Ereignisse
nach dem Siege Ghlodovechs und Godegisels bei Dijon nicht
i;anz klar. Die Möglichkeit, auch bei Marius Worten: ,. Gundo-
bad verbarg sich in Avignon" an eine Belagerung zu den-
ken, ist nicht ausgeschlossen. Allein alles was Gregors Bericht
über dieselbe enthält, dürfen wir doch schwerlich in die be-
glaubigte Geschichte aufnehmen. Ob auch der Tribut, welcher
dem Chlodovech nach aufgehobener Belagerung für das Jahr 500
gezahlt, für spätere Zeit versprochen ist, der Dichtung angehört,
vermögen wir nicht zu entscheiden. Dass er nicht dauernd war,
ergiebt sich aus Gregors Bericht deutlich genug, vielleicht erwähnt
ihn deshalb die burgundische Quelle gar nicht. Dass aber
Chlodovech nicht Theile des burgundischen Landes für sich
erwarb, ergiebt sich aus dem spätern Verlaufe: das Verspre-
chen Godegisels ist durch die plötzhche Erhebung Gundobads
und seinen eigenen Tod unerfüllt geblieben.
Ausser unsern beiden vom fränkischen und vom bur-
gundischen Standpuncte aus geschriebenen Berichten haben
wir noch Nachrichten über einen Krieg der Franken mit den
Burgundern bei Procop ^). Doch unterliegt es keinem Zweifei,
') Procop de hello Gothico 1, 12.
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dass das hier Erzählte nicht den Krieg des Jahres 500, son-
dem den von 523 betrilTt >) : sei es nun , dass Procop beide
Kriege aus Unkunde verwechselt, oder mit Bewusstsein Spä-
teres da anreiht, wo er zuerst auf die burgundischen Verhält-
nisse gekommen ist 2).
Von grosser Wichtigkeit dagegen für die Erkenntnis des
Standes der Dinge ist eine Stelle der Acten des im Jahre 499
zwischen den katholischen und arianischen Bischöfen zu Lvon
gehaltenen Religionsgespräches 3). Was wir hier von neuen
Thatsachen erfahren, ist, dass bereits im Jahre 499 Chlodo-
vech dem Gundobad den Krieg angekündigt hatte. Er er-
scheint hier überhaupt mehr noch als in dem Berichte Gre-
gors als der eigentliche Veranlasser des Krieges: mit Gundo-
m
') Dies hat Manso, Gesch des ostgoth. Reiches p. 62 n. x. zuletzt
richtig erkannt. Schon Mascov II, 21 n. 2 trug Bedenken, Procop zu
benutzen.
*) Man muss das Letztere fast verniuthennach Procops Ausdrucksweise.
Er erwähnt einen Krieg der Franken gegen die Burgunder: xai ari airov
fpQayxoiXfjq /itv ic; aiWoiq ßiaq Öfn tm QivSn^üy^ov aniayovro, tni Hnvoyoi
timvaq de noXt/uo r^tßav. Das scheint der Krieg von 500 zu sein. Er
fährt fort voxtQov öS x. t. ;..• und kommt damit auf den Krieg des Jah-
res 523. Combinationsversuche, wie die von Dubos IV, 6, können wir
daher entbehren.
^) Bouquet IV, 100 A. Gundobad entgegnet auf Avitus Bitte, das
Religionsgespräch halten zu dürfen: .,Si vestra fides est vera, quare epi-
scopi vestri non impediunt regem Francorum , qui mihi bellum indixit ei
se aim inimicis meis sociavit, nt me destruereiit.'' Avitus antwortet: „Igno-
ramus, o rex, quo consilio et qua de causa rex Francorum facit quod
dicitis , sed scriptura nos docet , quod propter derelictionem legis dei
saepe subvertuntur regna et suscilantur inimici omni ex parte illis,
qui se inimicos adveisus Deum constituunt, sed redite cum populo ve-
stro ad legem Dei et dabit pacem. Nam si habebitis pacem cum illo,
habebitis et cum ceteris, et non praevalebunt inimici vestri." Am Tage
nach dem ersten Gespräche heisst es ib. 101 C. : „ingressi sunt ergo (epi-
scopi); et cum rex eos vidisset, surrexit in occursum eorum mediusquc
inter domnum Stephanum et domnum Avitum adhuc multa locutus est
contra Francorum regem, quem dicebat sollicitare fratretn snum contra
se. Sed cum responderenl praefati episcopi, quod non esset melior via
ineundi pacem, quam concordare in fide, et operam suam, si grate habe-
ret, pollicerentur pro tam sancto foedere conciliando, nihil amplius lo-
cutus est, sed unusquisque locum quem praecedenti die tenuerat occu-
pavit."
bads Feinden hat er sich vereinigt, um diesen zu verderben: sei-
nen Bruder (man kann nur an Godegisel denken) gegen ihn auf-
zuwiegeln versucht. Wer jene Feinde Gundobads sind, ist nicht
schwer zu errathen: man kann wieder an Godegisel denken;
Gundobad meint indes wohl eine den Franken geneigte Partei
in Burgund. Wir wissen, dass sich eine solche schon zu Ghilde-
richs Zeiten im nördlichen Theile des Landes fand >). Sie wird
vorzugsweise aus katholischen Romanen bestanden haben,
und mit Godegisel in der Schlacht bei Dijon zu Ghlodovech
übergegangen sein. Wie die katholischen Bischöfe zu diesen
Bewegungen standen, wissen wir nicht. Gewiss ist, dass sie
in einem Kriege Ghlodovechs gegen Gundobad einen Kampf
des Katholicismus gegen den Arianismus sehen mussten.
Doch geht man sicher zu weit, wenn man annimmt 2) ^ Ghlo-
dovech sei von ihnen zum Kriege gegen Gundobad bewogen,
da sie gehofft, dieser werde hart bedrängt, ihnen für Vermitt-
lung eines Friedens seinen Uebertritt zum katholischen Glauben
und mildere Gesetze für die Romanen zugestehen. Von eihem
solchen Zusammenbang der Dinge wissen wir nichts. Eben so
wenig dürfen wir annehmen, dass Ghlodovech von den Bi-
schöfen bewogen, abgezogen sei, nachdem Gundobad in Avig-
non belagert, ihren Wünschen entsprochen habe.
Was sich mit ziemlicher Sicherheit über den Hergang die-
ses Unternehmens Ghlodovechs gegen den burgundischen Kö-
nig feststellen lässt, ist also Folgendes.
Mit Hülfe einer fränkisch gesinnten Partei im Lande ver-
suchte Ghlodovech Gundobads Herrschaft zu stürzen. Er konnte
hoffen, bei dieser Gelegenheit einen Theil des Reiches, oder
das Ganze sich zuzuwenden. Er hat zu dem Ende Godegisel,
welcher, mit Gundobad im Zwiste, vielleicht ihm selbst entge-
gen gekommen war, bewogen, Gundobad zu verrathen. Ghlo-
dovech ist dann i. J. 500 in Burgund eingefallen, nachdem er
schon 499 Gundobad den Krieg angekündigt. Bei Dijon kommt
es zum Kampfe; Gundobad verliert die Schlacht, da Godegi-
sel zu Ghlodovech übergeht. Nach dem Siege beherrscht Go-
') S. oben p. 17.
'^) Dubos IV, 7; unter seinem Einflüsse ist wohl P^tignys Darstel-
lung entstanden.
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74
degisel zu Vienne eine Zeitlang das Reich seines Bruders,
Gundobad selbst hält sich an der Südgränze seines Reiches
in Avignon, Chlodovech scheint ihn hier belagert, doch die Be-
lagerung später aufgei-'eben zu haben. Welche Ereignisse das
herbeiführten, welche Bedingungen Chlodovech dazu bewogen,
muss unentschieden bleiben ; dass Chlodovech wirklich abzog,
unterliegt keinem Zweifel. Nun erhebt sich Gundobad wieder,
er belagert Godegisel in Vienne, erobert die Stadt, Godegisel selbst
mit seinem Anhange wird getödtet. Dem Gundobad fällt so
auch das Gebiet zu, welches früher Godegisel von Genf aus
beherrscht hatte; er herrscht bis zu seinem Tode über ganz
Burgund, bemüht durch Begünstigung der katholischen Roma-
nen sein Reich zu grösserer Einheit zu führen. So hat denn
allerdings Chlodovechs unternehmen zu ganz andern Folgen
geführt, als er erwartet haben mochte. Es blieb seinen Söh-
nen vorbehalten , die burgundischen Lande dem fränkischen
Reiche zu vereinigen. Zwischen Chlodovech selbst und Gun-
dobad muss es in der folgenden Zoit zu freundschaftlichen
Berührungen gekonmien sein *) ; in dem Kriege Chlodovechs
gegen die Westgothen werden wir Gundobad auf fränkischer
Seite finden.
7. Der Krieg Chlodovechs mit den Westgothen.
Chlodovech hat sich nach einer längeren Zeit der Ruhe
im Jahre 507 gegen Alarich, den König des w estgothischen
Reiches, gewandt; doch schon früher muss der Ausbruch
des Kampfes einmal nahe bevorgestanden haben. Theoderich
der Grosse , welcher die Verhältnisse seiner Zeit am klarsten
überschaute, erkannte die Gefahr, welche in einem Zusammen-
treffen Alarichs und Chlodovechs lag, und war deshalb eifrig
I
bemüht , dasselbe zu vermeiden. Von diesem Streben ge-
ben uns noch vier Briefe Theoderichs Zeugnis, welche in Cas-
•) Ein Beweis hievon V. Eptadii, Bouquet III. 3S0: Eodem tcmporp(?)
quo se ad tluvium Anorandam pacis mediante concordia duoriim regum
Burgundionura gentis et Francorum est coniuncta potentia. — Chlodo
vech erbittet bei dieser Gelegenheit sich Eptadius zum Bischof von Au-
xerre. Doch bleibt die Zeit ungewiss ; s. unten.
75
siodors Sammlung erhalten sind »). Sie sind an Alarich, an
Gundobad, an die Könige der Heruler, Guarner, Thüringer, an
Chlodovech gerichtet. Thaoderich ist bemüht, Alarich und
Chlodovech von offenem Kampf zurückzuhalten, durch befreun-
dete und verwandte Schiedsrichter bittet er sie ihren Streit
vermitteln zu lassen. Gundobad und die übrigen deutschen
Könige sucht er zu einem Bunde zu vereinigen. Scheu vor
der Feindschaft so vieler, hofft er, werde die streitenden Kö-
nige, namentlich Chlodovech, bestimmen, nachzugeben : zu dem
Ende wünscht er, dass der Bund gemeinschaftlich durch Ge-
sandte Chlodovech Vorstellungen mache. Diese Briefe sollten
den einzelnen deutschen Fürsten durch Theoderichs Gesandte,
es scheinen zwei gewesen zu sein, überbracht werden. Sie
haben den Auftrag, zuerst zum Alarich, dann zum Gundobad,
dann zu den Königen der Heruler, Guarner, Thüringer, und erst,
nachdem sie mit diesen sich geeinigt, gemeinschaftlich mit den
Gesandten aller dieser Könige zum Chlodovech zu gehen 2).
Für jeden dieser Könige, auch für Chlodovech hatte Theode-
rich seinen Gesandten besondere mündliche Aufträge mitgege-
ben ; die Briefe, welche sie überbringen, sind ihre Beglaubi-
gungsschreiben und daher in ganz allgemeinen Ausdrücken
gehalten. Dass diese Briefe wirklich abgesandt sind, haben
wir keinen Grund zu bezw eifeln, aber wann dies geschehen ist,
können wir nicht angeben 3). Theoderich tritt so dem Franken-
könige zum zweitenmal entgegen. Ungerecht würde es sein,
zu behaupten, nur Furcht vor dem nach allen Seiten hin sein
Reich erweiternden fränkischen Könige habe ihn zu diesem
') Cass Var. III, 1. Alarico regi Wisigothorum Theodoricus rex.
111,2. Gundibado regi Burgimdionum Th r. 111,3. Rerulorum, Gnarno-
rum , Thoringorum regibus Th. r. III, 4. Luduin regi Francorum Th. r.
■^) Cass. III, l : Et ideo . . legatos nostros illum et illum ad vos
credimus esse dirigendos : qui vob's et mandata nostra sufficienter in.M-
nuent, et usque ad fratrem nostrum Gundibadum vel alios reges cum
vestra voluntate deproperent.
Cass. III, 3 ; Et ideo vos ... legatos vestros una cum meis et
fratris nostri Gundibadi regis ad Francorum regem Luduin destinate.
^) P^tigny II, p. 5(M» setzt sie nach dem Vorgange Anderer (vgl.
Mascov II, p. 27 n. 1) unmittelbar vor den Ausbruch des Krieges. Da-
gegen scheint doch alles zu sprechen.
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76
Schritte bewogen. Vielmehr war Theoderich bemüht , ein ge-
wisses Gleichgewicht unter den neuentstandenen deutschen
Reichen zu erhalten , deren Könige er durch verwandtschaft-
liche Bande mit sich verknüpft hatte *). Als Haupt dieser Fa-
milie 2) j als Nachfolger des weströmischen Kaisers in Italien
glaubt er sich berufen, vermittelnd aufzutreten. Für den Au-
genblick mögen auch Theoderichs Bemühungen nicht ganz
ohne Erfolg geblieben sein. Gregor 3) erzählt noch vor dem
Ausbruch des Krieges, jedoch ohne nähere Angabe der Zeit,
von einer friedlichen Zusanunenkunft des westuothischen und
fränkischen Königs auf einer Loireinsel in der Nähe von Am-
boise 4). Ghlodovech sei bereitwillig der Einladung, welche
Alarichs Gesandle ihm überbracht, gefolgt. Beide Könige un-
terreden sich, sie essen und trinken zusammen und scheiden
dann friedlich mit dem Versprechen gegenseitiger Freundschaft.
In diesem Zusammentreffen darf man wohl einen Beweis des
erfolgreichen Strebens Theoderichs sehen ^). Allein auf die
Dauer hat Theoderich Ghlodovech nicht hemmen können. Kam
jener Bund wirklich, wie es Theoderich beabsichtigte, zu Stande,
so wird sich Ghlodovech während der Zeit seines Bestehens
gehütet haben, etwas zu unternehmen. Doch lange hat derselbe
jedenfalls nicht gedauert, und im Kriege stand Gundobad auf frän-
') .lordanis de rebus Get. c. 58 vgl. mit Procop de hello Golh. l,
12. Seine Tochter Tlieudigolha hat Theoderich Alarich, seine Tochter
Ostrogotha Gundobads Sohne Sigismund , seiner Schwester Amalafredri
Tochter Amaloberga dem Thuringerkönig Hermanl'ried (Cass. Var. IV, l),
seine Schwester Amalalreda dem Vandaleiikonige Trasamund (Cass Var.
V, |:^) vermählt Er selbst hatte eine Schwester (Ihlodovechs zur Ge-
mahlin (Greg. III, 31) ; hiess sie Audoltled (Jordanis), so ist sie von der
(Gr. II, 31) mit Ghlodovech zugleich zum Christenthura libergetrelenen
Albofled zu scheiden: dass es Lantechild gewesen sei, ist eine ganz un-
begründete Vermuthung Düntzers, Jahrbücher XV. a a. 0.
') Vgl. Cass. Var. III, 2: non sine invidia nostra geritur, si nohis
patientibus alfinium clade dimicetur etc. III, 4: Jure patris vobis (nainl.
Alarich und Ghlodovech) interminor et amantis.
^) Gr. II, 35. Die Gesta lassen das weg Ueber die anderen ab-
geleiteten Quellen siehe p 79 n. 2
*) Die Loireinsel ist gewählt, damit man sich auf neutralem Gebiet
treffen kann.
5) Fauriel II, 51.
77
kischer Seite ; die übrigen deutschen Könige haben sich vom
Kampfe ferngehalten. Eine alte Quelle >) erzählt, dass Ghlo-
dovech um das fünfundzwanzigste Jahr seiner Herrschaft, zu
Paris zwei Jahre lang am kalten Fieber krank darnieder gele-
gen, bis der heilige Severin ihn geheilt habe. Vielleicht hat
diese Krankheit den Ausbruch des Krieges verzögert.
lieber den eigentlichen Anlass zum Kriege enthalten Theo-
derichs Briefe, in welchen wir hierüber zunächst Aufschluss
suchen werden, nichts Bestimmtes. Es ist da nur von einem
Streite beider Könige über geringen Anlass die Rede 2j ^ aus-
drücklich wird darauf hingewiesen, dass ein eigentlicher Grund
zum Kriege nicht vorhanden war. „Keiner von Euch beiden",
schreibt Theoderich an Alarich , „hat Verwandtenblut zu rä-
chen, keinem ist eine Provinz entrissen; nur über Worte be-
steht ein kleiner Streit 3)." Wir werden gewiss nicht irren,
wenn wir die Schuld mehr auf Ghlodovechs als auf Alarichs
Seite suchen ; so viel an ihm lag, wünschte jener offenbar schon
damals offenen Krieg. Dagegen wirft eine andere Quelle 4) alle
Schuld auf Alarich. Wir müssen auf sie etwas näher eingehen.
Nachdem sie lange mit einander gekämpft, heisst es hier,
') V. Severini von einem Schüler geschrieben , Acta SS. ord. S.
Benedicti Saec. I. App. p. 568, auch bei Bouquet III, 392. Eodera tem-
pore cum Chlodoveus rex Francoruni anno XXV" regnaret in urbe Pa-
risius, tunc in corpore suo gravis obvenit infirmitas, typus frigoris per
duos annos, ut non a sacerdotibus loci illius, neque ab ullo inedico cor-
pori suo potueiit inveiiire medicinam. - Ihm wird gerathen, sich an den
heil. Severin zu wenden; dieser kommt ... Et cum orasset in ecclesia Dei,
domum regis se contulit ingressus et ante lectulum regis se in oratio-
nein prostravit. Et cum se elevasset , exuens casulam suam corpori
regis induit eam, et stalim dimisit eum febris. Mit dem 25. Regierungs-
jahre Chlüdovechs kommen wir auf das .Jahr 507. Da sie 2 .Tahr dauerte,
muss die Krankheit früher beginnen. Die Vita scheint das Jahr der Hei-
lung anzugeben.
■^) Cass Var. III, 1: lis vestra ; III, 2: sciant nos adversarios esse
contrarielatibus suis convenit enim tales tantosque reges non
inter se lamentabiles rixas quaerere.
^) Cass. III, 1 : non vos parentum fusus sanguis inflammat, non gra-
viter urit occupata provincia: adhuc de verbis parva contentio est: fa-
cillime transigitis, si non per arma vestros animos irritetis.
') Bouquet II, 463. Wir bezeichnen den Bericht der Kürze halber
als zweite Form des Fredegar, wo wir auf ihn zurückkommen.
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78
hätten Ghlodovech und Alarich durch Gesandte die Verabre-
dung getroffen, Frieden zu schliessen. Ein symbolischer Akt
soll den ewigen Frieden für beide besiegelen, indem Ala-
rich Ghlodovech, dessen Bart berührend, zu seinem geistlichen
Vater macht. Franken wie Gothen sollen dabei nur unbewaffnet
zugegen sein dürfen; Zeit und Ort werden bestimmt. Am Tage
des Termins ») kommt Paternus Chlodovechs Gesandter zum
Alarich, um zu fragen, ob die Gothen den Bestimmungen ge-
mäss unbewaffnet den Termin einhalten würden. Während
er mit Alarich spricht, erblickt er Gothen, welche trügerischer
Weise Waffen anstatt der Stäbe in der Hand halten 2). Pater-
nus entreisst einem von ihnen die Waffe, er macht Alarich
Vorwürfe, djiss er Verrath übe. Paternus verlangt, Theode-
rich, König von Itaheu, solle als Schiedsrichter die Sache enl-*
scheiden. Ein Abgesandter Alarichs und Paternus als Chlo-
dovechs Gesandter eilen vor Theoderich. Die Sache wird vor-
getragen, der westgothische Gesandte giebt das Vergehen, den
Bruch des Vertrages zu. Theoderich beiden Königen nicht
geneigt, hofft Vortheil für sich aus ihrem Streite. Er verschiebt
sein Urtheil einen Tag; dann bestimmt er, um den Zwiespalt
der beiden Küniiie zu nähren 3), eine Busse, welche den West-
gothen schwer zu erfüllen ist. Der fränkische Gesandte soll
auf den Hof von Alarichs Königspallast geritten kommen, mit
ausgestreckter Lanze. Dann sollen die Westgothen als Busse
Goldstücke um ihn aufhäufen, bis er sammt seinem Pferde und
der Spitze seiner Lanze davon bedeckt isL Alarich unvermö-
gend die Busse zu zahlen, versucht durch Trug frei zu kom-
men. Er bringt den Paternus auf einen Söller und lässt in
der Nacht die Stützen wegnehmen 4) offenbar m der Hoffnung
•) So ist ibi zu fassen; es bezieht sich auf Statuentes diem ad lo-
cum designatum ab inviceni. «
'^) GoUhi fraudulenter uxos pro baculis in manum fereotes. Nach
Fredeg. Schol. Chrou. c. 64 (Bouquet II, p. 438). Heraclius . . . extra-
hens uxum (al. eiisein. gladiuin] capul Falricii Fersarum truncavit — ist
UÄUS ein kurzes Schwert.
^) Tractansque in arcano cordis jam oUm celaverat cupiens inh
duobus regibus ab invicem semper esse discordes.
*) quem (Paternum) in solarium missuin , per noctem quod subpo-
situin erat ruens (Alaricus), fracto brachio vix tandein evasit (Paternus)
79
so den Zeugen von Theoderichs Entscheidung bei Seite zu
schaffen. Doch Paternus kommt mit gebrochenem Arm noch
lebendig davon. Am folgenden Tage zeigt ihm Alarich seinen
Schatz zum Beweise seines Unvermögens die Busse zu zah-
len; eidlich bekräftigt er, dass er nicht mehr habe. Da nimmt
Paternus ein Goldstück, steckt es in seinen Busen: er nimmt
so für seinen König den Schatz Alarichs in Besitz »). Darauf
kehrt er zum Ghlodovech zurück, welcher auf die Kunde vom
Geschehenen sofort den Krieg gegen Alarich beginnt.
Auch andere Quellen wissen von diesen Vorgängen , kom-
men aber nicht in Betracht , da sie mit unserm Berichte
übereinstimmen , oder auf ihm beruhen 2). Wir müssen die-
sen aus sich selbst beurtheilen. Da finden wir denn zahlreiche
Kennzeichen, an denen wir die nicht streng historische Quelle
schon öfters erkannt haben. Die Erzählung bietet im Einzelnen
manche UnwahrscheinHchkeiten: als Unrichtigkeit müssen wir
es bezeichnen, wenn im Eingange viele Kämpfe als der friedhchen
Annährung Chlodovechs und Alarichs vorhergehend erwähnt wer-
den. Die Geschichte weiss davon nichts. Vor allen Dingen aber
muss die Stellung und Thätigkeit Theoderichs Bedenken erregen.
Er fördert einen Zwiespalt beider Könige, welchen er, soviel wir
wissen, eifrig zu vermeiden bemüht gewesen ist. Sehen wir
auf das Formale , so sind Individualisirung, Ausführung selbst
unvvesenthcher Züge, ausgeführte Beden auch hier charakteri-
stisch, wie in dem Berichte über Chlodovechs Vermählung, in der
Historia epitomata, tritt ein gewisses Streben, die rechthebe
Seite des Vorganges zu betonen, hervor 3). Wir können so-
') übi Paternus unuin solidum de pugno extrahens, sinn projecit
dicens: „Ho» solidos adarrabo ad partem domini mei Chlodovei regis et
Francis."
■-) V. Remigii, Fiouquet III, 378: Et mittens legatum nomine Pater-
nuni virum industrium ad Alaricum regem de amicitiae inten eos con-
ditione mandavit. Alaricus vere cum per Paternum vellet Chludowicuin
decipere, exploratis quae circa eum erant et thesauris eins ingenlo sub-
arratis — erinnert auch im Ausdruck deutlich an unsern Bericht.
Die Hist. epit. c. 25 : Igitur Alaricus rex Gothorum cum amicitias
fraudulenter cum Chlodoveo inisset, quod Chlodoveus discurrento Pa-
terno legatario cernens adversus Alarictim arma commovet — ist eine
ganz kurze Fassung unserer Erzählung.
^) namentlich beim Bestimmen der Zusammenkunft , dem Urtheil
Theoderichs , der Besitzergreifung von Alarichs Schatz durch Paternus
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1
80
nach nicht zweifelhaft sein, dass wir auch hier einen Bericht
haben, in welchem sich schon die Dichtung der geschichtli-
chen UebeHieferung bemächtigt hat. Das bestätigt uns auch
die bestimmt hervortretende den Westgothen und Theoderich
feindsehge Auflassung. Wir müssen also den Bericht als einen
sagenhaften bezeichnen ; ob ihm Geschichte zu Grunde liegt
und wie viel, ist schwer zu entscheiden : möglicherw eise haben
wir hier eine poetisch ausgeschmückte Ueberlieferung über
jene Zusammenkunft Alarichs und Ghlodovechs bei Amboise «).
Die vermittelnde Thätigkeit Theoderichs zwischen beiden Köni-
gen ist dem Berichte bekannt, nur eigenthümlich aufgefasst^
oder wenn man will, entstellt. Das steht fest: für die Geschichte
können wir diese Erzählung nicht benutzen. Ueber den eigent-
lichen Anlass zum Kriege erfahren wir also auch hier nichts
Näheres 2).
Wir müssen uns begnügen mit dem , was Gregor er-
zählt 3)^ Chlodovech habe es nicht mehr dulden wollen, dass
die Arianer einen Theil Galliens beherrschten. Die katholi-
schen Romanen, vor allem die einflussreichen Geistlichen ha-
ben es gewiss an mancherlei Anregungen nicht fehlen lassen,
schon Theoderich erwähnt solche Bemühungen nicht undeut-
üch in seinen Briefen ^).
Als man auf beiden Seiten sah, dass der Zusammenstoss
nicht mehr zu vermeiden war, hat man mit Ernst gerüstet.
Nach Gregors Bericht versicherte sich Chlodovech der Zustim-
mung seines Volkes. Theuderich, Ghlodovechs ältester Sohn,
wird zum ersten Mal als Anlheil am Kriege nehmend genannt.
Der Sohn des ripuarischen Königs Sigibert, Chloderich, leistete
') Merkwürdiger ist dass der Eingang bei Gregors Bericht und der
zweiten Form des Fredegar sehr ahnlich sind.
^) Fauriel II, p. 47 stellt die ganz unbegründete Vermuthung auf,
man habe sich über die Unterwerfung der Thoringer entzweit.
3) Gr. II, 37.
•) Cass. Var. III, 1: ne videamini eorura immissione laborare, qui
maligne gaudent alieno certamine. Avertant enim divina . ut super
vos iniquitas illa praevaleat. III, 4: ... ut nullatenus inter vos scan-
dala seminet aliena malignitas. — Ihm rath Th. zu vertrauen .... quo-
niam qui vult alium in praecipites casus mittere, eum certum est tide-
liter non monere.
81
Hülfe; so scheint Chlodovech diesmal beträchtliche Streitkräfte
vereint zu haben «). Dann stand Gundobad der Burgunderköni"
auf seiner Seite ; derselbe bedrohte Alarichs rechte Flanke und
die Verbindung mit Italien. Einen mächtigen Bundesgenossen
hatte Chlodovech auch im Lande seines Feindes selbst an der
Stimmung der kathoüschen Romanen 2). Man sah Ghlodovechs
Krieg als einen Glaubenskrieg an, und Chlodovech selbst hat
diese Slinjraung getheilt und benutzt 3).
Minder zuversichtlich konnte Alarich in den Kampf gehen.
Die alte Kraft und kriegerische Tüchtigkeit der Westgothen
hatte abgenommen : der steten Kriegsübung der Franken
fürchtet Theoderich, möchten die Westgothen, durch lange Ruhe'
verweichhcht , nicht gewachsen sein **). .letzt musste ein Jeder,
welcher fähig war die Waflfen zu tragen, zum Heere sich stel-
len, das Handgeld des Königs annehmen 5); selbst der Einsied-
ler Avitus konnte sich dem Waffendienste nicht entziehen 6).
Hieraus dürfen wir wohl schliesseu, dass Alarich nicht genug
westgothische Krieger zusammenbringen konnte und daher selbst
Romanen heranziehen musste. Unter diesen haben sich in der
Stunde der Entscheidung die Bewohner der Auvergne ausgezeich-
net. Auch die Geldmittel scheinen Alarich nicht nach Wunsch zu
') Nach Jordanis de rebus Gelicis c. 58 fallen in einer Schlacht,
an welcher nur ein Theti des fränkischen Heeres theil genommen haben
kann, 30,000 Franken. Doch ist bekannt, wie wenig Glauben solche
Zahlenangaben in den Quellen dieser Zeit verdienen.
^) Gr. II, 36: Mulli jam tunc ex Galliis habere Francos dominos
summo desiderio cupiebant etc.
^) Spatere Quellen schmücken hier legendenhaft aus; s. V. Hemigii,
Bouquet HI, 378 D. Hätte Chlodovech auf Chrotechildis Anrathen und
also vor dem Kriege die Kirche der Apostel zu Paris gelobt, wie die V.
Remigii a. a. 0. und V. Chrothildis ib. p. 399 behaupten, so würde dies
Gregor II, 43 nicht übergangen haben.
•) Cass. Var. III, 1 : . . . tamen, quia populorum lerocia corda longa
pace mollescunt, cavete subito in aleam mittere quos constat tanlis tem-
poribus exercitia non habere.
^) V. Aviti Eremilae, Bouquet UI,390: Quod suae pertinaciae Vo-
tum (von Alarichs Krieg gegen Chlodovech ist die Kede) ut firmius ro-
borari videt , assensu suorum totius regni argenti ponderosa massa per
exactores in unum corpus conflatur: et quisque ex militari ordine viri-
bus potens donativum regis volens nolens recepturus per praecones ur-
gente senteotia invitatur, ^) S. ebendas.
6
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82
83
Gebote gestanden zu haben; er musste die Goldmünzen ver-
schlechtern »); Steuern ausschreiben, um das nöthigeGeld zusam-
menzubringen 2). Wie gefahrlich dieSympathieen derkathohscheij
Romanen für Ghiodovech werden konnten , hat Alarich gar wohl
erkannt. Frühere Strenge, namentlich gegen katholische Bischö-
fe 3), hat er gut zu machen gesucht, das Concil zu Agde ist er-
laubt, dasbreviariumAIaricianum erlassen; doch umsonst. Wenn
Alarich aber trotz seiner misslichen Lage den Kampf mit Ghiodo-
vech wagte, so zeigt das deutlich genug, dass derselbe unver-
meidlich war. Sein Rückhalt war Theoderich, doch konnte die-
ser nicht so schnelle Hülfe bringen, als nöthig war 4).
Wir wenden uns nun zur Darstellung des Verlaufes des
Krieges selbst an der Hand unserer Berichte ^). Sie bieten
hier eine reichere Ausbeute, als in irgend einem Theile von
Ghlodövechs Geschichte: fast alle Gattungen von Quellen mil
telalterlicher Geschichte sind vertreten ; zu den uns schon be
kannten kommen noch isidor in seiner gothischen Geschichte.
die für die früheren Zeiten des Mittelalters so unschätzba
ren Annalen, einzelne Stellen in Heiligenleben, Briefe Theode-
richs, Athalarichs, Chlodovechs. Die Quellen vertreten je naci
ihrer Herkunft einen fränkischen, westgothischen, ostgothischen
Standpunkt, und heben hervor, was für diesen von Wichti^keil
ist. Wir beginnen mit Gregor tmd den übrigen fränkischen
Berichten. Sie führen uns ein in die Anfänge des Krieges.
Gregors Bericht ♦>) verräth auch hier deutlich genug seinen
') Ep. Avili 78. Avitus beschreibt ehie Goldlegirung . . . vel illani
carte quam nupenime rex Gelarum seciiturae jiraesagatn minae inone(i>
pubiicis adulterinuin firmanteni mantlaverat. Vgl. Dubos IV, 9.
•-») S. S. 81 n. 5. h Vgl. Fauriel II, 52 ff.
*) Petigny II, 500 hcurtlieilt Theoderich zu hart, wenn er meint, er
habe helfen können, doch nicht helfen woiierj.
5) Die neueren Bearbeitungen , namentlich die von Petigny und
du Roure, histoire de Theodorique le Grand 1.465 11, II, I ff. Aschbach,
Gesch. derWestgothen 161 ff. befriedigen nicht; die folgende Darstellung
selbst soll eine Kritik derselben sein, doch sind sie hier im Einzelnen
nicht immer widerlegt.
*) Gr. II, 37. Die abgeleiteten Quellen geben wenig von Belang.
Die Gesla c. 17 weichen in der Erzählung des Krieges nur im Ausdruck
ab; doch bieten sie eine wichtige Nachricht mehr. Bei der Schilderung
des Marsches wird in den Gesta Manches weggelassen: eigenthümlich ist
Ursprung; unverkennbar tritt in ihm der legendenhafte Charak-
ter hervor. In Tours musste sich die Erinnerung an diesen
Krieg Chlodovechs, sei es in schriftlicher, sei es in mündlicher
Ueberlieferung, besonders lebendig erhalten haben : und aus ihr
ist offenbar Gregors Erzählung geflossen. Die Auffassung des
Krieges als eines Glaubenskrieges zur Bekämpfung arianischer
Ketzer ist gewiss nicht erst von ihm hineingetragen, er giebt
vielmehr hier wie überall die Nachrichten, wie er sie findet,
ohne eigne Zuthaten. Was Gregor berichtet fällt in die Jahre
507 und 508 *).
„Chlodovech , so erzählt er, sagt zu den Seinigen : Sehr
ungern ertrage ich es, dass diese Arianer einen Theil Galliens
ione haben. Auf, lasst uns mit Gottes Hülfe ausziehen und
nach errungenem Siege das Land unserer Gewalt unterwer-
fen. Da allen diese Rede gefiel, zog er nach Poitiers, denn
dort verweilte damals Alarich.'- Wann Chlodovech auszog,
wissen wir nicht genau, doch können wir vermuthen 2) dass
es im Frühjahr geschah. Dann liegt es nahe, jene Auffor-
derung zum Kriege auf die Miiizversammlung zu verlegen.
Auch von wo Chlodovech auszog, sagt Gregor nicht; doch
wissen wir 3), dass der fränkische Fünig in dieser Zeit schon
Paris zum Sitz seiner lierrschalt gemacht hatte. Zog er von da
aus, so ward wohl bei Orleans die Loire überschritten: die Stadt
Tours ist nicht berührt worden, nur ein Theil von Chlodovechs
Heer durchzog das Gebiet der Diöcese. Die weitere Richtung
des Marsches ergiebt sich dann von selbst , die Vienne über-
schreitend gelangte Chlodovech nach Poitiers 4).
ihnen die Anekdote vom Pferde Chlodovechs. Die V. Chrotechildis ist
über den eigentlichen Krieg kurz; sonst folgt sie den Gesta; auf diesen
beruht auch die V. Kemigii , doch hat sie noch mehr Legendenhaftes
autgenommen. Eigene Nachrichten über die Folgen des Krieges haben
die beiden Formen der Hisloria epilomata.
') Der Krieg wird in einer alten Handschrift Gregors (Bouquet II,
|)raef. p. VII) in Chlodovechs 25. liegierungsjahr gesetzt, also 507, den
VVinter SOVg war Chlodovech in Bordeaux.
■■*/ Die Vienne ist angeschwollen.
^) Vgl. oben p. 77 n. 1.
*) Petigny n, 503 meint, er habe die Loire bei Amboise überschrit-
ten , sei, ohne Tours zu berühren, über Loches nach Poitiers gezogen.
Gewissheit kann man hier nicht geben.
8*
85
Was wir von den Vorfällen des Zuges selbst aus Gregors
Bericht erfahren , ist zum Theil von Wichtigkeit für die Auf-
hellung des geschichtlichen Herganges ; Anderes aber ist durch-
aus legendenhaft. So hören wir, dass Chlodovech strenge
Mannszucht hielt. Als ein Theil des Heeres das Gebiet von:
Tours durchzog , erlaubte er seinen Kriegern nur Gras und
Wasser zu nehmen. Als er hört, dass ein Krieger einem Ar-
men gewaltsam Heu genommen hat, ersticht er ihn mit eigner
Hand; „wo bleibt unsere Siegeshoffnung, wenn der heiUge
Martin beleidigt wird", soll er gesagt haben. Vor Foitiers an-
gekommen, gab Chlodovech dann dem ganzen Heere das Ver-
bot, friedliche Wanderer zu berauben, oder Jemandem die
Habe zu nehmen. Auf andere, in demselben Sinne getroffene
Bestimmungen können wir aus einem Briefe des Königs
schliessen, welcher nicht lange nach dem gothischen Kriege
an die Bischöfe des eroberten Gebietes izeschrieben ist M. Es
geht aus diesem Briefe hervor, dass Chlodovech, als er mit
seinem Heere das westgolhische Gebiet betrat, einen Frieden
verkünden Hess, zunächst für die Diener der Kirche, die gotl-
geweihten Jungfrauen und Wittwen im ganzen westgothischen
Reiche : doch auch Cleriker und die Söhne der zuerst genann-
ten Geistlichen und Wittwen , welche mit diesen in ihren
Hausern lebten , sind in denselben einbegriffen. Der Friede
schirmte Freiheit und Besitz , er schützte auch die zum Kir-
chenvermögen gehörigen Knechte vor gewaltsamem Raube.
Ausserdem scheinen bestiinmte Gegenden befriedet zu sein ^j:
hier sind Geistliche und Weltliche gleichmässig vor Gefangen-
schaft geschützt. Solche Bestimmungen mussten die katholi-
schen Romanen, vor allem die Geistlichkeit gewinnen.
Weiter erzahlt Gregor, wie Chlodovech Gesandte mit Ge-
schenken zur Kirche des heiligen Martin in Tours schickt , in
') Bouquet IV, 51.
"0 Es werden bestimmt unterschieden „captivi laici, qui extra pa-
cem sunt captivati" (doch wohl nicht mitDubosIV, 12 „les captifs laiques
qui auraient ^te pris portant les armes conlre nous)" und „hi qui in
pace nostra tarn clerici quam laici subrepti fuerint." Dass dies nicht
dieselben sind, welche bis zu den Worten: de ceteris quidem etc. aufge-
zählt sind, ist klar.
der Hoffnung, ein günstiges Vorzeichen zu erlangen. Als die
Boten die Basilika betreten , stimmt der Vorsänger in der An-
tiphonie plötzlich einen siegverkündenden Vers des Psalmisten
an : erfreut melden die Boten ihrem Herrn das günstige Vor-
zeichen. Schon das ruht auf kirchhcher, legendenarti^^er Tra-
dition; allein noch entschiedener Legendenhaftes über den 2u^
Chlodovechs nach Poiliers hat Gregor aufgenommen: eineHirsch-
kuh zeigt dem Könige auf sein Gebet den Weg durch die vom
Regen angeschwollene Vienne; als er vor Poitiers angekom-
men, sich gelagert hat, leuchtet ihm von der Kirche des hei-
ligen Hilarius Feuerschein siegverkündend entgegen ») ; eine
Frankenschaar , welche vor der Schlacht plündernd im Gebiet
von Poitiers umherzieht, erfährt die wunderlhätige Macht des
Abtes Maxentius 2j. Solche Erzählungen sind charakteristisch
für die Auffassung des westgothischen Krieges zu Gregors
Zeit; für die Aufklärung des geschichtlichen Hergangs haben
sie keinen Werth.
W^ährend wir bisher Historisches und Legendenhaftes in
Gregors Bericht vereint fanden, tritt in seiner Erzählung von
der entscheidenden Schlacht und dem weitern Verlaufe des
Krieges das Legendenhafte zurück, nur einmal findet sich noch
etwas derartiges 3).
Alarich hatte Chlodovech bei Poitiers an der Gränze des
westgothischen Landes erwartet, doch scheint es nicht gleich
nach Chlodovechs Ankunft zur Schlacht gekommen zu sein *).
„König Chlodovech, wird in Gregors Berichte erzählt, traf mit
Alarich, dem Westgothenkönige, auf dem Felde von Vougle, zehn
Millien nördlich von Poitiers zusammen; am Flüsse Ciain, wie
eine Quelle ergänzend hinzufügt 5). Die Westgothen begannen
') S. auch V. Hilarii, Bouquet III, 380 u. n. 3.
■^) Vgl. V. Maxentii, Acta SS. ord. S. Bened. Saec. I, App. 578. Bou-
quet III, 390 noch ausgeführter und legendenhafter.
^) S. p. 86 n. 5.
^) Greg. 1. 1. : veniente aulem rege (Chlodovecho) apud Pictavis dum
eminus in tentoriis commorarelur, pharus ignea . . . visa est ei . .
5; Gesta: in campo Vogladise super fuvium Clinnum. Hist. epit. I:
in campania Voglavensi, II: in campania Vcglavensem; V. Remigii, Bou-
quet 111,379: in campo Mogotinse; vgl. ßou .'lets Note, wonach ein Klo-
ster des Namens (de Meugon) am linken Ufer .^es Ciain Veranlassung zu
dieser Bezeichnung der Schlacht ist.
^T'l
;
.
86
87
den Kampf aus der Ferne, die Franken brachten ihn zum Hand-
gemenge *). Da die Westgothen nach ihrer Weise den Rü-
cken wandten, erlangte Chlodovech mit Gottes Hülfe den Sieg.
Ihm stand hülfreich des ripuarischen Königs Sigibert, des Hinken-
den, Sohn Chloderich zur Seite. Als auf der Verfolgung Chlodo-
vech Alarich mit eigener Hand getötet '^), dringen zwei feindliche
Krieger plötzlich auf ihn ein, ihre Lanzen treffen ihn von beiden
Seiten, doch sein fester Panzer, sein schnelles Pferd retten ihn
aus der drohenden Gefuhr. Der grösste Theil der Auvergna-
len , unter ihnen viele Mitglieder senatorischer Familien, wel-
che geführt vom Apollinaris, des Bischofs Sohn, am Kampfe
theilgenommen, fallen; ihr Führer kommt lebendig davon 3^. Nach
der Schlacht flieht Amalarich, Alarichs Sohn, nach Spanien, und
Irilt die Herrschaft des Vaters an. Chlodovech dagegen ent-
sendet seinen Sohn Theuderich durch das Gebiet von Albv
und Rhodez nach der Auvergne. Theuderich zieht aus und
unterwirft alle Städte vom Gebiete der Westgothen aus bis zur
Gränze der Burgunder ^) der Gewalt seines Valers. Chlodo-
vech bringt in Bordeaux den Winter (50%) zu ; im folgenden
Frühjahr fällt mit Toulouse der ganze Schatz Alarichs in seine
Hände. Dann zog er vor Angouleme : der Herr gab Chlodovech
solche Gnade, dass vor seinem Blick die Mauern zusammen-
stürzten 5). Nach Vertreibung der Westgothen unterwarf er
sich die Stadl. Nach diesen Thaten kehrte Chlodovech nach
Tours zurück und weihte hier der Kirche des heiligen Marlin
') et contligentibus his eminus, resistuntcomminus illi. — Abweichend
Giesebrecht a. a. 0.: „und während der eine Theil ins Handgemenge kam.
kämpften die Andern aus der Ferne mit ihren Geschossen."
^) Dass diese AwtTassung die richtige ist, ergiebt sich aus andern
Quellen, vgl. p. Ö8; ebenso V. Eptadii, Bouquet III, 381 C. Die beiden
Erzählungen des Fredegar und die Gesta haben Gregor richtig verstanden.
^) Das geht aus Greg. III, 2 hervor.
*) Qui (Theudericus) abiens urbes illas a ßm'bm Gothortim nsqnc
Burffundionum terminum patris sui ditionibus subiugavit. — Es scheint,
dass die Auvergne als zuletzt erworbenes Gebiet hier von dem übrigen
westgothischen Reich geschieden wird, denn offenbar meint Gregor die
Städte der Auvergne.
*) Luden III, 90 vermuthet nicht ohne Grund, das Benehmen der
katholischen Romanen habe die Eroberung erleichtert. Nach den Gesta
werden die Westgothen getötet.
viele Geschenke." Als Ergänzung von Gregors Bericht dürfen
wir die Nachricht aufnehmen, dass Chlodovech nach Unterwer-
fung des Landes frankische Mannschaft in der Saintonge und
im Gebiete von Bordeaux zurückliess zur Vernichtung des
westgothischen Volkes i). „Von Tours ging Chlodovech dann
nach Paris und nahm dort den Sitz seiner Herrschaft. Auch
Theuderich, sein Sohn , kam dorthin 2)."
So weit Gregors Bericht. Er beschränkt sich auf das
für Chlodovech und das fränkische Reich Bedeutsame. Die
Folgen der Schlacht von Poitiers, von Alarichs Tod für das
westgothische Reich, die Theilnahme Theoderichs des Grossen
lernen wir aus andern westgothischen und ostgothischen Quel-
len kennen; aus ihnen gewinnen wir das zur Ergänzung Gre-
gors nothwendige Gegenbihl. Es kommen hier besonders
in Betracht : Isidors von Sevilla westgothische Geschichte
und die augenscheinlich auf eben dieser beruhende Ueber-
sicht der Regierungen der westgothischen Könige. Beide be-
handeln den Krieg im Zusan)menhange. Andere Quellen heben
dagegen einzelne Ereignisse hervor, welche für sie von beson-
derer Bedeutung sind : die Zusätze zu den Annalen des Vik-
tor Tunnunensis, die Annalen Cassiodors und des burgundi-
schen Bischofs Marius von Avenches. Sie sind von besonde-
rem Werlhe auch dadurch, dass sie Angaben der Jahre ha-
ben. Dann berührt Jordanis ein wichtiges Ereignis des Krie-
ges 3) , ebenso die Vita Caesaiii ^). Dazu kommt eine Anzahl
Briefe in Cassiodors Sammlung. Es unterliegt keinem Zweifel,
dass wir die iNachrichten aller dieser Quellen, so lange sie
sich nicht widersprechen, mit einander verbinden dürfen.
Für die Ereignisse , welche uns aus Gregors Bericht schon
bekannt sind , ergiebt sich freilich wenig Neues. Wichtig
ist es jedoch, dass die Schlacht bei Vougle oder Boglodoreta,
wie die Quelle hat 5) , bestimmt ins Jahr 507 gesetzt wird;
') Gesta a. a. 0.: ... atque ita omni terra eorum subiugata, in
Santonico vel Burdigalense Francos praccepit manere ad delendam Go-
Ihorum gentem.
') Greg. II, 38.
^) Alle diese Quellen sind mitgetheilt im Anhange.
'•) Bouquet III, 384.
^) Victor Tunnunensis App. ; s. oben p. 83 n. 1.
88
89
auch unsere Auffassung von Gregors Erzählung, dass ChJodovech
den Alarich mit eigener Hand getötet, bestätigt sich aus zwei
Quellen >K Bedeutender noch ist die Nachricht. dassChlodovech
mit Hülfe der Burgunder gegen Alarich den Krieg begann 2)
wir müssen es vor der Hand unentschieden lassen, ob die
Burgunder am Kampfe bei Poitiers Theil nahmen , nach den
Worten der Quelle ist diese Auffassung möglich , doch nicht
nofhwendig.
Isidor erzählt dann weiter , dass Theoderich König von
Italien auf die Nachricht von seines Schwiegersohnes Tode ei-
lig von Italien aufgebrochen sei, die Franken besiegt und ei-
nen Theil des Reiches, welchen eine feindliche Schaar in Be-
sitz genommen , den Westgothen zurückerobert habe. Nach
Cassiodor sandte indes Theodorich im Jahre SOS nur ein Heer
nach Gallien, und erwarb so nach einem Siege über die Franken
das durch ihren räuberischen Einfall beunruhigte Gallien für
si-'b. Jordanis hat offenbar dieselben Vorgänge im Au^e
wenn er berichtet, Theoderich habe durch seinen Grafen Ih-
bas 3, in Gallien einen Sieg über die Franken errungen, mehr
als 30000 seien in der Schlacht gefallen. Diese Nachrichten wi-
dersprechen sich aber in zwei Punkten : in Bezug auf Theode-
richs Anwesenheit in Gallien und auf die Folgen der Schlacht.
Dass Theoderich nicht selbst in Gallien war, steht durch Cas-
siodors ausdrückliches Zeugnis fest; seine Angabe über den
Erfolg der Schlacht verdient dagegen weniger Glauben : wir
wissen, dass er nicht immer ganz unparteiisch die Geschichte
seines grossen Königs auffasst4): hier folgen wir Isidor. Da-
gegen giebt Cassiodor richtig an , dass Theoderich das Land
für sich erwarb. ~ Ohne Zusammenhang mit diesen Vorgän-
gen steht die Nachricht des Marius von einem Beutezuge des
gothischen Führers Mammo gegen einen Theil Galliens im Jahre
') Isidor und die Series. Dann V. Caesarii, Bouquet III, 384:
iam Aiarico a victoriosissimo Chlodovaeo in certamine peremto.
■^) Isidor.
*) Ich behalte hier die recipirte Namenslorm bei. Jordanis hat
Hihbas, Cassiodor in den Briefen Ibas, die Zusätze zum Viktor haben
HelhaSy was für Hebbas nur verschrieben ist.
*J So z. B. im Chronikon s. a. 489 u. 493.
509. Da die burgundische Quelle ausser diesem Ereignisse
gar nichts von den Vorgängen des westgothischen Krieges
berichtet, liegt die Vermuthung nahe, dass Burgund durch
dasselbe besonders betroffen sei. Nun erlässt Theoderich
den Anwohnern der cottischen Alpen für die dritte Indik-
tion , das Jahr 510, die öffentlichen Abgaben, weil sie durch
den Durchzug seines Heeres arg gelitten haben »). Die Pässe
der cottischen Alpen führen ins Dürancethal ; ein Heer, wel-
ches diesen Weg nahm , musste das benachbarte feindliche
Gebiet der Burgunder berühren. Es ist daher nicht unwahr-
scheinlich, dass Marius Annalen denselben Zug im Auge ha-
ben, von dem wir aus Theoderichs Briefe wissen, welcher
doch ohne Zweifel auch Vorgänge des Jahres 509 im Auee
hat 2\. Jedenfalls aber ist die Nachricht der Annalen uns ein
Beweis, dass Theoderich auch nach dem erfochtenen Siege
des Jahres 509, welcher ihn zum Herrn von einem Theile
des früheren westgothischen Beiches machte, Truppen nach
Gallien senden musste, sei es um die gemachte Eroberung zu
behaupten , sei es um den Sieg noch weiter zu verfolgen.
Isidor wendet sich von den Erfolgen Theoderichs zu den
Verhältnissen des westgothischen Beiches. Hier wird im Jahre
507 Gesalich 3) . Alarichs natürlicher Sohn , zu Narbonne zum
Könige erhoben. Er regiert vier Jahre , ein Mann niedrig
von Herkunft, ausgezeichnet durch Unglück und Feigheit. Da
Narbonne vom Burgundorkönige Gun#)bad erobert ward,
begab er sich mit Schimpf und Schande und grossem Ver-
luste der Seinigen nach Barcelona. Dort blieb er , bis er in
schimpflicher Flucht vor Theoderich die Herrschaft lassen
') Cass. Var. IV. 36. Fauste praef. praet. Th. r. — . . . atque ideo
illustris magnificenna tua provincialibu.s Alpium Cottiarum assem publi-
cum per ind. III. nos relaxasse cognoscat, quos transiens noster exer-
citus more fluminis dum irrigat oppressit. — Die folgende Ausführung
zeigt, dass die Verwüstung, von welcher Marius spricht, kein zu harter
Ausdruck ist.
^) Petigny II, 325 denkt gewiss mit Unrecht an einen Angriff der
Westgothen.
^) Areval giebt die Namenoform Gusahicus, die Zusätze zu Victor
haben Gesalecm, ebenso Cassiodors Briefe , die Series Gesalaiem. Ich
habe die übliche Namensform beibehalten.
90
musste »). Er ging von Spanien nach Afrika und suchte
Hülfe bei den Vandalen , um wieder in sein Reich eingesetzt
zu werden. Doch erlangte er sie nicht und kehrte von Afrika
zurück. Aus Furcht vor Theoderich floh er nach Aquitauien
Nachdem er sich hier ein Jahr lang verborgen, kehrt er nach
Spanien zurück und wird vom Feldherrn Theoderichs zwölf iMil-
lien von Barcelona in einer Schlacht überwunden. Er muss
fliehen, geräth in Gefangenschaft und wird in GaUien getötet
jenseits des Flusses Dürance, also w ohl in der Provence 2). So
verhert er zuerst die Ehre, dann das Leben. — Die Zusätze zum
Viktor setzen den ersten entscheidenden Sieg der ostgothischen
Macht unter Ibbas über Gesalich, in Folge dessen dieser nach
Afrika floh, ins Jahr 510, dienen also hier zur Ergänzung von
Isidors mehr unbestimmt gehaltenen Nachrichten. Ausserdem
berichten sie , Gesalich habe vor seiner Vertreibung den Goe-
rich in Barcelona getötet. Veilichs Tod, den sie ebenfalls
melden, wird wohl eine Folge der in Barcelona durch die
Ankunft der Ostgothen erfolgten Umwälzung sein. Nach Ge-
salichs Beseitigung hat dann Theoderich der Grosse fünfzehn
Jahre lang über Spanien geherrscht bis zu seinem Tode 526.
Nach Jordanis war dies eine vormundschaftliche Regierung , er
nennt Thiodes als den von Theoderich für seinen Neflen Ama-
larich bestellten Vormund : doch mochte diese vormundschaft-
liche Regierung von wirklicher Herrschaft wenig verschieden
sein, zählte man doA seit dem Jahre 510, wo Gesalich vor
der ostgothischen Macht fliehen musste, in Spanien die Regie-
rungsjahre des Theoderich 3) .- erst mit dem Tode dieses be-
ginnt Amalarichs Reich.
') Aschbaoh {). 174 fas>st Gesaliciis Flucht als Venatli. In der
Quölle liegt das nicht.
^) Die Series zieht Isidors Bericht offenbar zusammen , sie kommt
deshalb für die Kritik nicht in Betracht.
Bouquet IV, 4G0: „Gesalicus regnavit annos III et in latebra an-
num I." in einer Uebersicht der weslgothischen Könige ist eine richtige
Abtheilung.
^) Dubos IV , 12.
Concil. Agripp. T. I, p. 963 : In nomine Christi habita synodus
Terragonae anno sexto Theodorici regis , cos. Petro (516).
ib. p. 1048: Concilium Gerundeose anno septimo Theodorici re-
91
So gewinnen wir aus den bisher behandelten westgothischen
und ostgothischen Quellen einen ziemhch vollständigen Ueber-
blick über den Verlauf des Krieges. Wir sehen, was für das
vvestgothische Reich von Redeutung ist , wird hervorgehoben :
die Schlacht von Poitiers , welche über den Restand des tolosa-
nischen Reiches entschied ; der Erfolg des ostgothischen von
Theoderich 508 gesandten Heeres in Gallien gegen die Feinde
der Westgothen ; Theoderichs Eingreifen in die Verhältnisse
des westgothischen Reiches, wo grade jetzt ein kräftiger Arm
fehlte. — Halten wir uns auf dem Standpunkte einer Kritik
Gregors , so muss es allerdings aufl^allen , dass er von allen
diesen Vorgängen, welche uns für den Gang des Krieges gewiss
nicht minder wichtig erscheiöen als die Schlacht von Poitiers
und deren Folgen, nichts erwähnt. Allein off'enbar enthielt
die fränkische Ueberlieferung , welcher Gi^egor folgt, nichts
davon; das für Chlodovech und die fränkischen Waffen nicht
Ruhmvolle mochte , als Gresor seine Nachrichten sammelte,
in der Erinnerung zurückgetreten sein. Die Erfolge Ghlodo-
vechs und seines Sohnes Theuderich, die Unterwerfung eines
grossen Theiles des westgothischen Reiches waren das Rlei-
bende, und dies hat die fränkische Ueberlieferung treu und
wahr aufbewahrt.
Auf einen Punkt müssen wir hier noch besonders einge-
hen, in welchem die fränkische und westgothische Ueberliefe-
rung sich zu widersprechen scheinen , die Stellung Gesa-
lichs zu den Westgothen und Theoderich. Gregors Rericht
erwähnt den Gestilich gar nicht, doch gedenkt er Amala-
richs *) : nach der Schlacht bei Vougle sei er nach Spanien
geflohen und habe seines Vaters Herrschaft eingenommen.
Dass freilich dies nicht ganz streng zu nehmen ist , wissen
wir ; Theoderichs vormundschaftliche Regierung begann im J.
510 , da Araalarich noch ein Kind war. Isidor dagegen er-
wähnt Amalarichs Regierung gar nicht, er lässt nach Alarichs
gis. Id. Junii , Agapeto cos. (517). — Die Zusätze zu Victor berichten
freilich erst unter dem Jahre 518 den Anfang von Theoderichs Regie-
rung , doch scheint daran ein Irrthum oder schlechte Ueberlieferung des
Textes Schuld zu sein.
') Gr. II, 37 : De hac pugna Amalaricus, filius Alarici, in Hispaniam
fugit, regnumque patris sagaciter occupavit.
>
92
93
Regierung eine vierjährige Gesaliclis folgen, nach ihm ward
dieser zu Narbonne zum König erhoben <). Man hat nun
diese beiden widersprechenden Angaben zu vereinigen gesucht:
Amalarich habe in Spanien geherrscht unter der Vormund-
schaft Theoderichs, Gesalich in den Landen nördhch der Pyre-
näen , soweit sie den Franken noch nicht zugefallen waren,
von einem Theile der VVestgothen zum Könige erhoben. Gesa-
lich erscheint demnach Amalarich gegenüber als unrechtmässiger
König 2). Dabei bleibt es denn freilich unerklärt, wie Gesa-
lich, aus Narbonne vertrieben, in das feindliche Spanien nach
Barcelona flüchten und dort herrschen kann, bis er im Jahre
510 vor den Ostgothen weichen muss. Dazu kommt , dass
Theoderich selbst im Anfange Gesalichs Erhebung anerkannt
zu haben scheint 3) ; erst als dieser seine Untüchtigkeit be-
wiesen, vielleicht sogar Einverständnis mit den Franken ge-
sucht , hat Theoderich ihn beseitigen lassen 4). So dürfen wir
Gesalichs Erhebung als eine rechtmässige, durch die Noth
gebotene auffassen nach Alarichs Tode bedarf man eines
kräftigen Armes ; da Amalarich noch unmündig ist , tritt für
den Augenblick der bessere Anspruch zurück. Durch die
Ankunft der Ostgothen unter Ibbas in Spanien 5J0 vertrie-
ben, hat dann Gesalich einen Versuch gemacht, mit vandali-
scher Hülfe in sein Reich zurückzukehren: doch hat Theode-
rich diese Bemühungen vereitelt. Freilich scheint es , dass
') Am Ausdrucke princejys darf rium sich nicht slossen ; ebenso
wird von Isidor Chlodovech ])7'incej)s genannt.
') Aschbach p. 173. 174 vertritt besonders diese Ansicht. Minder
schrofT auch Mascov 11, p. 28, Manso p. 63 , Fauriel 11, p. Ü2.
•*) Cass. Var. V , 43. Theoderich spricht vom Gesalich ... qui no-
stris inimicis , dum a nobis foveretur, adiunctus est. - Der Brief ist nach
510 geschrieben, als Gesalich schon aus Afrika zurück war, daher weiss
man nicht, ob man die von Theoderich getadelte Verbindung Gesalichs
mit seinen Feinden auf Gesalichs Aufenihalt in Aquitanien . oder auf Frü-
heres (80 Aschbach p. 174 n. 164) beziehen soll. Doch dass Theoderich ihm
nicht von Anfang an feindlich war. liegt deutlich in den angeführten Worten
Mit welchem Rechte Petigny II, 509 Gesalichs Krhebung als Reaction
einer nationalen westgothischen Partei gegen den durch Theoderich ver-
tretenen romischen Einfluss fasst , und p 525 Gesalichs Flucht vor den
Ostgothen als Absetzung durch die VVestgothen darstellt, sehe ich nicht.
*) Cass Var V, 43: Si nostro (regno) propter excessus pulsus est.
Gesalich schon Bedeutendes in Afrika gelungen war, dass er
den Vandalenkönig Trasamund durch listige Vorspiegelung »)
bewogen hatte, mit ihm ein förmliches Schutzbündnis einzu-
gehen, dass er von ihm mit bedeutenden Geldmitteln ausge-
stattet, wieder von Afrika abging, wahrscheinlich nach dem
damals fränkischen Aquitanien , um dort einen Anhang zu
sammeln : wir wissen aus Isidor , dass er in Aquitanien
ein Jahr lang verborgen lebte (5l0/i). Theoderich machte
brieflich dem Trasamund ernstliche Vorwurfes)^ dass er, ob-
schon durch die Verbindung mit seiner Schwester aus dem
Amalergeschlechte geehrt und an das ostgothische Interesse
geknüpft, einen Mann unterstützt habe, welcher seinen Fein-
den sich verbündet hatte. Diese Bemühungen Theoderichs
sind auch nicht ohne Einfluss geblieben. Trasamund hat, wie
wir aus einem zweiten Briefe Theoderichs sehen 4) , die Ver-
bindung mit Gesalich aufgegeben , an Theoderich Gesandte
geschickt , um sich ihm gegenüber zu rechtlertigen 5) ^ durch
bedeutende Geschenke ihn zu versöhnen gesucht. Theoderich
nahm diese Geschenke nicht an , sondern schickte sie dem Van-
*) Vgl. die n. 5 angeführten Worte aus Cass. Var. V, 44.
-) Cass. Var. V, 43 : Sed stupeo vos bis beneficiis obligatos durch
die Vermahlung mit der Anialofreda) Gesalecum , qui nostris inimicis,
dum a nobis foveretur, adiunctus est, in vestram defensionem sie fuisse
susceptum, ut qui ad vos viribus deslitulus privatusque fortunis vene-
rat , subita pecuniae ubertate completus ad exteras genles probetur
transmissus, qui quamvis Deo iuvante laedere nihil possit , tarnen ani-
mum vestrae cogitalionis aperuit. Quid exspectent extraneorum iura,
si SiC meretur aflinitas. Nam si causa misericordiae susceptus est , in
regno vestro teneri debuit; si nostro propter excessus pulsus est. non
oportuerat cum diviliis ad aliena regna transmitti , quae ne vobis red-
derentur infesta nostra fecerunt absolute certamina.
3) Vgl. n. 2.
*) Cass. Var. V., 44. Der Brief ist offenbar nach Gesalichs Tode
geschrieben nach den n. 5 mitgetheilten Worten ,,Gesaleci quondam regis."
^) Nuper vobis obiecimus Gesaleci quondam regis dolosa medita-
lione discessum ; sed nobilitalis vestrae memores et honoris actum rei
nobis sub veritale declaraslis — Dass Trasamund Gesalich wirklich unter-
stützt hat, leidet keinen Zweifel; Isidor sagt freilich von Gesalich „qui
cum non impetrasset auxilium", allein ihm fehlt offenbar genaue Kunde
von den Vorgängen, oder er fasst auxilium als militärische Unterstützung;.
s
I'
^
94
dalenkönige zurück : nur um die gerechte Sache sei es ihm zu
Ihun gewesen. Dem Aufhören der vandalischen Unterstützung
ist es dann auch gewiss zuzuschreiben, dass Gesaüch, als er
im Jahre 511 den Versuch machte seine Herrschaft zurückzu-
erobern, unterlaa;.
Ausser den beiden Auffassungen des Krieges , welche wir
bis jetzt, den frankischen, den westgothischen und ostgothi-
schen Quellen folgend, einander gegenübergestellt haben, be-
sitzen wir noch eine dritte Darstellung des Krieges bei Pro-
cop »). Procop erzählt denselben folgendermassen: „Bei wach-
sender Macht wenden sich die Franken ohne Scheu vor Theo-
derich dem Grossen 2) gegen die Westgothen. Alarich auf
die Kunde von ihrem Anzüge sucht schnell bei Theoderich
Hülfe. Dieser kommt mit starker Macht heran. Die Franken
ziehen gegen GarcMSSonne, also in den äussersten Süden des
westgothischen Reiches; die Westgothen auf die Kunde davon
lagern sich ihnen gegenüber; es vergeht eine geraume Zeit,
ohne dass es zum Kampfe kommt. Allein die Verwüstung und
Plünderung des Landes durch die Franken macht den West-
gothen ihre ünthätigkeit so krankend, dass sie, in der Hofl-
nung, auch allein die Franken bestehen zu können, Alarich
durch heftige Vorwürfe wegen seiner Furcht wider seinen
Willen zum Kampfe bewegen. Es kommt nun vor dem Ein-
treffen der ostgothischen Hülfe zu einer Schlacht, in welcher
die Franken siegen. Die meisten Westgothen , unter ihnen
auch Alarich , fallen. Die Franken nehmen den grösslen Theil
Galliens ein. Sie belagern nun eifrig Carcassonne in der Hoff-
nung, den hier aufbewahrten Königsschatz zu gewinnen. Der
Rest des westgothischen Heeres ruft den Gesalich 3)^ Alarichs
unehelichen Sohn, zum Könige aus, da Amalarich, Alarichs
rechtmässiger Sohn, noch unmündig ist. Als dann Theoderich
mit dem ostgothischen Heere ankommt, geben die Franken
aus Furcht die Belagerung Garcassonnes auf, sie weichen von
der Stadt zurück , behaupten jedoch Gallien westlich der Rhone
*) Procop de belle Gothico I, 12
) Früher haben sich nämlich nach Procop die Franken aus Furcht
vor Theoderich fern vom Kriege gegen die Weslgolheu gehallen.
') Die Namensforoi bei Procop ist r^aiktxoii.
bis zum Meere. Theoderich überlässt ihnen dies Gebiet, un-
vermögend sie daraus zu vertreiben; er rettet für sich das
übrige Gallien. Da indes Gesahch aus dem Wege geräumt
ist, überträgt er seinem Enkel die westgothische Herrschaft,
behält aber selbst die Vormundschaft. Den ganzen in Car-
cassonne aufbewahrten Schaz nimmt er mit sich und eilt davon
nach Ravenna. Um seine Herrschaft zu befestigen , sendet er
fortwährend Beamte und Truppen nach Gallien" und Spanien."
Wir finden hier wohl im Allgemeinen eine Uebereinstim-
mung mit unsern übrigen Quellen im Gange des Krieges: die
Franken siegen über die Westgothen, Alarich fällt" in der
Schlacht, Theoderich erscheint zu spät auf dem Kampfplatz,
doch rettet er noch einen Theil des Landes für sich, während
das üebrige den Franken zufällt. Allein so wie wir aufs Einzelne
eingehen, finden sich Abweichungen, Ungenauigkeiten. Ghlodo-
vechs Anwesenheit im Kriege wird nicht erwähnt, die Theil-
nahme Gundobads ebenfalls nicht ; dagegen wird Theoderich im
Gegensalz zu den übrigen Quellen als Führer des ostgothi-
schen Heeres bezeichnet; gezwungen von seinen Westgothen
nimmt Alarich die Schlacht an, welche, urtheilen wir nach
unseren anderen Quellen, unvermeidlich war. Hier erkennen
wir deutlich genug byzantinischen Pragmatismus. Der Schatz
ist in Carcassonne, nicht in Toulouse. Dergleichen Hesse sich
noch mehr aufzählen. Doch was die Hauptsache ist, in Pro-
cops Darstellung erscheint e i n Ereignis als der Mittelpunkt des
ganzen Krieges, welches alle anderen Berichte gar nicht er-
wähnen, die Belagerung von Carcassonne. Diese Stadt ist
das Ziel der Franken gleich beim Einmärsche ins westgothi-
sche Land, bei Carcassonne fällt jene Schlacht vor, zu welcher
wider seinen Willen Alarich bewogen wird i), nach dem Siege
belagern die Franken eifrig die Sladt, bis Theoderichs Ankunft
sie vertreibt, er rettet dann den hier aufbewahrten Schatz. So
dreht sich der ganze Krieg um den Besitz Garcassonnes, und was
am meisten befremden muss, unter den Mauern dieser Stadt fällt
im äussersten Süden des westgothischen Reiches eine Schlacht
') Dass diese Schlacht bei Carcassonne vorfiel , sagt zwar Procop
nicht ausdrücklich, doch zwingt der Zusammenhang uns, ihn so zu in-
terpretiren.
96
vor, welche offenbar dieselbe sein soll mit der Schlacht, wel-
che unsere übrigen Berichte an die Nordgränze von Alarichs
Reich nach Vougle verlegen.
Es tritt also klar genug hervor , neben den anderen
Quellen kann Procop nicht bestehen ; gewiss aber ist es
nicht Aufgabe der Kritik , durch willkürliche Besserungen ')
seine Erzählung vom ersten Theile des Krieges bis zur ent-
scheidenden Schlacht mit jenen in Uebereinstimmung zu set-
zen. Es scheint in der That , als ob Procop nur eine all-
gemeine Kenntnis vom Hergang des Krieges gehabt habe: er
hat wohl die Schlacht bei Poitiers und ihre Bedeutung ge-
kannt , allein dieselbe irriger Weise mit einer Belagerung
Carcassonnes verbunden, welches nach seiner Ansicht Aufbe-
wahrungsort des vvestgothischen Schatzes ist und darum Ziel
des fränkischen Strebens. Was Proco]) hierzu den Anlass
gegeben, ist zweifelhaft. Ist Carcassonne wirklich im Laufe
des Krieges einmal belagert worden , so kiinn dies höchstens
in Folge des Sieges bei Poitiers geschehen sein , und somit
würde diese Belagerung in einer Linie mit den Belagerungen
anderer Städte stehen , von denen wir aus Gregor wissen.
Doch ist es gewiss besser, ein solches einzelnes Ereignis ganz
fallen zu lassen, als durch gewagte Combinationen den kla-
ren Zusammenhang zu verwirren.
Unsere Untersuchung führt uns nun zu einer Begebenheit,
welche für den Gang des Krieges von grosser Bedeutung ist,
allein in den bisher behandelten Quellen keine Berücksichti-
gung gefunden hat, zu der Belagerung von Arles.
Ihren allgemeinsten Unnissen nach lernen wir diese Bela-
gerung aus zwei Briefen Theoderichs kennen. Der eine vor
dem ersten September 510 geschrieben, lobt die Treue der
Bewohner von Arles, welche standhaft eine schwere Belage-
rung ausgehalten haben , selbst durch Hunger nicht zur üe-
') Dubos IV , 10 benutzt eine Lesart Scaiigers Ovy.aoAaoaotva , um
den alten Namen von Poitiers AiyovaTofjiTona zu emendiren ; bei Bou-
quet U, p. 32 n. 6 ist vorgeschlagen e/ri norct^idv Oinyfwtav^v : so kann
man aus Allem Alles machen. — Die neueren Darstellungen beruhen
auf Combinationen der übrigen Quellen mit Procop: unter ihnen zeich-
net sich durch grosse Willkürlichkeit die Aschbachs aus.
97
hergäbe der Stadt gezwungen worden sind '). Der andere
wohl nicht lange darauf geschrieben, erwähnt es, dass die
Mauern der Stadt, die alten Befestigungsthürme arg gehtten
haben 2), das Gebiet der Stadt sei verwüstet 3). Ein späterer
Brief von 'i:heoderichs Enkel Athalarich 4) gedenkt ebenfalls
der Belagerung : er enthält das Lob des ostgothiscben Heer-
führers Tulum ; bei dem Unternehmen gegen Gaüien hat er,
gleich anfangs unter den Führern hingesandt, seine Klugheit
und Kühnheit im Kriciie bewiesen s). „Arles, heisst es dann
weiter, ist eine Stadt, erbaut an der Rhone, eine Brücke
führt gegen Osten über den Fluss. Diese galt es für die
Feinde zu nehmen, für die Unsrigen zu vertheidigen. Um
sie sind einst von den Franken und den Gothen heftige Käm-
pfe geführt. Da ist Tulum kühn in der Zeit der Bedrängnis
zur Hand gewesen : so eifrig hat er dort mit den Feinden
gestritten, dass er sie vom Ziele ihrer Wünsche entfernte, und
ruhmvolle Wunden, Zeichen seiner Thalen, davontrug" 6). Es
fragt sich, erwarb Tulum diesen Ruhm als Vertheidiger der
Stadt 7) , oder bei einem glücklichen Versuche dieselbe zu
entsetzen? Da ausdrücklich gesagt wird, dass er von Theo-
'j Cass. Var. 111,32: ;Arelafenses) qui noslris partibus perdurantes
i^Ioriosae obsidionis penuriam pertulerunt ... qui pro nobis in angu-
stiis esurire maluerunt. . . casum vix rpotuerunt) declinare postreraum.
. . . (dominum agrum) non coluisse cognoscas.
'^) Cass. Var. III, 44: ... ad cultum reducere antiqua moenia festi-
nemus . . pro reparatione itaque murorum Arelatensium vel turrium ve-
tustarum . . .
') Vgl. n. 1.
*) Cass. Var. VIII. 10.
5} Admonet etiam expeditio Gallicana, ubi iam inter duces directus
et prudentiam suam bellis et pericula ingerebat.
^) Arelate est civitas supra undas Rhodani constituta , quae in
orientis prospectum tabulatum pontem per nuncupati fluminis dorsa
Iransmiltit. Hunc et hostibus capere et nostris defendere necessarium
fuit. Quapropter excitata sunt Gothorum Francorumque validissima tem-
pestate certamina. AtTuit illic dubiis rebus audacia candidati (Tulum ist
gemeint), ubi tanla cum globis hostium concertatione pugnavit, ut et
inimicos a suis desideriis amoveret , et vulnera faclorum suorum Signa
susciperet.
'•) Manso p. 65, Aschbach p. 175 nehmen dies an.
r
I
98
99
derich zugleich mit dem Heere abgesandt sei >), Arles aber
wie wir noch sehen werden , als Theoderichs Heer 508 die
Provence betrat, bereits belagert ward, ist nur die zweite
Auffassung möglich. Ob dieser Versuch Tulums, die Stadt zu
entsetzen, schon zur Aufhebung der Belagerung führte, oder
•nur den Feind zwang, seine Angriffe auf die Brücke aufzuge-
ben, wissen wir nicht: doch muss seine That von entschei-
dendem Einfluss auf den Gang der Belagerung gewesen sein.
Am ausführhchsten berichtet die Vita Gaesarii über di<;
Belagerung der Stadt. Sie hebt besonders hervor, was den
Bischof Caesarius selbst betrifft; der eigentliche Gang der Be
lagerung dagegen tritt nicht klar hervor. Was wir darüber
der Vita entnehmen können, ist Folgendes.
Die Belagerung ward von Franken und Burgundern unternom
men, als Alarich von Ghlodovechs Hand im Kampfe gefallen war
also nach der Schlacht bei Poitiers; sie war schon begonnen
als die von Theoderich dem Grossen gesandten Heerführer die
Provence (im Jahr 5(»8) betraten 2). Die Stadt, das tritt deut-
lich genug hervor , ist von den Belagerern eng eingeschlossen
gewesen, selbst der Verkehr auf dem Flusse konnte von ih-
nen gehemmt werden 3). Später wird eine Rückkehr der Go-
then mit einer ungeheuren Menge von Gefangenen erwiihnt,
die heiligen Basiliken, das Gemeindehaus hatten sich mit dich-
ten Mengen von Ungläubigen gefüllt: Bischof Cäsarius habe an
ihnen Werke der Barmherzigkeit geübt, ihnen reichlich Le-
bensmittel und Kleidung gegeben, bis er Einzelne habe los-
kaufen können. Dass hier unter den Gothen die vvestsothische
Besatzung der Stadt verstanden ist , unterliegt wohl keinem
Zweifel; bei den Gefangenen wird man deshalb zunächst an
die Belagerer denken , arianische Burgunder können sehr wohl
vom katholischen Schreiber der Vita als „Ungläubige" bezeich-
•) Vgl. S. 97 n. 5. Mascov II , p. 31 fasst die Verhältnisse ähnlich
auf wie wir.
2) V. Caesarü. Bouquet III, 394. Acta SS. Ord. S. Bened. App.
Saec. I,p. 659ff: Obsidenlibus Francis et Burgundionibiis civitatem
(Arelatensem), jam Alarico rege a victoriosissimo Clodoveo in certaminc
perempto , Theudericus Italiae rex provinciam Istam ducibus missis in-
traverat.
^) S. unten p. 101 n. 1.
net werden i). Von einer Fortdauer d^r Belagerung nach
dieser Rückkehr der Westgothen erwähnt die Vita nichts mehr-
im Gegentheil sie fasst bald darauf kurz, doch bestimmt, den
Verlauf der Belagerung so zusammen : „Arles sei zu Cäsarius
Tagen belagert, ohne eine Eroberung, ohne eine Plünderung
erleiden zu müssen. So sei die StadX von den Westgothen
zur ostgothischen Herrschaft übergegangen" 3). wir sind wohJ
berechtigt , mit jener Rückkehr der Westgothen die Belagerung
als beendet anzusehen. Dass für den Stand derselben die An-
kunft der Ostgothen in der Provence, ihr Sieg über die Fran-
ken im Jahr 508 von entscheidendem Einflüsse sein mussten
liegt auf der Hand; sei es nun, dass von den Belagerern ein
Theil an der Schlacht theilnahm , oder dass die verlorene
Schlacht ihren Muth schwächte : nur in Folge dieser konnte
der Umschlag eintreten , als dessen nächste Folge wir die von
der vvestgothischen Besatzung augenscheinlich bei einem Ausfall
gemachten Gefangenen, als deren fernere die Aufhebung der
Belagerung ansehen müssen. Ob jene That des Tulum noch
m nähere Verbindung hiermit zu bringen ist, lässt sich nicht
entscheiden; jedenfalls zu weit würde man gehen, wenn man
den Sieg der Ostgothen unter die Mauern von Arles verlegen
wollte 3j.- Nachdem soviel festgestellt ist, lässt sich die Dauer
der Belagerung und ihr Platz im allgemeinen Zusammenhange
des Krieges noch etwas näher bestimmen. Wir wissen dass
Theuderich, Ghlodovechs Sohn, noch 507 zur Eroberung der
Auvergne entsandt ward: bevor ihm diese gelungen 'war
konnte schwerlich ein fränkisches Belagerungsheer vor AHes
erscheinen. Gundobad, welcher augenscheinlich gleichzeitig
mit Ghlodovechs Vorgehen gegen Alarich die Provence mit
•) In Arelato vero Gothis cum captivorum immensitate reversis re-
plenlur basilicae sanctae . repletur etiam domus ecciesiae constipatione
mfidehum ... Das reversis lässt keinen Zweifel , dass die Westgothen
in Arles gemeint sind ; Petigny 11, 519 fasst die Gothi als Ostgothen.
2) Nos tamen credimus et confidimus in Domino Deo per miseri-
cordiam et fidem seu orationem beati Caesarü, quia sie in diebus suis
ab hostibus Arelatensis obsessa est civitas, ul nee captivitati meruerit
nee praedae succumbere. Sic deinde a Wisigothis ad OstrogothoriMn
Uevolutum est regnum.
^) Du Roure II, p. 18.
7*
100
lOl
leichter Mühe eingenommen, und dann vielleicht schon GesaHch
aus Narbonne vertrieben hatte , konnte darauf leicht seine
Macht mit der frankischen vereinigen. So mag die Belagerunj^
schon 507 begonnen sein : ob sie von Theuderich und Gun-
dobad persönlich geleitet ward, wissen wn- nicht: langer als
bis zum Siege der O&tgothen im Jahre 508 kann sie unmög-
lich gedauert haben. Daraus, dass erst für das Jahr vom 1.
September 510 bis zum l. September 511 Theoderich den
Bewohnern der Stadt die Abgaben erliess '), wird Niemand
eine Fortdauer der Belagerung bis zur Abfassungszeit des Brie-
fes folgern wollen ; damals stand offenbar Theoderich in der
Provence kein Feind mehr gegenüber, da er seine Kräfte ganz
auf die Ordnung der spanischen Verhältnisse verwenden konnte.
Eine mehrmalige Belagerung aber anzunehmen , liegt in den
Quellen gar keine Veranlassung ^),
Hervorgehoben muss wenigstens noch das Wichtigste von
dem werden , w as unsere Vita über die Vorgänge in der Sladl
während der Belagerung berichtet. Wir gess innen daraus
einen klaren Einblick in das Getriebe der um jene Zeit feind-
Uch einander gegenüber stehenden Parteien. Nach dem , was
über die Hinneigung der katholischen Rornanen /m Chlodovech.
von Chlodovechs Bemühungen, sie zu gewinnen, bekannt ist,
kann es nicht befremden, dass in der von Franken und Bur-
gundern belagerten Stadt die Katholik(Mi , vor allen Dingen
Bischof Caesarius mit mistrauischen Blicken angesehen wurden.
Als nun gar ein junger, Cäsarius verwandter Geistlicher bei
Nacht sich an einem Stricke von der Stadtmauer herablässt
und zu dem Feinde übergeht, fürchten die arinnischen West-
goihen und die Juden, welche in ziemhcher Menge in Arles
ansässig gewesen ^ein müssen, Verrath , ob mit Becht oder
Unrecht, wissen wir nichts). Die Erbitterung wendet sich
gegen den Bischof, im Palatium will man ihn i^efancen hal-
ten , bis das Gastrum ügernense ^) oder gar die nächtlichen
Fluthen der Bhone die Stadt vor seinem Verrath sichern. Man
») Cass. Var. III, ::2 per indictionem quartam.
*) Bouquet IV, p. II nimmt eine zweimalige Belagerung an; eben-
so Aschbacb p, 175 u. p. 178.
^) Fauriel II, p. 63 dagegen, Aschbach p. 178 mit unrecht dafür.
'*) Seine Lage ist unbekannt.
dnngt ein in seine Wohnung. Doch Cäsarius Leben wird er-
halten: mit dem Schilfe, in welches man ihn geworfen, kann
man auf keiner Seite der Bhone abfahren, so eng ist die Be-
lagerung der Stadt •). Daher verbirgt man ihn Nachts im Pala-
tium, damit die Katholiken nicht wissen , ob er noch lebt oder
nicht. Da zeigt es sich , dass die Juden die Stadt verrathen
wollen: so schwindet der Verdacht, und Cäsarius w^ird befreit.
Von dem Uebergange der Stadt unter ostgothische Herrschaft
scheinen die katholischen Bomanen doch nicht ganz unberührt
geblieben zu sein : Bischof Cäsarius ward gefangen nach Ra-
venna geführt; doch war Theoderich klug genug, dem ange-
sehenen Manne Milde zu beweisen.
Wir müssen endlich von unserm Material zur Geschichte
des Krieges noch kurz die Briefe Theodericbs berühren , so
weit sie nicht schon zur Aufklärung einzelner Punkte herbei-
gezogen sind. Die Benutzung hat ihre Schwierigkeiten , da
sich nur selten ein sicherer Zeitpunkt der Abfassung ermitteln
lässt. und man muss sich daher hüten, die in ihnen erwähn-
ten Thalsachen durch willkürliche Combinationen in einen fal-
schen Zusammenhang zu rücken 2).
Wichtig ist vor allen Dingen der Briefs), welcher die
Ostgothen auffoi^dert. sich zu rüsten in alter Weise zum Zuge
nach Gallien, und ihnen als Tag des Aufbruches den 24. Juni
508 bestimmte. Vor der zweiten Hälfte des Jahres 508 also
erschien kein ostgothisches Heer in der Provence. Wir sehen
aus diesem Briefe, dass Theoderich durch seinen Sajo Nan-
dius seine ostgothischen Krieger in ziemlich ausgedehntem
Masse aufgeboten hat. Eine andere Thatsache , uns eben-
'^1 Cum ergo ex utracjue ripa <lrnmonem , quo iniectus fuerat
a:aesarius), obsidioTie hostinm Gothi Dei nutn subrigero non valerent,
revocantos sub nocte in palatio sanetnm vinim. personam ipsius texere
silentio, ut, ntrum viveret , nullus catholicus posset agnoscere. — Eine
ganz irrige Auflassung dieser Stelle hat Dubos IV, 11, durch eine
schlechte Lesart verführt. Petigny II, 513 hat sich ihm angeschlossen.
*) Im Anhange ist ein Versuch gemacht, die Zeit der einzelnen
Briefe zu bestimmen. Die neueren Darstellungen des Krieges haben,
ohne die Unsicherheit der chronologischen Feststellung zu berücksichti-
gen , die Briefe zu ganz unsicheren Combinationen benutzt. Sie im
Einzelnen zu widerlegen , würde zu weit führen.
^) Cass. Var. 1 , 24.
\
*
102
falls nur aus einem der Briefe TheoHerichs bekannt ») , ist
dass Narbonne, welches nach Isidor von Gundobad erobert
ward , nicht dauernd in seinen Händen geblieben ist : wir fin-
den dort zwischen 508 und 510 Theoderichs Feldherrn Ibbas,
es scheint, dass er auf seiner Sendung nach Spanien, um die
dortigen Verhältnisse zu ordnen, in Narbonne eine Zeitlang
verweilte. Ausserdem erfahren wir noch von Truppensen-
dungen zur Sicherung der gegen Franken und Burgunder be-
haupteten Gebiete 2).
Besonders interessant ist das Bild , welches wir aus
den Briefen von dem Verhältniss Theoderichs zu den Gebieten
gewinnen , aus welchen durch die Ankunft seines Heeres die
Feinde vertrieben sind. Er betrachtet die mit Waffengewalt
gemachte Eroberung als eine Unterwerfung unter seine Macht 3)^
doch ist er bemüht, den neuen ünterthanen seine Herrschaft
leicht und angenehm zu machen. Er betrachtet sie durchaus
als eine Fortsetzung von der Alarichs: was unter ihm Bestand
gehabt , soll auch fortan bestehen % Die bisherigen Besitz-
verhältnisse sucht Theoderich zu sichern. Sklaven, welche
in den Wirren des Krieges einem fremden Herren zugefallen
sind, oder die Freiheit eriangt haben, sollen den alten Herren
zurückgegeben werden s) ; der Kirche von Narbonne lässt er
ihren Besitz zurückerstatten 6). Alte Vorrechte behalten Gel-
tung auch unter der neuen Regierung : so eriangen die Bewoh-
ner von Marseille Bestätigung ihrer Immunität '). Wo irgend
Noth sich zeigt, ist Theoderich bemüht, sie zu lindern: sein
Stolz ist es, durch Gnadenbeweise allen Wünschen zuvorzu-
') Cass. Var. IV, 17.
*) V, 10 II.
^) III, 16: Galliae nobis Deo auxiliaiite suhinnfjatue. III, ||. 42. 43.
die Ausdrücke »ubiecti und nostrum damtmim. Die Steuern und Lei-
stungen sind eine fmictio III , 40,
*) IV, 17 : Definitam rem ab antiquo rege ... nulla volumus
ambiguitate titubare. Eine Aenderung des Rechtes ist nicht eingetreten.
m, 43: delectamur iure Romano vivere quos cupimus armis vendicaro -
bcaieht sich auf die Römer der erworbenen Gebiete.
5) III, 43.
^) IV, 17.
IV, 26.
loa
kommen i). Gegenden , welche durch Ereignisse des Krieges
oder Heoresmärsche schwer betroffen sind, erhalten Eriass
der Abgaben für ein Jahr: so Arles 2), die Anwohner der
cottischen Alpen 3) , zuletzt die ganze Provence 4) ; obschon
hier die Noth weniger gross sein mochte. Die Stadt Arles
erhielt sogar Unterstützung an Geld und Lebensmitteln 5). Die
nothwendigen Truppendurchzüge sollen möglichst wenig drü-
ckend sein, befreundetes Land soll nicht als feindliches be-
handelt werden 6). Für den Unterhalt seines Heeres sandte
Theoderich sogar von Italien Getraide ') , oder gab einzelnen
Heeresabtheilungen Geld mit 8) , so dass sie ihre Bedürfnisse
selbst kaufen konnten. Nur die Hülfe, welche ^ bot, sollten
die Provinzen empfinden , nicht aber die Last zu tragen haben,
welche mit so bedeutender Truppenanhaufung im Lande ver-
bunden sein rausste »).
Was diese ganze Thätigkeit Theoderichs noch um so be-
nierkenswerther macht, ist, dass er selbst nicht in Gallien
anwesend war, sondern alles von Italien aus leiten musste.
Doch sandte er zugleich mit seinen Heeren Beamte , welche
geeignet waren, seine Gedanken auszuführen, und war uner-
müdlich, ihnen Anweisung zu geben. Von diesen Beamten
lernen wu* aus den Briefen einige kennen , sie haben in den
l-
•) Cass. Var III, 10, besonders III. 12: non occurritur sub principe
benigne remedia postulare snbiecta. quoniam .supplicationem praecedit
humanitas et miro modo posleriora fiunt vola. quam praestita. — IV, 26-
Ipsa est enini perfecta pietas , quae antequam tlectatur precibus , novit
considerare fatigatos.
2) III, 32.
3) IV , 36.
») III, 40. Diese Bewilligung gilt auch wohl für die vierte Indiktion;
dass ein Theil der Provenze unverletzt war, ergiebt sich aus III 42
5) III, 44.
^) III , 38 : ... ubi exercitus dirigitur non gravandi , sed defenden-
ili causa, potius aeslimetur. ,
") IH , 42 : ut nee nimia possessores illatione gravarentur, ex Italia
deslinavimus exercituales expensas, ut ad defensionem vestram directus
exercitus nostris humanitatibus aleretur ; solumque auxilium de lam ma-
gna congregatione sentirent.
^) V, 10, 11.
») Vgl. n. 7.
■i
IM
1
104
wichtigsten Städten der Provence ihren Sitz. So scheint Ge-
mellus , der Präfekt der Vikare , in Arles seinen Sitz gehabt
zu haben ») , in Avignon finden wir Wandil mit der Vertheidi-
gung und Verwaltung der Stadt betraut 2) , in ähnhcher Stel-
lung zu Marseille den Grafen Marabad 3)^ für kurze Zeit ist
auch Graf Arigern gesandt , die wankenden Gemüther zu be-
festigen 4).
. Es bleiben uns nunmehr noch zwei Fragen zu erledigen •
die Frage, ob ein Friede geschlossen ist, und welche Folgen
der Krieg für die Theilnehmer hatte.
Wenn man die Behauptung aufgestellt hat, ein Friede
ein Vertrag zwischen Chlodovech und Theoderich habe den
Krieg beendet, in ihm habe Theoderich dem Frankenkönige
die eroberten Gebiete förmlich abgetreten 5) ; so stützt man
sich dabei auf eine Stelle Procops 6). Er sagt am Schlüsse
seiner Darstellung des Krieges : „unvermögend die Franken
aus den eingenommenen Gebieten zu vertreiben, habe Theo-
derich zugestanden , dass sie in ihrem Besitz blieben : er
selbst habe das übrige Gallien gerettet." Wann dies gesche-
hen, bleibt ungewiss. Man hat gemeint, der Friede habe erst
510 geschlossen werden können ') ; da erst durch seine im
Jahre 510 beginnende Regentschaft Theoderich das Recht ge-
habt habe , einen für das westgothische Volk verbindlichen
Frieden abzuschliessen. Doch ist damit im Grunde wenig ge-
sagt : in Theoderichs Hand lag allein die Macht, einen Frieden
mit Chlodovech zu schliessen, da wird er nach einer Berech-
tigung, westgothische Gebiete abzutreten, nicht eben gefragt
*"! Wir finden in den übrigen Städten andere Beamte Cass. Var. III, 32
wird Üemellus die Ausführung einer Massregel (ür Arles befohlen ;
^11, 16 sein Beglaubigungsschreiben.
•') III, 88.
3) III, 34
*) IV, re.
5) Dubos IV, 12.
^) 'Of^fv avrovt; {tovq rfQ^avnvi;) iiiXäaai Öfi><Jt>*/o? ov/ oiöq ti wv
xavra fikv agiäq ^vvf/u'ipn I/mv, aiVo? M Fakkiac; rd Xotna dvfatoaaro»
Dubos a. a. Orte. Petigny II, 527 lässt es nach der von Jorda-
nis 0.59 erwähnten Schlacht, welche er ohne jeden Anhalt ins Jahr 510
setzt, zu einem Frieden kommen.
105
haben. Aus der Geschichte des Krieges selbst kommt man
;mf einen frühern Zeitpunkt für den Frieden. Nach 509 be-
richten unsere Quellen nichts mehr von kriegerischen Vorgän-
gen in Gallien, es handelt sich 510 und 511 nur noch um
Spanien. Ja Chlodovech selbst ging schon 508 vom Schau-
platze des Krieges zurück , die von ihm in der Saintonge und
im Gebiet von Bordeaux zurückgelassenen Franken sollten nur
innerhalb der eroberten Gebiete die begründete Macht befe-
stigen. Daher wird man weit eher zu der Annahme kommen,
der Krieg sei 508, spätestens 509 zu Ende gewesen »). Frei-
lich wird man noch immer fragen können, ob denn überhaupt
ein förmlicher Friedensschluss angenommen werden müsse 2).
Unsere übrigen Quellen wissen nichts von einem solchen.
Procops Worte aber, aufweiche man sich allein berufen kann,
lassen, abgesehen von der geringen Glaubwürdigkeit, welche
wir ihnen beimessen dürfen, auch eine weitere Auffassung zu:
„Theoderich gab zu , dass die Franken das Land im Besitz
behielten, d. h. nothgedrungen, da er es nicht hindern konnte.^'
Es scheint in der That , dass Chlodovech wie Theoderich die
von ihnen besetzten Landstriche faktisch im Besitz behielten,
unbekümmert um eine bestimmte Anerkennung , denn ein Je-
der hatte die Macht, das Erworbene zu behaupten.
Was die Folgen des Krieges anbetrifft, so sind sie für
das westgothische Reich klar genug ausgesprochen in den
Worten einer Quelle 3) : ,,das tolosanische Reich ward zerstört",
der grösste Theil der Gebiete, welche die Westgothen nach
und nach in Gallien erworben hatten, kam in andere Hände.
Theoderich nahm einen Theil des schon von Feinden durch-
zogenen Landes 4) für sich in Besitz. Dies war die Provence;
sie war offenbar den Chlodovech verbündeten Burgundern beim'
Beginne des Krieges zugefallen, doch nicht gegen Theoderichs
Heer behaupteL Ja Gundobad hat auch Gebiete, welche er
früher inne hatte, Theoderich überiassen müssen, so Avignon,
') Manso p 65; für einen Frieden auch Mascov fl. 31, Luden
»F, 92; Huschberg p. 671 denkt an eine zeitweilige Waffenruhe
*) Aschbach p. 180.
') App. z. Victor Tunnunensis.
*) Isidor.
1
106
welches wir im Jahr 500 in seinen Händen fanden, dann
Orange '). Theoderich erwarb also den südlichen Theil der
allen ,,Provincia" im römischen Sinne, mit Avi.^non, Arles, Mar-
seille , der obere Uuf der Dürance bildete wahrscheinlich die
Nordgränze gegen Burgund'i;, der untere Lauf dagegen muss
überschritten sein, da Orange von den Ostgothen erobert war.
Im Westen von Avignon an bildete die Rhone die Gränze.
Ueber die Gränzen des von Ghlodovech erworbenen Ge-
bietes haben wir eine ganze Anzahl Angaben. Nach der
Historia epitomata 3) waren die Loire im Norden , die Pyrenäen
und das tyrrhenische Meer im Süden die Gränzen von Chlo-
dovechs Eroberung. Die Quelle , welche wir als zweite
Form des Berichtes der Historia epitomata bezeichneten , fügt
als Oslgränze die Rhone hinzu *»). Procop hat offenbar ein
nicht ganz so grosses Gebiet im Auge. Die Ausdehnung nach
Süden giebt er nicht an , Gallien jenseits der Rhone bis zum
Ocean sei den Franken zugefallen ; die Nordgränze bildet hier
natürlich die Loire 5). __ Sicherer als aus diesen Angaben von
Quellen, welche wir nicht zu den zuverlässigen zählen kön-
nen, lassen sich die Gränzen aus der Geschichte des Krieges
bestimmen , wie sie uns aus Gregors Bericht bekannt ist.
Theuderich, Chlodovechs Sohn, eroberte ostwärts das west-
gothische Gebiet bis zur burgundischen Gränze , im Westen hat
Ghlodovech selbst Angoul^me, Bordeaux, die Saintonge, Toulouse
eingenommen ; demnach bildete bis zum Einfluss der Garonne
das Meer die Gränze , als Südvvestgränze werden wir dagegen
') V. Caesarii , Bouquet lil , 385 : fnlerea (Caesarius) omnos ca-
ptivos ultra Durentiam , maximo Arausici oppidi, quod ex toto fuerat
captivitati contraditus . . . mox inventos in Italia redemit.
') Cass. Var. HI, 11: trilici speciem . . ad castella siipra Druen-
tiam constiluta de Massilicnsibus horreis constat esse portandam.
*) Hisl. epit. c. 25 : regnum eiiis (Alarici) a mare Tyrrheno Lif?ore
tluvio et montibus Pyrenaeis usque Oceanum mare a Chlodoveo occu-
patum est.
*) Bouquet II, 4(i4 : regnumque eius (Alarici) a Legere fluvium el
Rhodano per mare Terrenum et montes Perenaeos usque mare Oceanum
abstulit , quod hodieque dilione condigno pernaanet ad regnum Franco-
rum.
*) roUAia? To exTo« 'Fo6avov notc$fiov iq ioxtavov xitQctftfiiv« to/ov.
107
nach Gregor die Garonne annehmen müssen: da indes im
Jahre 511 die Bischöfe von Eause, Bazas und Ausch die Ak-
ten des von Glodovech nach Orleans berufenen Goncils mit
unterschrieben i), so geht daraus hervor, dass ihre Diöcesen
zu Chlodovechs Reich gehörten. Diese Gebiete müssen also
durch den westgothischen Krieg ebenfalls erobert sein. Bis
ans mittelländische Meer ist das fränkische Gebiet damals nicht
ausgedehnt ; hier blieb ein Küstenstrich , das spätere Septima-
nien, in den Händen der Westgothen.
Ueber das Verhältnis, in welches die neuerworbenen Lande
zu Ghlodovech traten , geben uns unsere Quellen keinen Auf-
schluss. Ghlodovech macht offenbar auch hier eine persönliche
Erwerbung, ihm fallen Alarichs Land und Schatz zu. EineLand-
theilung fand wohl nicht statt, die Zuwanderung von Franken
kann hier im Süden der Loire nicht bedeutend gewesen sein.
Die Westgothen haben wohl zum grössten Theile das Land
veriassen, wir dürfen dies daraus schliessen, dass späterhin nur
in Septimanien noch das westgothische Recht Gültigkeit hatte 2).
Für die Römer werden ähnliche Zustände eingetreten sein,
wie für die Römer in den Landen nördlich der Loire nach
der Eroberung von Syagrius Reich. Die Leiden eines erober-
ten Landes werden freilich den neuerworbenen Gebieten nicht
erspart geblieben sein 3). wir hören von grossen Mengen von
Gefangenen, welche gemacht sind: man wird da zwischen
Römern und Westgothen nicht geschieden haben, die sieg-
reichen Franken scheinen die gemachten Gefangenen ausser
Landes geführt zu haben 4). ja selbst der verkündete
Friede 5) scheint nicht immer gehalten zu sein, da sogar
die Bischöfe bei Ghlodovech Klage geführt haben. Chlodo-
•) Concilium Aurelianense [. in Concill. Galliae Coli. Parisiis 1789
T. 1, p. 843; vgl. Faunel 11, 73 u. Waitz Verfg. [I, 50 n. 2.
^) Vgl. Schaffner, Gesch. der Rechlsverfassung Frankreichs I, p. 129.
^) Fauriel II , 74 ff. hat das in einem den Franken feindlichen Sinne
ausgeführt.
') V. Eptadii III , 384 C : . . facta est captivorum innumerabilis
mullitudo, qui dispersi sunt per rerjioncs dilatati; ex quibus vir beatissi-
mus Eptadius non parvam mullitudinem data pecunia liberavit et statim
pristinae libertati restituit.
^) Vgl, oben p. 84 n. 2.
108
vech antwortet ihnen, die Bestimmuni^en jenes Friedens sollten
aufrecht erhalten bleiben: seien Diener der Kirchen, frommem
Leben ergebene Frauen und Jungfrauen und deren Hausgenos-
senschafl in Gefangenschaft gefallen, so befiehlt er sie sofurt
freizugeben. Für unrechtmässig Gefangene aus befriedeten Ge-
bieten dagegen verlangt er Briefe mit dem bischöflichen Sit-gel
und eidlicher Bekräftigung , für andere Gefangene soll es ihn'en
gestattet sein, den bischoflichen Schutzbrief zu ertheilen : das
Loskaufen von Gefangenen ist von Ghlodovech nicht gehin-
dert worden »).
Wir geben zum Schlüsse einen Ueberblick über den Gang
und Zusammenhang des westgothischen Krieges: er ist um so
nothwendiger , als die Art unserer Untersuchung es uns nicht
erlaubte, streng an den Fortgang des Krieges anzuschliessen.
Der Krieg beginnt im Frühjahr 507 mit Ghlodovechs Ein-
fall in das westgothische Reich. Nachdem er die Loire über-
schritten hat, kommt es mit Alarich, welcher ihm bis an die
Gränze seines Reiches entgegen gezogen war, in der Ebene
von Vougle, zehn Million nördlich von Poitiers, zum Kampfe.
Der Sie': ward Ghlodovech zuTheil, Alarich selbst fiel zuletzt,
als Alles sich zur Flucht wandte, von Ghlodovechs Hand.
Diese Schlacht entschied über den Bestand des tolosanischen
Reiches. Amalarich , Alarichs junger Sohn . ward nach Spa-
nien gerettet: die Weslgothen erhoben an A|arichs Stelle zu
Narbonne seinen natürlichen Sohn Gesalich zum Könige. Gleich-
zeitig mit dem Vordringen Ghlodovechs hat off'enbar auch Gun-
dobad als Ghlodovechs Verbündeter sich gegen das westeothi-
sche Reich erhoben und den Theil der alten römischen Provin-
cia, welcher zum vNcstgolhischen Reiche gehörte und Burgund
vom mittelländischen Meere ausschloss , zum grössten Theile
eingenommen. Ghlodovech hat den gewonnenen Sieg nicht
unbenutzt gelassen : er entsandte seinen ältesten Sohn Theude-
rich zur Eroberung der Auvergne, da der tapfere Widerstand,
welchen die Auvergnaten in der Schlacht bei Vougl^ ihm ge-
leistet, ihm die Nothwendigkeit gezeigt haben musste , vor
allen Dingen dieser Gebiete sich zu versichern. Er selbst
brachte den Winter 507/8 in Bordeaux zu. Im Feldzuge des
•) p. 107 n. 3.
109
Jahres 508 fiel ihm dann Toulouse und mit der Stadt Alarichs
Königsschatz zu , später auch Angoul^me. Im Osten war wohl
noch im Jahr 507 Theuderich bis zur burgundischen Gränze
siegreich vorgedrungen ; auch Gundobad hat weitere Erfolge er-
rungen, er nahm Narbonne ein, vor ihm floh Gesalich ruhmlos
mit grossem Veriuste nach Barcelona. So konnte die fränkische
Macht sich mit der burgundiscJien zur Belagerung von Ades
vereinigen ; der Besitz dieser Stadt war nothwendig für die
Behauptung der im Süden gemachten Eroberung. Die Belage-
pmg begann vielleicht schon 507 , sicher Anfang 508.
Soviel war der vereinigten fränkischen und burgundischen
Macht gelungen : es konnte scheinen, als sollte schon jetzt der
westgothische Stamm von der Herrschaft Galliens ganz ausge-
schlossen werden, da trat Theoderich der Grosse auf den
Kampfplatz, zu spät freilich, um das Ganze zu retten, doch
früh genug, um dem Kampfe eine andere Wendung zu geben.
Auf den 24. Juni 508 hatte er seinem Heere geboten, sich
zu versammeln ; geführt von tüchtigen Feldherrn , Ibba's und
Tulum werden genannt, betrat es die Provence. Es kam
zum ersten Zusammentreff"en der Franken und Üstgothen. Die
Franken, Sieger im Kampfe mit so vielen deutschen Völkern,
unteriagen hier. Ibbas, so scheint es, erfocht diesen Sieg!
Wo gekämpft ward, berichten unsere Quellen nicht: doch
ward die Schlacht ohne Zweifel im Lande südlich der Dürance
geschlagen. Die Folgen dieses Sieges waren bedeutend genug,
das Land im Süden der Dürance musste vom Feinde aufgegeben
werden: Aries, welches trotz innerer Parteiungen der Belage-
rung der Franken und Burgunder widerstanden hatte, muss frei
geworden sein ; vielleicht trug ein glücklicher Versuch des
Tulum, ein Ausfall der Belagerten mit dazu bei. Allein der
Kampf in diesen Gegenden ist hiemit noch nicht zu Ende.
Avignon, Orange sind den Burgundern entrissen. Noch 509
zog ein ostgothisches Heer unter Mammo in Galhen ein zum
Schrecken Burgunds, wie es scheint durch die cottischen Al-
penpässe ; wohl in demselben Jahre finden wir den siegrei-
chen Feldherrn Theoderichs Ibbas schon in Narbonne.
Von kriegerischen Ereignissen auf gallischem Boden hören
wir seit diesem Jahre nichts mehr. Ghlodovech ging bereits
508 über Tours nach Paris zurück, dorthin, wir wissen nicht
■h
HO
wann, kam auch Theuderich. Ibbas Zug gegen den Westen
auf welchem wir ihn in iVarbonne finden, galt in der Thai
nicht mehr den Franken: es handelte sich um Spanien
Theoderich , früherhin Gesalichs Erhebung vielleicht nicht ab"
geneigt, trat nunmehr, da Gesalich seine ünlüchtigkeit bewie-
sen, gegen ihn auf. Amalarichs Anspruch auf das Königthum
ward jet^t geltend gemacht. .Gesalich musste im J. 510 ein
Flüchtling vor Ibbas, aus Barcelona, aus Spanien fliehen' Er
suchte in Afrika beim Vandalenkönige Trasamund Schutz
Hülfe ; erhielt auch wirkhch Geld. Allein Theoderichs Dazwi-
schentreten bewirkte das Aufhören dieser Unterstützung Ge-
salich, unvermögend , schon jetzt etwas zu unternehmen, lebte
em Jahr in Aquitanien verborgen, wahrscheinlich auf fränki-
schem Gebiete. Dann versuchte er 511 nach Spanien zurück-
zukehren , allein er ward von Ibbas unweit Barcelona besieot
und als Gefangener in der Provence getötet. Theoderich
führte jetzt fünfzehn Jahre lang für seinen Enkel Amalarich in
Spanien eine vormundschaftlicbe Begierung.
Ein Friede mit Ghlodovech ist wohf nicht geschlossen«
mit dem Aufhören der Feindseligkeiten im Jahr 509 oi„. jer
Krieg in Gallien zu Ende. Ghlodovech ist der grösste^Theil
des westgothischen Beiches zugefallen bis zu den Granzen der
Burgunder im Osten, bis zur Garonne und weiter im Südwe-
sten : Theoderich hat das spätere Septimanier. für das west-
gothische Beich behauptet , für sich gewann er die Provence
südlich von der Dürance, mit Marseille, Aries, Avignon, dann
nördlich der Dürance Orange. Er betrachtete diese Erwer-
bung offenbar als Herstellung alter Zugehörigkeit zum italieni-
schen Beiche , denn erst unter Odoacer war diese Verbin-
dung gelöst, und ist eifrig bemüht gewesen, sich durch
kluge Begierungsmassregeln den Besitz dieser Lande dauernd
zu sichern. Die vormundschaftHche Begierung , welche er in
Spanien führte, mag von wirklicher Herrschaft wenig verschie-
den gewesen sein, und so hat derselbe Krieg, welcher die
westgothische Herrschaft in Gallien vernichtete, und dem frän-
kischen Beiche daselbst das Uebergewicht gab , für kurze Zeit
zu einer Vereinigung des ostgothischen und westgotliischen
Stammes unter Theoderichs Herrschaft geführt.
111
8. Die Vereinigung des ripuarischen Reiches und dcT
sahschen Gaukönigthümer mit Chlodovechs Herrschaft.
Chlodovechs Tod.
Als die letzte That Chlodovechs erzählt Gregor die Ver-
einigung des ripuarischen Beiches und der kleinen Gaukönie-
Ihiinier mit dem des Königs, welches sich nunmehr schon über
den grössten Theil Galliens erstreckte , welches auch bereits
zwei deutsche Völkerschaften , die Thoringer und die Alaman-
nen, in sich aufgenommen hatte.
Gregor berichtet zuerst i) die Erwerbung des ripuarischen
Beiches. Hier herrschte Sigibert der Lahme. „Von Paris aus,
so erzählt Gregor, sandte Ghlodovech heimlich zu Sigiberts
Sohne (Ghloderich), sagend: Siehe dein Vater ist alt gewor-
den, und hinkt 2). Stürbe er, so würde mit Becht dir sein
Beich zufallen. Ghloderich von Herrschbegier verführt, ver-
sucht,, seinen Vater zu töten. Und da dieser die Stadt Cöln
veriassen und jenseit des Bheins im Buchenwalde umherzu-
ziehen beabsichtigtes), sandte der Sohn, als Sigibert Mittags
im Zelte schlief, Mörder und liess ihn töten : in der Hoffnung,
statt seiner zu herrschen. Doch nach Gottes Urtheil fiel er
selbst in die Grube , welche er seinem Vüter gegraben. Er
schickte nun zu Ghlodovech Boten , um ihm den Tod des Va-
ters zu melden : sein Vater sei tot , er habe seinen Schatz
und sein Beich in Besitz : Ghlodovech möge Gesandte schicken,
damit er ihm von dem väterlichen Schatze , was ihm gefalle'
zusenden könnet). Ghlodovech lässt ihm antworten- Ich
') Gr. 11,40. Die Historie ^pitomata giebt einen nachlässigen Aus-
zug, die Gesta schweigen ganz. •
2) Hierin soll olfenbar nach der Auffassung der Quelle eine Berech-
tigung für Ghloderich liegen, den Vater bei Seite zu schaffen. Dass nach
altdeutscher Sitte der körperlich Untüchtige als unfähig zur Herrschaft
galt, ist bekannt.
3) Die Silva Buconia ist der Buchenwald in der Nähe von Fulda
nicht ein Wald bei Cöln; vgl Waitz Vfg. H, 36 n. I. ^ Das ambulare
dispcmeret ist gewiss nicht mit Leo Vorlesungen I, 349 auf einen Jagdswi
ZQ beziehen. ^ •'
») Leo a. a. 0. erkennt hierin ein Streben Ghloderich«, Ghlodovech
J
>
112
danke deiner Bereitwilligkeit, kommen meine Boten, so bitte
ich dich, ihnen alles zu öffnen, damit es dann dein Besitz
werde." Ghloderich breitet vor den Gesandten die Schätze
seines Vaters aus. Als sie das Einzelne beschauen, spricht
er: „In diese Truhe pflegte mein Vater seine Goldstücke zu
legen.'- „Strecke deine Hand aus bis auf den Boden , spra-
chen sie, damit du Alles findest". Als Ghloderich sich tief
hinabbeugte , spaltete ein Gesandter ihm mit erhobener Streit-
axt den Schädel. So traf den Unwürdigen selbst, was er ge-
gen den Vater verbrochen. Als Ghlodovech hört, dass Sigibert
und sein Sohn getötet, kommt er ins Bipuarierland '), er beruft
das ganze Volk zur Versammlung und spricht also : ,,Hörl
was sich begeben hat. Während ich auf. dem Scheideflusse
fuhr'-«), stellte Ghloderich, der Sohn meines Verwandten, sei-
nem Vater nach, vorgebend, ich wolle ihn töten. Und da er
durch den Huchenwjild floh ^) , liess er ihn durch Mörder tö-
ten. Auch er ist, als er seines Vaters Schätze öffnet, ich
weiss nicht von wem, getötet. Doch weiss ich nicht darum,
denn ich kann nicht das Blut meiner Verwandten vergiessen,
das ist Unrecht. Allein da es so gekommen ist, gebe ich
euch den Uath , wenn ihr beistimmt, wendet euch zu mir,
damit ihr unter meinem Schutze steht." Als die Ripuarier diese
Worte hören, geben sie durch Waffengeklirr und Zuruf ihren
Beifall zu erkennen, sie erheben Ghlodovech auf den Schild und
machen ihn zu ihrem Könige. So erlangt Ghlodovech Sigiberts
Keich und Schatz und die Herrschaft über das Ripuariervolk.
gegenüber durch eine Sühne sich zu sichern ; allein da Ghlodovech nicht
nach Erbrecht in die Stelle der Getöteten eintreten kann, ist er auch
nicht berechtigt, eine Sühne zu iorder/i.
') In eundem locum adveniens.convocal omnein populum etc. -
nach Göln?
') Die Scheide, an welcher Tournay, Chlodovechs alter Königssitz,
lag , ist hier typisch gebraucht , um Chlodovechs Land zu bezeichnen!
Der Sinn ist: „wahrend ich mitten in meinem Lande war, also von dem,
was hier vorging, nichts wissen konnte."
^) Cum per Buconiam silvam fugeret. Die Worte sind nicht ganz
klar. Es scheint, dass die Quelle mit einer gewissen poetischen Freiheil
im Ausdrucke den Vater vor Ghloderich ßieheti lasst , da dieser ihn
feindlich verfolgt.
113
Denn immerdar gab Oott seine Feinde in seine Hand und
me rte sem Re.ch , da er rechten Herzens vor ihm wandelte
und that, was in seinen Augen wohlgefällig war^' »)
Sohnes"?" 'n'' 7''" T '"""'^""^ ""'''^''^'^^ -^ -'--
bohnes ^. Darauf wendet sich Ghlodovech gegen den König
Charanch. Als er mit dem Syagrius kämpfte, hatte Ghararich
zur Hülfe aufgefordert, sich fern vom Kampfe gehalten, o ne
einer von beiden Parteien zu helfen, sondern den Ausgang
Sil t'^K- '.''"''''''' "" "^^ '"" ^''^'^ '° Freundschaft
sich zu verbinden. Voll Groll deswegen zog Ghlodovech ge-
gen ihn, nahm ihn mit seinem Sohne hinterlistig gefangen
band sie und schor sie , und Hess Ghararich zum Presbyter'
seinen Sohn zum Diakon ordiniren 3;. und da Ghararich über'
seine Erniedrigung klagte und weinte, . soll sein Sohn gesagt
haben : An einem grünenden Sfamme ist dies Laub abge-
hauen, es ist nicht vertrocknet, sondern wird sc4inell hervor-
rechen und wachsen : möchte so schnell, der dies gethan
..t, zu Grunde gehen.^' Dies Wort tönte an Ghlodovechs Ohr
dass sie drohten, das Haar sich wachsen zu lassen und ihj
/u 10 en. Da liess er sie töten. Da sie gestorben waren
erwarb er ihr Reich mit ihrem Schatz und dem Volke "
Endlich kommt Gregor «r Erwerbung von dem Reiche
Ragnachars und denen der übrigen kleineren salischen Kö-
mge4) ,Ragnachar herrschte damals zu Gambrai, ausschwei-
fender Lust in solchem Masse ergeben , dass er nicht einmal
seine eignen Verwandten schonte. Er hatte einen Rathgeber
-^''^''^^' '^"''"^^ *^^" ähnliches schmutziges Leben sich
') Prosternebat enim quotidie Deus hostes eius sub manu iosius et
augebat regnum eius, eo ,uod ambularet recto corde coram eo 7ace
Teü^cll :r' " ^'""'^ ""^- - "'•^^^°- ««^-^« -* Offenbar-
r Erfle r ?r' :"' ^'^'^^^ ^^^^ ^'"' ^^^^ Chlodovechs Siege
und Erfolge bereiteten dem katholischen Christenthume den Weg- v.l
auch^ Lobeil p. 263 iL Giesebrecht a. a. 0. I, p. 105 n. 2. ^
Gr. II, 41. Die Gesta schweigen auch hier. Die Hisloria eoito-
mala c. 21 rekapitulirt kurz. "«luria epuo-
das lange Haar genommen. Die Ordination zum Geistlichen wird be-
stimmt davon im Berichte unterschieden; s. auch unten p. 120
ric>,r h'''«"' ^^. ^'^ ^^'^^ '' '^ erweitern und erklären Gregors ße-
ncht , die Hist. epu. c. 28 giebt auch hier einen kurzen Auszug
8
X'
t
114
befleckte. So oft man dein Könige Speisen oder Geschenke
oder sonst irgend etwas darbrachte, soll er gesagt haben:
das. genüge für ihn und seinen Farro. Darob entbrannten die
Franken in grossem Zorne. So nahmen sie von Ghlodovech
Geschenke an, goldene Spangen und Gürtel — freilich war
es nur vergoldetes Kupfer — ; Ghlodovech gab sie Ragnachars
Getreuen »), um von ihnen bei günstiger Gelegenheit wider den
verhassten Herrscher sich rufen zu lassen. Dann zieht er mit
einem Heere gegen Ragnachar. Als dieser häufig Späher aus-
sandte, um zu sehen, wie stark die Macht sei, erhält er die
Antwort: „Dir und deinem Farro steht die grösste Macht zu
Gebote." So kommt Ghlodovech heran und beginnt gegen ihn
den Krieg. Da Ragnachar sein Heer besiegt sieht, versucht
er zu fliehen; allein er wird von seinem Heere ergriffen und
die Hände auf den Rücken gebunden zugleich mit seinem Bru-
der Richar vbr Ghlodovech geführt. Ghlodovech sagt zu ihm:
„Weshalb hast du unser Geschlecht so sehr erniedrigt, dass
du dich binden liessest? denn besser wäre es für dich »ewe-
sen zu sterben*'; und seine erhobene Streitaxt schlägt er ihm
ins Haupt. Dann wendet er sich zum Bruder Ragnachars:
„Hättest du deinem Bruder Hülfe geleistet, so wäre er sicher
nicht gebunden." So tötet er IRch diesen in ähnlicher Weise
durch einen Streich mit der Streitaxt. Nach dem Tode dieser
merken die Verräther, dass das Gold, welches sie erhalten
haben , unecht sei. Da sie das dem Könige gesagt , ' soll er
geantwortet haben : ..Mit Recht empfängt solches Gold , wer
seinen Herrn absichtlich verräth." Sie soilten zufrieden sein,
dass ihnen das Leben bleibe, dass sie nicht, den Verrath wi
der ihre Herren büssend, qualvollen Tod zu erleiden hätten
Da bitten jene um Gnade: sie seien zufrieden, das Leben zl
behalten. Die genannten Könige waren Ghlodovechs Ver-
wandte. Ihr Bruder, Rignomir mit Namen, ward zu LeMans aul
Ghlodovechs Befehl getötet. Nach ihrem Tode erhielt Ghlodo-
vech ihr ganzes Reich und ihren Schatz. Und indem er noch
viele andere Könige und nahe Verwandte tötete , von denen er
fürchtete, sie möchten ihm die Herrschaft entreissen, verbrei-
tete er sein Reich durch ganz Gallien. Dennoch soll er in
i;
') Leudes. Giesebrecht o.a.O. 1, p, 109: „vornehmen Leuten"; 8.il».n.3.
115
einer Versammlung der Seinigen über die Verwandten wel-
che er vernichtet hatte, gesprochen haben: „Wehe mir' Tat
.ch ^n Fremdimg unter Fremden verlassen d stehe, und ke
helfen konnte. Aber das sagte er nicht reuevoll über Ihren
Tod , sondern hstig , ob er vielleicht noch Jemanden he vo,
locken könnte, um ihn zu töten." nervor-
Dies ist Gregors Bericht von diesen Vorgängen. Andere
gue len, an welchen wir denselben prüfen könnten, stehet un
m ht zu Gebote ; wir müssen daher vensuchen, ihn aus slh
selbst zu beurtheiien. Es tritt nun klar genug hervor dTss
w.r auch d.esen Bericht nicht zu den streng hfstorische; zZ
len können er begnügt sich nicht, das Wesentliche des Hei"
ganges ,n kurzen scharfen Umrissen zu Beben sonH.m
bemüht auch das Einzelne auszumah J, t beg^'Z M
ausgeführte Reden finden sich in ziemlicher Anzahf, ^zelnj
poetische Züge treten selbst in der lateinischen F^rm noch
ervor ,. Die Auffassung im Ganzen ist hart, herb in der
Ske"u aT' J" «'-'--''"-•>- fi«den wir g;osse AlJthüm
l.chke.t . D«ss Gregor nicht erst den Nachrichten , welche
■hm zu Gebote standen, diese charakteristische Form geTeben
bat, unterhegt keinem Zweifel; er giebt im Ganzen, oh'ne Kri-
k zu üben, ,hm Ueberiiefertes wieder .,, einzelne Zusätze er-
kennen w,r le.cht genug 5), «„ 3„d,,,„ g^^,,^^ mag er ab
gekürzt haben. Er scheint auch hier die UeberlieferuL wel-
lulfu^ " r'r '"' ™ ^'""''^ ''' fränkischen^Volkes
erh^ltenj,nid_poet,sch ausgebildet hatte , aufgenommen zu ha-
•') S. p. 111, n. 2. p. 112, n. 2.
rarichs WoW' ^ Tr "'' -f"^""*- «<•"«. kann ma„ anführen Cha-
raiichs Worte. „In viridi ligno elc", dann: „quod verbum snnni. .„
aures ChU>doveohi e.c -, die Gegenüberstellung' c 42) von Ragnaohär" In
idt:::. i:ir':"X r r.^'™" --' ^upp.e»en.u.., enaucb
^) Vgl. darüber den neunten .\bschnitt.
• ') In dem einmal c. 41 und zweimal c. 42 gebrauchten /«-tor dUr
fen wir gewiss keine Kritik suchen. "^ '
p Von Gregor ist das ürtheil p. 113, n. I , dann ebenfalls in c 40-
..ed .ud.c.0 Dei in foveam. quam pa.ri hos.iU.er fodit. incidU 1
SIC quae in patrem egerat indignus incurrit". • ■ • r «
9*
4:.
;1
116
ben. Dass nun das von Gregor^Berichtete auch in der Volks-
Uberlieferung ein Ganzes bildete, dürfen wir wohl aus der durch
die Erzählung hindurchgehenden Auffassung schliessen, dass es
Rache ist, die Chlodovech zu seinem Handeln treibt. Er straft
Chloderichs unnatürliches Beginnen gegen den eignen Vater,
Ghararichs Weigerung ihm gegen Syagrius zu helfen, Ragna-
chars Vergehen gegen sein Volk , die Schmach , welche Ragna-
cbar und Richar dem königlichen Geschlechle angethan haben.
Auch die Auffassung 'ron Ghlodovechs Charakter ist durchweg
dieselbe '). Wir fassen also auch diesen Bericht Gregors als ein
dem Munde des fränkischen Volkes entnommenes Lied über
die Vereinigung der salischen Gaukönigthümer und des ripua-
rischen Reiches mit Ghlodovechs Macht.
Dass in diesem Berichte sich Dichtung des historischen
Stoffes bemächtigt hat, wird Niemand läugnen können; doch
wie viel Dichtung, wie viel Geschichte ist, im Einzelnen zu
entscheiden, sind wir nicht mehr im Stande. So weit dürfen
wir freilich sicher nicht gehen , zu behaupten 2) ^ das Ganze
sei Sage oder Erdichtung, ausgebildet in der blutigen Zeil
der Fredegund und Brunhilde ; Gregor' von Verrath und Mord
umgeben , habe kein Bedenken getragen , sie aufzunehmen.
Nichts erinnert in Auffassung und Darstellung an jene spätere
Zeit 3), vielmehr trägt das Ganze, wie bemerkt, einen alter-
thümhchen Charakter an sich. Weshalb Gräuel, denen ähnlich
welche zu Ghlodo\echs Zeit in der burgundischen Königsfamilie
vorkamen, ihm unmöglich gewesen sein sollten, sieht man
nicht ein. Sein Ziel zu erreichen hat er Gewalt und List nicht
gescheut. Wir können glauben, dass im Ganzen der Hergani:
so gewesen ist, wie ihn die fränkische Ueberlieferung festge-
halten hat, während im Einzelnen Manches der ausschmücken-
den Dichtung angehören wird 4).
') Vielleicht darf man auch auf die üebergänge c. 41 post haec etc.
c. 42 erat aiitem tunc elc. Gewicht legen.
2) Luden III , p. 103.
^) Ich weise nur darauf hin, wie sehr die als poetische Forlbil-
dungen bezeichneten Berichte der Gesta und Historia epitomata (s. An-
häng 4) das Gewand der spätem Zeit an sich tragen.
*) Im Anhange ist eine üebersicht der verschiedenen Quellen gege-
ben , welche für die Geschichte Chüderichs und Ghlodovechs von Gregor
benutzt zu sein scheinen
117
Eine andere Frage bleibt zu erledigen , die Frage nach
der Chronologie des von Gregor Berichteten. Nach Gregor
lallt Alles in die letzte Zeit von Ghlodovechs Regierung, nach
der Annahme der consularischen Insignien •). Doch erscheint es
gewiss als abweichend von der Geschichte ähnlicher Reichs-
gründungen, dass Chlodovech seine grossen Unternehmungen
gegen die Alamannen, die Burgunder, die Westgothen begon-
nen haben sollte, bevor er daran gedacht, durch Aufnahme
der salfränkischen Stämme das deutsche Element in seinem
Reiche und Heere zu verstärken. Als König des Reiches von
I Tournai mochte er mit Ragnachars Hülfe dem Syagrius gewach-
sen sein, jenen deutschen Völkern gegenüber war er schwer-
lich stark genug. Will man auf das Motiv, welches nach
unserm Berichte Chlodovech bewog, sich gegen Charnrich zu
wenden, etwas geben, so muss es sehr auffallen, dass er über
zwanzig Jahre einen Groll mit sich herumgetragen haben soll
welchen er gleich zu befriedigen die^Macht hatte. Vielleicht
darf man auch darauf hinweisen, dass die Unterwerfung der
Tboringer im zehnten Jahre von Ghlodovechs Herrschaft auf
kriegerische Vorgänge in den Landen nördlich der Somme schon
in einer frühern Zeit deutet. Freilich zu voller Sicherheit ist
hier nicht zu gelangen : es muss genügen , auf die verschiede-
nen Möglichkeiten hingewiesen zu haben. Ist aber Ghararichs
Reich schon in einer früheren Zeit von Chlodovech erworben,
so sind es auch die übrigen salischen Gaukönigthümer % Dass
dagegen das ripuarische Reich Chlodovech erst nach dem west-
gothischen Kriege zufiel, unterliegt keinem Zweifel 3). Da Gregors
Bericht die Vereinigung des salischen und ripuarischen Landes
mit Ghlodovechs Macht als ein Ganzes auffasst und darstellt,
darf man vielleicht vermufhen , es sei hier bei Gelegenheit
des Wichtigsten , der Erwerbung des ripuarischen Reiches,
das minder Bedeutende, doch Gleichartige, die Erwerbung
•) S. darüber unten p. 126 ff
Giesebrechl, Geschichte der deutschen Kaiserzeit I, p 72 setzt
sogar die Erwerbung der salischen Gebiete vor den Fall der römischen
Herrschaft.
^) Giesebrecht a. a. 0. L p.73 setzt die Erwerbung des ripuarischen
Reiches ohne Grund nach dem Kampfe mit den Alamannen und vor den
westgolhischen Krieg.
r^
118
lld
r l'
•««1
♦5:
der salischen Reiche, zugleich mit berichtet: die Dichtung hat
hier eingewirkt , sie verwischt ja ohnehin nur zu gern feste
chronologische Unterschiede.
Sehen wir ab von den Bedenken , welche gegen die Glaub-
würdigkeit der Einzelnheiten des Berichts geltend gemacht werden
mussten, so erscheint als das WesentHche des Vorganges Folgen-
des. Dort in jenen salischen Gebieten kommt es zu einer Ver-
einigung bis dahin getrennter Gaukönigthümer in Chlodovechs
Hand. Er lässt den einen König Ghararich und seinen Sohn
töten, gegen den andern, Ragnachar, gewinnt er dessen Leute,
und tötet zuerst ihn , dann seinen Bruder mit eigner Hand^
einen dritten Bruder Rignomir lässt er ebenfalls zu Le Mans
töten. Auch andere Mitglieder der königlichen Familie bei
den salischen Franken beseitigt er. Jetzt steht er als der
allein zur Herrschaft Berechtigte da, Reich und Schatz der
Getöteten fallen ihm als dem nächsten Erben zu. Anders da-
gegen ist der Vorgang* im ripuarischen Reiche. Hier hatte
Chlodovech durch Verwandtschaft keinen Anspruch : so stiftet
er Chloderich, den Sohn König Sigiberts, an, diesen zu ermor-
den. Chloderich selbst fällt von der Hand des Abgesandten
Chlodovechs. Als beide tot sind, tritt Chlodovech vor dem
versammelten Volke als Bewerber um das erledigte Königthum
auf: er empfängt durch Wahl des Volkes sein Recht und tritt
damit an die Stelle des alten Königshauses »).
So hat Chlodovech die alten Sitze des salischen Stammes
m Belgien und Holland, die Gebiete der Ripuarier bis zu den
Landen der Friesen und Sachsen im Norden , der Thüringer im
Osten, der Alamannen im Süden, gewonnen und damit das deut-
sche Element in seinem auf gallischem Boden unter Romanen
begründeten Reiche verstärkt 2). '
^i
1) Man findet in einigen Darstellungen, Hüschberg p.680, Rettberg
I 26d, etwas von einem Aufstande der Ripuarier, namentlich der Stadt
Verdun; das beruht auf der Combination . welche das Chronicon Vir-
dunense (Bouquet III, 355] macht. Hier ist die Stelle der V. Maximini.
Acta SS. Ord. S. Ben. S. I. App. p.58(), Bouquet III, 393, auf eine Erhe-
bung der Ripuarier bezogen. Doch gehörte Verdun wahrscheinlich schon
zu Syagnus Reich; die Erhebung der Stadt fällt also in den Anfang von
Oilodovechs Herrschaft. Waitz Verfassungsg. II, 54; s. oben p. 31.
*) Vgl. Waitz Vfg. II , 53 ff.
Das ist die letzte That Chlodovechs, welche Gregor be-
richtet *). Chlodovech starb zu Paris in der zweiten Hälfte
des Jahres 511 2), und ward begraben in der Apostelkirche,
welche er mit der Königin Chrotechildis selbst erbaut hatte.
9. Chlodovechs Königthum und Stellung zur Geistlichkeit.
Wenn wir es zum Schlüsse unserer Untersuchungen un-
ternehmen, etwas über die inneren Verhältnisse unter Chlo-
dovech zu sagen , so geschieht dies nicht in der Meinung,
von ihnen ein vollständiges Bild entwerfen zu können; unser
mangelhaftes Material erlaubt das nicht : sie können zudem
nur recht gewürdigt werden, wenn man sie in ihrem Werden
durch einen längein Zeitraum hindurch verfolgt. Wir beschrän-
ken uns darauf, Chlodovechs Königthum und seine Stellung zur
Geistlichkeit etwas näher ins Auge zu fassen.
Was zunächst Chlodovechs Königthum anlangt , so ist es
wichtig zu erkennen , dass es in seinen Grundlagen durchaus
deutsch ist, dass, obschon in den neuervvorbenen Gebieten
römische Einflüsse sich geltend machen, dennoch stets das
Germanische das Bestimmende bleibt 3). Das Charakteristische
für das deutsche Königthum ist bekanntlich Gebundensein an
ein bestimmtes Geschlecht , welches als ausschliesslich zur
Herrschaft berechtigt erscheint. Vor der Masse des Volkes zeich-
net sich dieses Geschlecht aus durch Adel und eine gewisse Hei-
ligkeit, welche sich darin ausspricht, dass man die Abstammung
des königlichen Geschlechtes auf die Götter zurückführt. Eine sol-
che königliche Famihe finden wir auch bei den salischen Franken.
Ihr Anrecht an die Herrschaft kann man als ein gemeinsames, allen
Gliedern der Familie zustehendes, bezeichnen : ist ein Königthum
erledigt, so tritt der Anspruch der Geschlechtsgenossen in Kraft.
So erklärt sich die Vereinigung der salischen Gaukönigthümer in
') Gr. II, 43; ihm folgen die Gesta c. 18, die Hisl. epit. c. 29.
■^) Diese Gregor gegenüber genauere Datirung ergiebt sich aus der
Unterschrift des noch bei Chlodovechs Lebzeiten geschlossenen Coocils
zu Orleans, s. unten p. 135 n. 5.
^) Wir sind hier fast nur auf Gregor angewiesen , doch hat er ja
ältere Berichte aufgenommen, aus welchen sich im Ganzen die richtige
Auffassung feststellen lassen wird.
w.
120
Chlodovechs Hand , ohne dass eine Erhebung desselben durchs.
Volk stattfindet i). Offenbar besteht aber auch nach der Auf-
fassung der Quelle ein gleiches Recht der salischen Könige Ghlo-
dovecb gegenüber ; er muss fürchten, verwandte Könige möch-
ten nach seiner Herrschaft trachten % Dass nun auch bei den
salischen Franken das königliche Geschlecht seine Abstammung
von den Göttern herleitete, ist freilich nicht ausdrücklich bezeugt
doch findet sich in unsern Quellen eine Stelle , welche ohne
diese Voraussetzung unverständlich bleibt. Avitus lobt den zum
Christenthume übergetretenen Frankenkönig , dass er von dem
ganzen Stammbaume uralter Herkunft allein mit dem Adel sich
begnügt habe. Was Cblodovech durch seinen üebertritt zum
Christenthume aufgab, waren seine alten Götter und damit
auch die Zurückführung seines Stammbaumes auf sie- es
bleibt ihm der Adel , welcher das königliche Geschlecht vor
dem Freien auszeichnet 3).
Abzeichen des königlichen Geschlechtes bei den salischen
Franken ist das lange Haar: es ist ein Zeichen körperlicher
Vollkommenheit ; wissen wir doch , dass körperliche Mängel
selbst zu hohes Alter, nach altdeutscher Anschauung den zum
Kömgthume Berechtigten ausschlössen 4). Das lange Haar des
fränkischen Königs wird in unsern Quellen öfter erwähnt
Gregor hebt es mit grossem Nachdruck hervor, als er von
der Begründung des salischen Gaukönigthums spricht, dass
man „langhaarige Könige gewählt habe" 5). Avitus gedenkt
im Geiste sich den Anblick des zur. Taufe schreitenden Franken-
königs Ghlodovech ausmahlend , seines mit Sorge genährten
Haares 6); auch der Schreiber des Prologes zur Lex .jalica hat
es nicht versäumt , Ghlodovech durch Nennung dieses Abzei-
chens zu feiern '). Man darf wohl das lange Haar als das
^) Gr. II , 42.
i
') S. oben p. 1 18.
') S. oben p. 60, n. 2
') Gr. II , 40. Ghlodovech muntert Sigiberts Sohn auf , den Vater
zu beseitigen: die Worte - ecce pater tuus senuit, et pede debili Clau-
dicat — Schemen das rechtfertigen zu sollen.
*) Gr. II, 9.
^ ^) S. oben p. 45, n. 3. Waitz Verfassungsgeschichle II, 104 und die
bei Giesebrecht, üebersetzung Gregors I, 69 n. I angeführten Stellen.
') S. unten p. 127, n. 2 . .
121
Symbol der Herrschaft bei den salischen Franken bezeichnen.
Ghlodovech nimmt es Ghararich und seinem Sohne zugleich
mit der Herrschaft : als Ghararichs Sohn droht, das geschorene
Haar, könne auch wieder wachsen , erscheint er schon da-
durch Ghlodovech gegenüber als Prätendent zur königlichen
Herrschaft i).
In diesem königlichen Geschlechte folgt zunächst der Sohn
dem Vater. „Als Ghilderich gestorben war, herrschte Ghlo-
dovech für ihn", heisst es bei Gregor 2) ; es hängt nur vom
Tode des alten Sigibert ab, dass seinem Sohne Ghloderich
die Herrschaft zufällt 3); als Ghlodovech gestorben ist, theilen
seine Söhne das Reich 4) , es erscheint als väterliches Erbe,
mit welchem nach Erbrecht verfiihren wird, Obschon nun
die Erblichkeit des Königthums bei den salischen Franken aner-
kannt ist und also von einer förmlichen Wahl innerhalb des zur
Herrschaft berechtigten Geschlechtes nicht die Rede sein kann,
so tritt doch in unseren Quellen noch die Anschauung deutlich
hervor, dass der König eigentlich König ist durch die Wahl
des Volkes. Es ist das Recht des Volkes, den König sich zu
wählen, und dies Recht gewinnt Kraft ^ sobald kein zur Herr-
schaft Berechtigter mehr vorhanden ist. So empfängt Ghlodo-
vech durch Wahl aus den Händen des ripuarischen Volkes
sein Recht zur Herrschaft s) ; statt des vertriebenen Ghilderich
wählen, wie die Sage berichtet, die salischen Franken des
Reiches von Tournai einstimmig den Aegidius zum Könige 6).
Ja in unseren Quellen tritt es deutlich hervor, dass das
Königthum, durch Wahl des Volkes übertragen, auch durch
schlechte Führung verwirkt werden kann. Nach der Sage
ward Ghilderich vertrieben, als er die Töchter der Franken
zu verführen begann ?] ; als Ragnachar durch Wollust und
') Gr. II, 40. S. oben p. 113.
^) Gr. II, 27: his ita gestis mortuo Childerico regnavit Chlodove-
chus filius eius pro eo.
^) Gr. II, 40: si ille . moreretur recte tibi . . regnum illius
redderetur; und später Ghloderich : - pater meus mortuus est, et ego
thesauros cum regno eius penes me habeo.
'*) Gr. III, 1: defuncto igitur Chlodovecho rege, quatuor filii eius
. . regnum eius accipiunt et inter se aequa lance dividunt.
") S. oben p. 112. ß) Gr. II, 12. ?) Ib.
jy
i
'S
7
122
Habgier seine Getreuen beleidigt hat , glauben diese berech-
tigt zu sein , Ghlodovech zur Vertreibung ihres Königs die
Hand zu bieten •).
•
Dem entspricht es denn auch, wenn wir zu Chlodovechs
Zeiten das Volk einen ziemlich starken Antheil an politischen
Dingen nehmen sehen. Diese Theilnahme wird geübt in der
Versammlung des Volkes. Bei wichtigen Angelegenheiten ist
Ghlodovech an die Zustimmung dieser Volksversammlung gebun-
den. Als er zum Chrislenthume überzutreten entschlossen ist,
hält ihn nur der Gedanke an sein Volk zurück , welches die
alten Götter nicht verlassen will : er beruft es zur Versamm-
lung, und erst als hier die Masse des Volkes sich bereit er-
klärt hat, dem Christengolte zu folgen, thut Ghlodovech den
entscheidenden Schritt 2). Aehnlich'beim westgothischen Krie-
ge: da Allen sein Vorschlag, das Land der Arianer zu unter-
werfen, gefallen hat, zieht er aus 3). Auch die Versammlung
des gesammten ripuarischen Volkes, welche Ghlodovech beruft,
als er sich um das erledigte Königthum bewirbt, darf hier
wohl zur Vergleichung angeführt werden'*). Der König, so
viel ergiebt sich uns aus den einzelnen Fällen, beruft die
Versammlung : er trägt hier vor dem versammelten Volke sein
Begehr vor , das Volk giebt durch Zuruf seine Beistimmung
zu erkennen : eine eigentliche Beralhung findet nicht statt.
Anzuführen ist noch , dass die Versammlung der ripuarischen
Franken, was sich übrigens von selbst versteht, bewaffnet ist.
Was wir von Ghlodovechs Geschichte wissen, bezieht sich
besonders auf seine kriegerische Thätigkeit zur Ausbreitung
seines Reiches : von einem kühneii Unternehmen treibt es ihn
da zum anderen. So tritt uns von Ghlodovechs königlichen
Funktionen die des Heerführers am bedeutendstem entgegen.
Um den Kriegszug zu unternehmen, bedarf der fränkische König
freilich der Zustimmung der Volksgenossen, doch, ist der Krieg
beschlossen, dann bietet er das Volk auf. Es kommt als Hoer
') Gr. II , 42.
-) S. oben p. 5i.
^) Gr. II , 37.
*) Gr. II, 40.
123
zusammen auf dem Märzfelde zur Heerschau >) : er entlässt es
wenn kein Krieg zu führen ist 2). Als Heerführer übt aber
der König noch eine ganz andere Macht über den freien Volks-
genossen, als sie ihm sonst zustehen mochte, denn er schützt
den im Heere waltenden höheren Frieden. Verletzungen straft
er strenge, einen Krieger, welcher wider seinen Befehl einem
Armen Heu genommen, stössit er mit dem Schv^rte nieder 3);
als jener Krieger, welcher Ghlodovech bei der Beutetheilung
zu Soissons einen billigen Wunsch zu versagen gewagt, auf
dem Märzfelde schlecht gerüstet erscheint, erschlägt ihn Ghlo-
dovech mit erhobener Streitaxt 4). Ueberhaupt hält sich Ghlo-
dovech während des Krieges für berechtigt, aus eigner Macht-
vollkommenheit , ohne Zustimmung der das Heer bildenden
freien Volksgenossen, zu handeln : er giebt, wo es nöthig
scheint , Bestimmungen zum Schutze des Eigenthums , der
friedlichen Reisenden auch im feindlichen Lande 5) ; als er das
westgothische Gebiet betritt , lässt er seinem Heere zur Nach-
achtung einen besonderu Frieden verkünden für bestimmte
Personen, namenthch geistlichen Standes, und bestimmte Ge-
genden 6) : er befiehlt einer Frankenschaar zur Sicherung des
westgothischen Landes zurückzubleiben, als er selbst heim-
kehrt 7). Doch diese Gewalt des Königs hört auf, sobald der
Gr. II, 37.
') Gr. II , 27 : . . iussit (rex) omnein cum armorum apparatu ad-
venire phalangam , ostensuram in Gampo Martio suorum armorum nito-
rera. Verum ubi cunctos circuire deliberat . . .
'*) Vgl. ib. die Worte „quo morUio reliquos abscedere fubet"
') Gr. II , 37.
*) Gr. II, 27. Das Erschlaffen mit der erhobenen Streitaxt ist sehr
stehend , es erscheint fast als eine rechtliche Korra. So werden Chlode-
rich II, 40. Ragnachar und Richar II , 42 getötet; ähnlich heisst es von
Chararich und seinem Sohne: . . at ille iussit eos pariter capite plecti;
Lex Salica XL, 4: capitali sententia feriatur.
5) Gr. II , 37 : ... pro reverentia beati Martini dedit edictum , ut
nullus de regione iila (Tours) aliud quam herbarum alimenta aquamque
praesumeret ... satisque fuit exercitui, nihil ulterius ab hac regione
praesumere . . . Conteslatus est autem omni exercitui, ut nee ibi qui-
dem (bei Poitiers) aut in via aliquem exspoliarent , aut res cuiusquam
diriperent.
*") S. oben p. 84.
Gesta c. 17.
i.
124
Krieg beendet ist: in jener Versammlung der fränkischen Volks-
genossen zu Soissons zur Beutetheilung nach Syagrius Besie-
gung steht der König als gleichberechtigt neben seinen Fran-
ken ; die gleiche Kriegsmühe giebt gleichen Antheil , selbst der
König darf über den gesetzlich ihm zukommenden Antheil hin-
aus nichts nehmen ').
Was die übrigen Aeusserungen der königlichen Gewall
betrifft, so können wir nur das Allgemeinste aus unsern spär-
lichen Nachrichten erkennen. Das Verhältnis des ünterthanen
zum Herrscher liegt ausgedrückt in den Begriffen der zwingenden
Herrschergewalt 2) : sie findet ihre Anwendung zunächst auf die
Franken Chlodovechs. Die Herrschergewalt \\ird aufgefasst als
eine schützende: dies geht deutlich hervor aus Chlodovechs Rede
bei seiner Bewerbung um das ripuarische Königthum : „Wen-
det euch zu mir, sagt er da, damit ihr unter meinem Schutze
steht" 3). Dies ist die altdeutsche Auffassung des Königthums :
die königliche Gewalt schützt das Recht und den Frieden,
und bezieht sich in diesem Sinne auf das ganze Volk. Doch
kann der königliche Schutz auch Einzelnen in einem besonde-
ren Masse zu Theil werden. So finden wir in den wahr-
scheinlich unter Ghlodovech zur f.ex salica gemachten Zusät-
zen den Fall vorgesehen, wenn gegen ein aus bestimmten
Gründen unter dem königlichen Schutze stehendes Weib ge-
frevelt ist 4) : solcher Frevel wird besonders scharf gestraft,
denn da ist der König zugleich mit verletzt. Als den regel-
mässigen königlichen Beamten erwähnen die Zusätze zur Lex
salica den Grafen 5) ^ natürlich in gerichtlichen Funktionen.
Diese Seite seiner Thätigkeit überwiegt so sehr, dass er gra-
dezu als Richter bezeichnet wird. Der Graf handelt als kö-
niglicher Beamter für den König, daher kann sein Wille dem
königlichen Befehle gleichgestellt werden 6). Von anderen
*! ^^' "' ^^ *) ditio, dominium: s. p. 125, n. 2.
Gr. II, 40: Convertimini ad me, ut sub mea sitis defensione.
} Pardessus , loi salique p. 333', capita exlravagantia XI 7 Vgl
Waitz, das alte Recht p. 206. ' '
^) Pardessus a. a. 0. VII. IX.
«) Conciliorum Galliae Collectio 1,837. Conc. Aurel. a. 511 c 4
kern Laie soll in den geistlichen Stand treten - nisi aut cum regis ius-
sione, aut cum iudicis voluntate.
125
königlichen Beamten zu Chlodovechs Zeit erfahren wir nichts :
Aurelians Herzogthum ist ungeschichtlich , die Ausstattung Rig-
norairs mit einer eigenen Herrschaft beruht auf unrichtiger Auf-
fassung unseres Berichtes bei Gregor i). Ausserdem finden wir
in besonderen Fällen Gesandte Chlodovechs : durch Gesandte
lässt er den geflohenen Syagrius vom Alarich zurückfordern;
durch häufige Gesandtschaften wirbt er um Chrotechildis, er
schickt Gesandte zu Sigiberts Sohni
Soviel können, wir über das Königthum Chlodovechs er-
kennen : es ist hier Nichts, was wir im Wesen als undeutsch
bezeichnen müssten. Nur eine Steigerung der Macht finden
wir. Seine königliche Gewalt hat dann auch leicht Anwendung
auf die von ihm seinem Reiche hinzu erworbenen deutschen
Stämme gefunden. Es ist hier immer eine persönliche Er-
werbung , welche Ghlodovech macht : seiner königlichen Ge-
walt sind fortan die Gebiete unterthan, deren bisherige Herr-
scher ihm haben weichen müssen ; Reich und Schatz fallen
ihm zu 2) ^ das Volk bleibt in demselben Verhältnis zu ihm,
in welchem es zu seinem frühern Herrscher gestanden hat:
eine Minderung der Freiheit tritt nicht ein, die ins fränkische
Reich aufgenommene Bevölkerung behält ihr altes Recht und
Wehrgeld ; nur bei einem Theile der Alamannen ist vielleicht
ein ungünstigeres Verhältnis eingetreten. Durch die neuen Er-
werbungen hat Chlodovechs Reich an Macht, an Ausdehnung
gewonnen 3) , doch seine königliche Gewalt bleibt dieselbe.
Dagegen ist die Ausbreitung über die römischen Ge-
biete des nördlichen Galliens , wie wir sahen , nicht ohne
») S. oben p. 21 n. 3.
2) Gr. 11,27: (Thoringos) suis ditionibus subiugavit; 30: Alamanni
Chlodovechi ditionibus se subdunt; 37: (Theudericus) urbes ilias . . pa-
tris sui ditionibus subiugavit ; Ecolismam suo dominio subiugavit (Chlo-
dovechus) ; 40 : regnumque Sigiberti acceptum cum thesauris , . . ipsos
quoque suae dilioni adscivit; 41: regnum eorum cum thesauris et po-
pulo adquisivit; 42: quibus mortuis omne regnum eorum et thesauros
adquisivit. Zu vergleichen ist damit die Antwort der Franken c. 27 :
omnia gloriose rex quae cerniraus tua sunt; sed et nos ipsi tuo sumus
dominio subiugati.
^) Ep. Remigii, Bouquet IV, 51 C: populorum caput'cslis, et re-
gimeu sustinetis.
,.■?
Ff
%
126
Einfluss geblieben. Von den Römern als König anerkannt
hat der fränkische König Rechte des römischen Kaisers in
Bezug auf sie ausgeübt, welche nothwendig seine ideelle und
materielle Gewalt steigern mussten, ohne indes das eigentliche
Wesen seiner königlichen Herrschaft zu verändern. Als dann
nach Alarichs Besiegung wieder vorwiegend römische Gebiete
des südwestlichen Galliens zum fränkischen Reiche hinzugefüel'
waren, hat Ghlodovech römische Ehren angenommen. "
„Chlodovech, so erzählt Gregor«), empfängt, als er sieg-
reich vom westgothischen Kriege zurückkehrt, also im Jahre
508, in Tours vom oströmischen Kaiser Anaslasius ein Hand-
schreiben über das Consulat , und wird in der Basilika des
hl. Martm bekleidet mit der purpurfarbenen Tunika und der
Cblamys; auf sein Haupt setzt er ein Diadem. Üann besteigt
er ein Pferd und streut auf dem Wege zwischen der Thür
des Atrmms der Basilika und dem Gemeindehause der Stadt
dem versammelten Volke gnädig Gold und Silber aus, und von
diesem Tage an ist er gleichsam Consul undAugustus genannt" 2)
Man hat aus dieser Erzählung folgern zu müssen geglaubt'
Chlodovech sei das Consulat übertragen; doch nennen die'
Consularfasten Chlodovech nicht als Consul. Die Annahme
dass man in Italien, dem Vateriande der Consularfasten aus
Neid und Misgunst Chlodovechs Namen ausgemerzt habe er-
klärt diesen Widerspruch eben so wenig, wie der Einfall
Chlodovech sei nicht das Consulat, sondern das Palriciat über-
tragen, Gregor habe sich ungenau ausgedrückt 3). Wenn man
diesem aber gerecht sein will, so darf man nicht übersehen dass
er nicht geradezu sagt, dass Chlodovech Consul geworden sei-
er berichtet vielmehr, Chlodovech sei ein Schreiben über das
Consulat von Byzanz überschickl , er sei „gleichsam Consul und
Augustus" genannt. Zur richtigen Auffassung dieser allerdings
etwas dunkelen Worte führt uns eine Stelle im Prologe der
') Gr. II, 38 Er berichlel auch hier nach der in Tours erhaltenen
üeberheferung. Die Gesta c. 17 lassen Einzelnes weg, die Historia epi-
tomata schweigt ganz.
2) . . tamquam consul aut Augustus est vocitatus.
*) Jenes ist Dubos, dieses Valesius Ansicht 5 s. Sybel in d Jahrbü-
chern des Vereins von Alterthumsfreunden im Rheinlande IV p. 75-81
127
Lex salica, welcher zwar erst gegen Ende des sechsten oder
Anfang des siebenten Jahrhunderts, allein mit unverkennbarer
Sachkenntnis, geschrieben ist i). Hier wird Ghlodovech Pro-
consul genannt , der Titel wird seinem könighchen iNamen als
ein ständiger beigefügt. Da Gregors Bericht Ghlodovech nicht
als wirklichen Gonsul bezeichnet, dürfen wir beide Nachrich-
ten dahin vereinigen , dass Ghlodovech vom byzantinischen
Kaiser das Proconsulat übertragen sei. Man kann indes zwei-
feln, ob es ihm wirklich als Amt oder nur als Ehre verliehen ist.
Wir wissen , dass noch in der spätem Kaiserzeit Proconsuln
für bestimmte Provinzen ernannt sind ; das könnte auch hier
der Fall sein 2). Allein sehen wir auf die Worte bei Gregor,
so tritt hier nur das Ehrenvolle hervor : mit Purpur und Dia-
dem zeigt sich Ghlodovech dem Volke in Tours, er führt fort-
an jenen ehrenvollen Beinamen : so ist gewiss die Auffassung
berechtigter, dass es eben nur die consularischen Insignien,
der ehrende Beiname des Proconsul und Augustus waren
welche vom ostrümischen Kaiser dem in so vielen Kämpfen
siegreichen Frankenkönige übersandt worden sind 3).
Für den oströmischen Kaiser hatte die so angeknüpfte
Verbindung mit dem Könige des deutschen Beiches, welches
unter den bestehenden jetzt den ersten Platz einnahm , im
Grunde, wenig zu bedeuten. Eine Art idealer Hoheit mochte
so wieder über Gebiete dort im Westen geübt werden, al-
lein sie hatte keine reale Bedeutung mehr. Für Ghlodovech
dagegen war die Annahme des proconsularischen Titels,
') Pardessus a. a. 0. p. 345 : At ubi Deo favente rege Francorum
Chlodoveus torrens et pulcher et primus recepit catholicam bapüsmi et
quod minus in pactum habebalur idoneo , per proconsolis pegis Chlo-
dovehi et Hildeberti et Chlolarii fuil lucidius emendatum. S. Waitz, das
alte Recht p. 36 ff. , über die Erklärung p. 82, dann Sybel u. a. 0.
Die Worte ,. torrens et pulcher" sind doch wohl auf den das kö-
nigliche Geschlecht auszeichnenden langen Haarschmuck (torrens) und
die körperliche Vollkommenheit Chlodovechs (pulcher) zu beziehen.
*'*) Beispiele bei Sybel a. a. 0.
3) Ob von Ruinart bei Bouquet H, p 722 ff. und Dubos V, l eine
Figur am Eingange der Kirche St. Germain des Prez bei Paris mit Recht
auf den mit consularischen Insigfiien geschmückten Chlodovech bezogen
worden ist , lässt sich hier nicht entscheideo.
128
der consuliirischen Insignien nicht ohne politische Bedeutun«
Dies erkennen wir, wenn wir ähnliche Vorgänge in anderen
deutschen, im fünften Jahrhunderte auf lomischera Boden
begründeten Reichen vergleichen. So nimmt 412 Gundo-
bad als König von Burgund das vom Olybrius ihm übertra-
gene Patrici.t ani); Odovakar, zum Könige der Deutschen
in Italien erhoben, sucht beim oströmischen Kaiser Zeno um
die Verleihung des Patriciats nach "-) und erhält es : der ost-
gothische König Theuderich , gegen Odovakar entsandt le^t
m nahen auf Zenos Rath die Kleidung seines Volkes ab un'd
nimmt das Abzeichen des königlichen Gewandes an, als sei er
bereits Herrscher über Ostgothen und Römer 3). Bei Theode-
rich ist die Annahme römischer Abzeichen geradezu als Sym-
bol einer nunmehr auch über Römer sich erstreckenden Herr-
schaft gefasst .- da Tbeoderich bereits vorher das Consulat er-
halten hat, braucht die Verleihung einer römischen Würde
Dicht hinzuzukommen. In demselben Sinne fassen wir auch
Odovakars und Gundobads Patriciat auf. sie suchen ihrer
Herrschaft über Römer , welche durch Gewalt begründet ist
auch einen rechtlichen Ausdruck zu geben. Diese Analogien
lassen uns keinen Zweifel über die pohlische Bedeutung je"nes
Vorganges in Tours : es ist eine neue Concession , welche
Chlodovech den Römern macht in einem Augenblicke, wo von
neuem vorwiegend römische Gebiete mit seinem Reiche ver-
einigt sind. Wie er einst nach dem Falle von Syagrius Reich
von den Römern sich förmlich anerkennen Hess, so nimmt er
jetzt das Abzeichen einer römischen Würde, einen römischen
Titel an. Beides steht auf einer Linie : die Herrschaft des
fränkischen Königs über die Römer gewinnt so eine gesetzli-
che Form.* Da Chlodovech nun schon Christ ist, nimmt auch
die Geisthchkeit Antheil , eine kirchhche Feier giebt dem -an-
zen Vorgange eine höhere Weihe. °
') Cuspin. Anonym, ad a. 472 (Roncallius II, I2(i): Eo anno Gun-
dobaldus patiicius factus est ab Olybrio imperatore. Vgl. Gaupp d ger
man. Ansiedlungen ,^287. Auch Sigismund, Gundobads Sohn, erhielt von
Anastasius dieselbe Würde.
2) Malchi fragra. , Corpus Byz. Bonn. I, 235. 236.
') Jordanis de rebus Geticis c. 57 : tertioque ut diximus anno in-
gressus in Itaüam (Theodoricus) Zenonisque imperatoris consulto priva-
129
In die letzten Jahre Ghlodovechs , die Zeit seiner über
germanische und romanische Gebiete in gleicher Weise befe-
stigten Herrschaft fallt auch , was wir von seiner gesetzge-
benden Thätigkeit wissen. Es sind unter ihm Zusätze zu den
65 Titeln der Lex salica gemacht i) : diese müssen in die Zeit
nach dem Jahre 508 oder 509 gehören, da Chlodovech, als
sie gemacht wurden, bereits den Titel Proconsul führte.
Wichtig für die Gesetzgebung ist ausserdem das von Chlodo-
vech im Jahre 511 nach Orleans berufene Concil: es ist mög-
lich , dass hier auch über weltliche Angelegenheiten Bestim-
mungen getroffen wurden 2).
Das führt uns auf die Stellung der katholischen Geistlichkeit
in Chlodovechs Reiche 3). Während des Verfalls der bürger-
lichen Ordnung beim Untergänge des weströmischen Reiches
hatte die kirchliche Ordnung Bestand gehabt. Dem Bischöfe
hatte sich namentlich die städtische Bevölkerung angeschlossen,
sie hatte in ihm einen Schirmherrn, einen Fürsprecher gegen
einheimische Machthaber, gegen die andringenden Barbaren
gefunden. So waren die Bischöfe in den gallischen Städten
das Haupt der Bevölkerung geworden, sie nahmen eine lei-
tende Gewalt in Anspruch. Dazu genossen die Bischöfe , wie
die Geistlichen überhaupt, ein hohes Ansehen, theils in Folge
ihres geistlichen Amtes, theils als Vertreter der Humanität in
einer rohen Zeit. Wir sehen besonders die Geistlichen be-
müht, das harte Loos der Kriegsgefangenen durch Loskaufen
durch Fürbitte zu mildern 4). Die Kirche wird ein Asyl für
Verfolgte: wer in sie flüchtet, steht unter göttlichem Schutze
und ist vor dem ersten leidenschaftlichen Zorne des Verfolgers
tum habitum suaeque gentis vestitum reponens , insigne regii amictus
y«a«i lam Gothorum Romanorumque regnator adsumit.
') S. oben p. 127 n. 1 und Schaffner a. a. 0. I, 121, Waitz, das
alte Recht 75 ff. Diese Zusätze sind bei Pardessus a. a. 0. p. 329 unter
den capita extravagantia I — XII mitgetheilt.
'^) S. unten p. 135.
^) S. im Aligemeinen Roth , von dem EinHusse der Geistlichkeit
unter den Merovingern (gelesen am Ludwigstage in der bair. Akad. der
Wissensch. 1830).
*) S. oben p. 107.
9
»Il
i
130
gesichert 1); Armenpflege, Krankenpflege zu üben, gilt für ein
Vorrecht des Bischofes 2).
So bedeutete die katholische Geistlichkeit in derThat etwas,
als sie in dds fränkische Reich aufgenommen ward. Noch ge-
winnen aber musste sie an Bedeutung, als Chlodovech und so-
mit das fränkische Volk in die Kirche aufgenommen wurden
Chlodovech hat der Geistlichkeit die schuldige Ergebenheil
bewiesen : der heihgeri Genovefa zu Liebe soll ^er öfter Gefan-
genen Milde gezeigt, selbst Schuldige begnadigt habend);
vom Alamannenkriege als Sieger zurückgekehrt, nahm er Ve-
dast mit sich nach Rheims, voll Eifer, von dem heiligen Manae
in den Lehren des Heiles sich unterweisen zu lassen 4). Eine
alte Quelle rühmt es, dass Chlodovech viele Kirchen von
Grund aus neu erbaut , verlassene wieder zum Gottesdienst
eingerichtet , Klöster gegründet habe ; Bischof iVIelanius von
Rennes stand ihm dabei zur Seite 5). Bestimmt wissen wir,
dass Chlodovech die Apostelkirche zu Paris erbaut«), den
Bau der Kirche der hl. Genovefa in Paris begonnen hat').
Die durch ihre Heiligkeit ausgezeichnete Martinskirche in Tours
erhielt von ihm, als er siegreich aus dem westgothischen Kriege
zurückkehrte, reiche Geschenkes). So vereinigte sich b(3i
Chlodovech ein frommer gläubiger Sinn mit jener Gewaltsam-
keit, welche wir bei andern Gelegenheiten hervorbrechen se-
hen. Er bittet, gewiss ohne Heuchelei, die Bischöfe seines
Reiches , für ihn zu beten 9) ; er erwartet es als Entgelt für
eine zwei frommen Geistlichen gemachte Schenkung, dass sie
für ihn , seine Gattin , seine Söhne die götüiche Gnade erfle-
') Concilium Aurelianense a. a. 0. canon I. II. III.
'^) Ib. canon XVI.
^) V. Genovefae, Bouquet III, p. 370.
*) V. Vedasti, Bouquet III, p. 372.
*) V. Melanii, Bouquet III, 395.
^) Gr. II, 43.
') V. Genovefae. Bouquet III, 370, mit einer bemerkenswerlhon Be-
schreibung der Kirche.
') Gr. II, 37.
») Bouquet IV, p. 54. Ep. Chlotovechi Schluss : orate pro me do-
miDi sancti et apbstolica sede dignissimi papae.
131
heni)^ Einzelne durch Geist, durch Bildung ausgezeichnete
G^thche treten zu Chlodovech in ein enges persönliches Ve!
haltms vor allen Remigius von Rheims, dann Vedast, zum
Bischof von Anas erhoben 2); auch ferner stehende , wi; Avi-
tus ;;» Vienne Pabst Anastasius, sind Chlodovech freund-
schafthch verbunden. Es unterliegt keinem Zweifel, dass diese
Geisthchen unter Umständen auf die EntSchliessungen des Kö!
n.gs Emlluss ausüben konnten : finden wir doch den schon
erwähnten Melanius von Rennes geradezu als den Rathgeber
Chlodovechs erwähnt , freilich zunächst in geistlichen Dingen 3,
Wichtig ist es auch, dass schon jetzt die Unterschrift eines
Bischofes gebraucht wird, um vom Könige ausgestellte Urkun-
den zu beglaubigen *).
Die katholische Geistlichkeit hat sich Chlodovech nicht
undankbar bewiesen. Wir sehen,, dass die Geistlichen auch
.hrerseits dem Frankenkönige die schuldige Ehrfurcht bewei-
sen d,e Bischöfe seines Reiches nennen ihn ihren König und
Herrn 5), der römische Bischof giebt ihm den Titel „Serenitas"
welcher dem römischen Kaiser gebührte «). Gern ist die Kir-
che bereit, wo es gilt, den fränkischen König zu verherrli-
chen : sie erhöht die Bedeutung jener üebersendung consula-
nscher Ins.gnien, indem sie eine kirchliche Feier hinzufügt ;
als Chlodovech sich dem belagerten Verdun gnädig bewiesen
.chen Empfang bereitet ') : nicht im Gegensatze zum Franken-
komge , sondern im Anschluss an ihn , und grade durch den
Anschluss an ihn möchte die Geistlichkeit etwas bedeuten.
') Pardessus, Diplomala f, 57: Tibi venerabilis senex Euspicii luo
que Max,mino, ut possi.is e. hi qui vobis in sancto proposito"-
denl, pro nos.ra dilec.aeque coniugis et filiorum sospi.ate divinam mi
sencordiam precibus vestris impetrare, Miciacum concedimus
) V. Vedasti a. «. 0. erat: enim gralus penes aulam regiam.
) V, Melanii a. a. 0.
«) Pardessus Dipl I, 57: Eusebius episcopus confirmavi.
) Concilium Aurel. Bcief der Bischöfe a. a. p 835
«) Ep^ Anastasii, Bouquet IV , p, 50. In Remigius Briefe ib. p 5|
m,erm,tat.s comilia natürlich im eigentlichen Sinne des Wortes zu
nehmen. ^"
") V. Maxinaini, Bouquet III, p. 395 e.
9*
A.
w
132
Doch innerhalb ihrer Sphäre bewahrt die Geistlichkeit auch
dem Könige gegenüber grosse Selbständigkeit, stark ausge-
bildete Rechte. Die katholische Geistlichkeit hatte, als sie\i
Chlodovechs Reich eintrat, bereits eine feste hierarchische Ord
nung gewonnen. Namentlich hat der Begriff dei^ bischöflichen
Gewalt, der geistlichen Gerichtsbarkeit schon eine feste rechtliche
Ausbildung erlangt. Alle neu erbauten oder noch zu erbauenden
Kirchen sollen, so ward bestimmt, dem Bischof untergeben
sein, in dessen Diöcese sie liegen i). Die Aebte stehen unter
dem Bischöfe , dessen Diöcese sie angehören ; lassen sie sich
üebertretungen zu Schulden kommen , so straft sie der Bischof •
alljährlich einmal sollen sie auf ergangene Ladung an einem
vom Bischöfe zu bestimmenden Orte zusammenkommen 2).
Die Mönche stehen zunächst unter ihrem Abte 3). Die Geistli-
chen büssen kirchliche Vergehen nach den Bestimmungen des
Bischofes 4) , seine Einwilligung muss von den Aebten, Presby-
tern und andern Geistlichen der Diöcese nachgesucht werden für
die Bewerbung um Schenkungen beim Könige oder bei dessen
Söhnen 5). wie es mit den Bischöfen selbst gehalten worden
ist, steht nicht ganz fest: es scheint, dass sie in geistlichen
Dingen vor einer Versammlung der übrigen Bischöfe der Pro-
vinz zu Rechte stehen mussten 6).
In weltlichen Dingen dagegen scheint auch der Geistliche
dem weltlichen Gerichte untergeben gewesen zu sein • die
Möghchkeit, auch den Bischof über Mein und Dein zu belan-
gen, ist nicht ausgeschlossen 7); wenn ein Diakon oder Pres-
byter einen Mord begeht, so soll er seines Amtes entsetzt und
•) Concil. Aurel. canon XVII ; deswegen wird offenbar Miciacum
*^) Canon XIX.
^) Ib. vgl. canon XXII.
*) Canon XXVIII.
^) Canon VII.
«) Dies darf man aus canon V folgern :' . . . quod si aliquis sacer-
dotum ad lianc curam minus sollicitus ac devotus exsUterit , publice a
comprovincialibus episcopis confundalur.
') Canon VI.
133
exkommunicirt werden »). Es scheint, als sei dann das ge-
wöhnliche gerichtliche Verfahren eingetreten, da ja diese Strafe
unmöglich genügen konnte.
Es kommt für die Stellung der Geistlichen Chlodovech
gegenüber besonders darauf an , ob dieser einen Antheil an
der Ernennung hatte oder nicht. Dass Chlodovech eine di-
rekte Mitwirkung bei der Besetzung der niederen geistlichen
Stellen hatte, steht fest. Wir sahen, dass er Chararich und
seinen Sohn ordiniren Hess. Das stimmt ganz mit der Anord-
nung, welche auf dem Concil zu Orleans getroffen ist: ohne
den königlichen Befehl, oder den Willen des Grafen solle kein
Laie in den geistlichen Stand aufgenommen werden: ausge-
nommen von dieser Bestimmung sind iur diejenigen , deren
Vater, Grossväter oder Urgrossväter Geistliche gewesen sind-
sie unterliegen der bischöflichen Gewalt 2j. Hier also finden
wir ein vollkommenes Bestätigungsrecht des Königs ; dass er
dadurch miltelbar auch auf die Besetzung der höheren geistli-
chen Stellen Einfluss ausüben konnte, unterliegt keinem Zweifel
Wie es mit der Besetzung von Bislhümern war, können wir aus
den uns überlieferten Beispielen der Besetzung erledigter Stel-
len zu Chlodovechs Zeit entnehmen. Der Bischof erhielt nach
altem Brauche sein Amt durch Wahl der Gemeinde. Dieser
Brauch erhält sich auch zu Chlodovechs Zeit. Als er beim
Anfange seiner Regierung in Verdun verweilt, ist gerade Bi-
schof Firmin gestorben. Chlodovech bittet den greisen Pres-
byter Euspicius, der Stadt als Bischof vorzustehen. Allein
demüthig schlägt Euspicius die ihm zugedachte Ehre aus:
Chlodovech kann ihn nicht bestimmen, sich zum Bischof wäh-
len zu lassen 3). Dieser letzte Zusatz ist wichtig : zu Ghlodo-
') Canon IX.
Canon IV. Hier wird von den Ordinationen clericorum gehan-
delt: clertri sind niedere Geistliche im Gegensatz zum sacerdos , dem
Bischöfe.
') V Maximini, ßouquet III, 393: . . (Chlodoveus) sanctura Euspi-
cium . ., ,it urbi . . episcopali dignitate et honore praeesset, admonuit
et admonendo pelivit. At vero sanctus ilie . . obialum honorem vel
potius onus sacerdolis humiliter recusavit. . . Cumque rex hoc ab eo
obtmere non potuisset, ut pontifex sciUcet crearetur, iussit, ut sibi co-
mes fieret.
J
134
vechs Berufung muss eine förmliche Wahl hinzukommen. Ein
ander Mal handelt es sich um die Besetzung des Bisthums
Auxerre, welches wie Verdun ebenfalls zu Chlodovechs Reiche
gehörte. Chlodovech erbittet sich den Unterthanen des Bur-
gunderkönigs Gundobad zum Bischöfe. „Dieser Bitte oder
Wahl'- muss Gundobad obschon ungern nachgeben. Eptadius
wird dann einstimmig gewählt von den Geistlichen der Diöcese,
dem Adel, der übrigen städtischen und ländlichen Bevölke-
rung: alle sind der Ansicht, Eptadius sei der würdigste Bi-
schof*). Dass diese Wahl in einer Versammlung geschah,
ist wahrscheinlich , da ja eben die Gemeinde wählt. Wir
finden hier allerdings, dass Chlodovech in beiden Fällen den
Candidaten zum Bisthum der wählenden Gemeinde vorschlägt,
erst dann erfolgt die Wahl. Ohne Zweifel aber ist die Wahl
das eigentHch Entscheidende : die Gemeinde kann gewiss auch
selbständig sich den Bischof wählen, ohne dass der König vor-
schlägt 2). Wird aber ein Bisthum neu gegründet, so ist von
einer Mitwirkung der Gemeinde nicht die Hede, sie soll sich
erst bilden. Ihre Stelle vertritt der Metropolitanbischof. So
hat Reraigius von Hheims Vedast zum Bischof von Arras ge-
macht: freilich war er ihm von Chlodovech empfohlen, doch,
soviel wir sehen, nicht in der Absicht, dass er Bischof wer-
den sollte 3). Wir dürfen also wohl behaupten , dass der
•) V. Eptadü, Bouqiiet III, 380 : . . . a rege Gundobaldo . . . Clo-
doveus suppliciter exoravit . ut . . Eptadium civitatis suae Autissiodo-
rensis praestaret antistitem ordinandum. Cui petitioni vel electioni prae-
dicti regis ita restitit voluntas otFensa, tamquam sibi maximas vires de-
posceret possidendas. Tarnen, . . ut petebat, negare non potuit. Qui
recepta promissione audoritutis statim eligitur consensu univeisitatis
cleri et populorum , nan) clericorum chorus cunctaque nobilitas et plebs
urbana vel rustica in unam venere sententiam Eptadium dignissimum
esse episcopum. — Aehnlich wird V. Saccrdotis (Bouquet III, 382) Sacer-
dos Bischof von Limoges „electionc cleri et favore populi , Francorum
rege, seniore eiusdem provinciae, etiam collaudante." Doch hat die
Quelle geringe Glaubwürdigkeit.
'^) Ob uaan hierfür die Ordination des Bischofs Licinius von Tours
(Gr. II, 39) anführen darf, ist zweifelhaft: er scheint erhoben zu sein,
bevor Chlodovech den westgothischen Krieg begann.
^) V. VedasU, Bouquet III, 372 : Cumque iam celeberrima fama in
praefata urbe Remorum esset (Vedastus) , . . . . fuit tandem (Remigius)
las
König rechtlich keinen Einfluss auf die Besetzung der Bis-
thümer hatte , doch beginnt unter Chlodovech ein solches
Recht sich auszubilden. Aus jenem Antheil, welchen der
König sich an der Besetzung faktisch dadurch verschaffte,
dass er einen Candidaten vorschlug, konnte leicht ein Ernen-
nungsrecht sich entwickeln, wie dies auch der Fall gewesen
ist. Das Recht, auch die Bischöfe zu bestätigen, haben spä-
tere Könige in Anspruch genommen ') : es scheint auch Chlo-
dovech zugestanden zu haben. Die Geistlichkeit erfreut sich
also in ihrer Sphäre wohl grosser Unabhängigkeit, doch bleibt
Raum für Einfluss des Königs.
Dies zeigt sich namentlich auch bei der Kirchenversamm-
lung zu Orleans, welche im letzten Jahre von Chlodovechs
Regierung 511 gehalten ist. Dies Concil erwähnt die alte Vita
Melanii. Wir erfahren hier, dass Chlodovech eine Synode 2)
von 32 Bischöfen seines Reiches nach Orleans berufen hatte,
dass die Erhaltung der reinen Lehre, die Feststellung kirchli-
cher Ordnungen Zweck der Versammlung war. Ein vollstän-
diges Protokoll über die Verhandlungen , eine besondere Vor-
rede lagen dem Verfasser der Vita vor 3). Beides ist für uns
verloren. Erhalten sind uns die Bestimmungen des Concils
selbsp). Sie sind am 10. Juli 511 von 32 Bischöfen unter-
zeichnet Chlodovech zugesandt. Zuerst unterzeichnet Cyprian,
Metropolitan 'von Bordeaux : er scheint die Leitung gehabt zu
haben ^) ; Remigius von Rheims hat nicht mit unterschrie-
ben *). Auf den reichen Inhalt der Bestimmungen des Con-
consiiii, ut Atrebatum urbis cum pontificem faceret. . . Suscepto itaque
pontificalis cathedrae onere , ad urbem Atrebatum venit. Vgl. die Be-
gründung des Bisthums Laon, V. Remigü, Bouquet III, 375 A.
') S. Edictum Chlotarii, Pardessus Dipl. I, p. 195, I.
*) Die Ausdrücke concilium und s^nodus werden beide gebraucht
ohne Unterschied.
^) Acta SS. Boll. VI lan. Bei Bouquet III, 395 ist zu früh abgebrochen.
*) Am besten Conciliorum Galliae collecüo I, p. 833 ff. ; doch
auch pei Mansi.
^) Die V, Bemigii, Bouquet III, 378 D, lässt schon vor dem west-
gothischen Kriege auf Bemigius Rath von Chlodovech das Concil berufen.
^) Cyprianus in Christi nomine episcopus ecciesiae Burdegalensis
metropolis canonum statuta nostrorum subscripsi, sub die W idus lu-
lias Feiice V. C. consule.
136
cils können wir hier im Zusammenhange nicht eingehen : es
kommt für uns darauf an, zu erkennen, welche Stelluni; der
König zum Concil hatte. Dies ergiebt sich deutlich aus dem
Briefe der versammelten Bischöfe und der kurzen Vorrede
welche den Bestimmungen des Goncils selbst vorausgeschickt
sind. Sie lauten folgendermassen :
„Ihrem Herren dem Sohne der katholischen Kirche, dem
ruhmgekrönten Könige Ghlodovech , alle Bischöfe , welche Ihr
zum Concil entboten habt.
Da in ruhmwürdigem Glauben eine solche Sorge für die
Pflege der katholischen Religion Euch bewegt , dass Ihr in
geistlichen Dingen zugewandtem Sinne Bischöfe für die Ver-
handlung dringender Angelegenheiten zur Versammlung entbo-
ten habt, so antworten wir in Gemässheit des von Euch be-
gehrten Rathes und der Vorlagen, welche Ihr gemacht habt,
mit Rechtsbestimmungen ») : so dass , wenn unsere Entschei-
dungen durch Euer Urtheil als richtige anerkannt werden,
die Zustimmung eines so mächtigen Königs und Herrn durch
höhere Autorität die Meinung so vieler Bischöfe als verbindlich
bestätige.
Da nach Gottes Willen, kraft Berufung des ruhmwürdig-
sten Königs Ghlodovech 2) , in der Stadt Orleans ein Goncil
der höchsten Geistlichen versammelt worden ist : so haben in
gemeinsamer Berathung alle beschlossen , was Sie mündlich
festgestellt, durch das Zeugnis der Schrift zu bekräftigen."
Wie Ghlodovech zur Versammlung der Bischöfe seines
Reiches gestanden hat, ergiebt sich aus dem Mitgetheilten
deutlich genug. Er hat aus königlicher Machtvollkommenheil
die Versammlung berufen , da er ihrer Mitwirkung bei der
Ordnung kirchlicher Verhältnisse bedurfte. Er hat der Ver-
sammlung bestimmte Vorlagen gemacht, worüber sie berathen,
beschlossen hat; damit aber diese Beschlüsse in Kraft treten,
bedarf es noch seiner besondern Zustimmung. Dass der König
das Recht der Berufung kirchlicher Versammlungen, der Zu-
*) So übersetze ich deßnitiones.
*) Die Worte „ex evocatione gloriosissimi regis Cblolhoveehi" feh-
len zwar in der ältesten Handschrift , doch macht das im Grunde wenig
aus fUr die Sache: denn dass Ghlodovech das Concil berufen, steht aus
dem Briefe und der V. Melanii fest.
137
Stimmung zu ihren Beschlüssen für sich in Anspruch genommen
hat , ist von grosser Wichtigkeit. Diese Versammlungen haben
in der Folge im fränkischen Reiche eine grosse Bedeutung er-
langt: nicht allein rein geistliche Angelegenheiten sind hier
berathen, beschlossen, sondern auch weltliche haben hier ihre
Erledigung gefunden.
So stehen Geistlichkeit und Königthum einander in Ghlo-
dovechs Zeit in achtunggebietender Stellung gegenüber. Die
Geistlichkeit bewahrt sich ihre besondere Organisation, eigene
Gerichtsbarkeit in geistlichen Dingen, sie gewinnt in kirchli-
chen Versammlungen vereinigt Antheil an den Reichsangelegen-
heiten, sie kann dem Königthum gegenüber um so freier auf-
treten, da das höchste geistliche Amt, das Bisthum, nicht
durch königliche Uebertragung allein erlangt ward; das König-
thum dagegen nimmt Einfluss auf die Besetzung der geistlichen
Aemter, das Recht, kirchliche Versammlungen zu berufen und
zu leiten, in Anspruch.
Es ist ausserdem für die Stellung der Geistlichkeit von
Bedeutung, dass sie von Privaten wie vom Königö reiche
Schenkungen empfangen hat. Sie erlangte so die materiellen
Mittel , um ihren Pflichten der Armen- und Krankenpflege , um
den Bedürfnissen des Gultus in höherem Masse genügen zu
können. Dass solche Schenkungen schon in Ghlodovechs Zeit
nichts Seltenes waren, sehen wir aus einer beschränkenden
Bestimmung des Goncils von Orleans *>). Noch grössere Wich-
tigkeit erlangen solche vom Könige gemachte Schenkungen,
wenn sie in Land bestehen, welches mit besondern Rechten
ausgestattet ist. Es ist uns eine Urkunde über eine solche
Schenkung erhallen 2). Der König schenkt dem bejahrten
Presbyter Euspicius und seinem Schüler Maximinus Miciacum,
damit sie hier einem ruhigen frommen Leben sich hingeben
können. Unter feierlichen Formen wird beiden Miciacum nebst
den Einkünften der könighchen Kasse mit dem ganzen Lande
zwischen Loire und Loiret zum festen Besitze übertragen.
•') S. oben p. 132 n. 5.
^) Pardessus Dipl. I, 57. Die Urkunde ist gewiss echt. Sie ist in
BriefforiS gehalten , die späteren feierlichen Formen haben sich offenbar
noch nicht ausgebildet. Vgl. V. Maximini bei Bouquet III , p. 394.
ii
138
Dieser Besitz soll frei sein von Grundsteuer und Abgaben inner-
halb und ausserhalb der beiden Flüsse, dazu schenkt der König
den Holzbestand an Eichen, an Weiden, das Recht, auf beiden
Flüssen Mühlen anzulegen. Solche Schenkungen hat offenbar
eine Bestimmung des Concils von Orleans im Auge, wo von
Ländereien die Rede ist, welche der König den Kirchen über-
tragen habe mit Einräumung von Immunität für das Land
selbst oder für die Geistlichen'^). Unser Diplom wendet diesen
Ausdruck nicht an ; doch wissen wir aus dem Sprachgebrauch
späterer Zeiten, dass Rechte, wie die dort verliehenen, unter dem
Namen der Immunität zusammengefasst wurden. Jene Rechte
haben zunächst finanzielle Bedeutung : die Verleihung geschieht
in der Weise, dass entweder Befreiung von bestimmten Lei-
stungen, oder die Wahrnehmung gewisser finanzieller, dem
Könige zustehender Rechte in einem gewissen Gebiete eintritt.
Beides ist in unserm Diplom vereinigt. Noch nicht verliehen
ist hier die Gerichtsbarkeit, welche man ebenfalls als finan-
zielles Recht auffasste. Solche Verleihungen sind später auch
Weltlichen zu Theü geworden, ob schon in Ghlodovechs Zeit,
wissen wir nicht. Sie haben durch Beschränkung wesentlicher
Hoheitsrechte des Königs zu Gunsten Einzelner, zur Schwä-
chung des merovingischen Königthumes, zur Ausbildung einer
mächtigen Aristokratie geführt. In ihr nehmen Geistliche,
namentlich die Bischöfe, einen bedeutenden Platz ein. Auch
hierfür finden wir schon die Anfänge in Ghlodovechs Zeit; in
ihr sind überhaupt die Anfänge der spätem Ordnungen des
fränkischen Reiches zu suchen, deren allmähliches Werden
wir nicht immer klar erkennen können.
•) Canon V : de oblationibus vel agris , quos dornnus noster rex
ecciesüs suo iminere conferre dignatus est, vel adhuc non habentibus
Deo inspirante coiituicrit, ipsorum agrorum vel clericorum immunilate
concessa.
Anhang.
V
Der Bericht der Gesta findet sich c. 6. 7.
Was über Ghilderichs Vertreibung berichtet wird, stimmt
mit Gregor. Mit seinem treuen Freunde und Rathgeber Wio-
mad beräth sich Ghüderich, wie er die Gemüther der aufge-
brachten Franken besänftigen könne. Dieselben Verabredun-
gen werden getrofl*en, wie bei Gregor. So geht Ghüderich
davon ins Thoringerland. Unterdes herrscht Aegidius von den
Franken zum König erhoben. Im achten Jahre seiner Herr-
schaft stellt sich Wiomad, auch Aegidius Rathgeber, als wolle
er diesem in Freundschaft sich verbinden; er räth ihm, einige
Franken listig aus dem Wege zu schaffen. Aegidius folgt dem
Rathe, er strebt jene Franken durch List zu beseitigen. Von
Zorn und Furcht bewegt, bitten die Franken Wlomad um Rath,
was zu thun sei. Wiomad stellt ihnen vor, wie unklug sie
den eignen König vertrieben, den Römer zum König erhoben.
Die Franken bereuen das Geschehene. Sie wünschen Ghilde-
richs Regierung zurück. Da sendet Wiomad diesem das halbe
Goldstück, er fordert ihn auf, zurückzukehren. Während Ghüde-
rich im Thoringerlande gewesen ist, hat er mit der Basina Ehe-
bruch getrieben; sie folgt ihm, als er aus dem Thoringerlande
zurückgekehrt von den Franken, die Aegidius wieder entthro-
nen, in sein Reich eingesetzt ist. Sie wird dann, wie bei Gre-
gor, Ghilderichs Gemahhn und gebiert ihm den Ghlodovech.
Dieser war ein König, gross über allen Frankenkönigen, ein
kriegslustiger und ausgezeichneter Kämpfer.
i'l
'I
140
Die Bist. epit. c. 11. 12 hat Folgendes: ♦
Die Vertreibung wird auch hier wie bei Gregor erzählt.
Wioniad, der einzige Franke, welcher Ghilderich. die Treue be-
wahrt, hat ihn schon mit seiner Mutter einmal den Händen der
Hünen entrissen. Jetzt warnt er ihn bei Zeiten, er veranlasst
ihn zur Flucht nach dem Thoringerlande. Er trifft die be-
kannte Verabredung; muss Ghilderich seinen Aufenthaltsort
verlassen, so soll er es dem Wiomad anzeigen. So flieht Ghil-
derich nach dem Thoringerlande. Die Franken wählen ein-
stimmig den Aegidius zum Könige. Von ihm zum Unterkönige
eingesetzt, veranlasst Wiomad ihn , die Franken , deren Ueber-
muth gebrochen werden müsse, höher und höher zu besteu-
ern . in der Hoffnung ihnen das römische Regiment unerträg-
lich zu machen. Doch auch so noch gefällt den Franken die
römische Herrschaft besser als Childerichs Ausschweifung. Da
stellt Wiomad dem Aegidius vor, der aufrührische Trotz der
Franken müsse gebeugt werden durch Hinrichtungen. Er sen-
det ihm 100 nichtsnutzige und untaughche Franken zu, und
Aegidius lässt- sie töten. Jetzt wünschen die Franken Ghjlde-
richs Rückkehr; sie hoffen durch ihn Befreiung vom römischen
Drucke. Wiomad meldet dem Aegjdius, jetzt endlich sei das
Frankenvolk gebändigt. Er denkt nun auf Childerichs Rück-
kehr. Zugleich sucht er gegen Aegidius den Zorn des oströ-
mischen Kaisers Mauricius zu wecken. Bei ihm ist Ghilderich
jetzt in Gonstantinopel *); Wiomad hat dies erfahren. Er ver-
anlasst Aegidius vom römischen Kaiser eine grosse Summe zu
fordern: sie soll dazu dienen, die benachbarten Völker durch
Geschenke zur Unterwerfung zu bringen. Er weiss dann selbst
einen treuen Boten zugleich mit Aegidius Gesandten nach Gon-
stantinopel zu schicken. Dieser überbringt Ghilderich die
Hälfte des Goldstückes und den Auftrag, das Verlangen des
Aegidius , noch bevor seine Gesandten beim Kaiser vorge-
lassen seien , diesem so darzustellen , als verlange der dem
öffentlichen Schatze Steuerpflichtige Steuern vom Kaiser. Die
List geHngt. Mauricius lässt die Gesandten ins Gefängnis wer-
141
fen und sendet Ghilderich auf sein Anerbieten als Rächer mit
vielen Geschenken und einer Flotte nach Gallien. In Bar
trifft Wiomad mit Ghilderich zusammen; zuerst erkennt diesen
jene Stadt, dann das gesammte Frankenvolk als König wie-
der an; er kämpft mit Aegidius und den Römern glücklich.
Auf die Kunde von Ghilderichs Rückkehr und Wiederein-
setzung kommt dann Basina aus dem Thoringedande, sie wird
Ghilderichs Weib. In der auf ihr Geheiss keusch verlebten
Hochzeitsnacht trägt Bedeutsames sich zu. Als Ghilderich auf
Basinas Bitte dreimal hintereinander auf den Hof des Pallastes
tritt, sieht er zum erstenmal einen Löwen, ein Einhorn, einen
Leoparden auf und abgehen, zum zweitenmal einen Bären
und einen Wolf, zum drittenmal Hunde und andere kleinere
Thiere im Kampfe. Er erzählt Basina das Geschehene, sie
halten sich keusch bis zum folgenden Tage. Als sie aufstehen
deutet ihm Basina das Geschehene als ein Bild der rasch ab-
nehmenden Tapferkeit und Kraft des Geschlechtes, welches
ihrer Ehe entspriessen soll. Ein Sohn wird ihnen geboren
werden, tapfer wie ein Löwe»); dessen Söhne werden- die
Tapferkeit des Leoparden und Einhorns besitzen; dann wird
eine Generation kommen an Tapferkeit und Gefrässigkeit Bä-
ren und Wölfen gleich; die letzten werdf^n Hunden und klei-
neren Thieren gleichen; da werden die Völker nicht mehr dem
Herrscher gehorchen und sich gegenseitig befehden. Basina
gebiert dem Ghilderich einen Sohn mit Nam'en Ghlodovech;
dieser war gewaltig und ein tüchtiger Kämpfer , einem Löwen
gleich , der tapferste unter allen Königen.
1.
Bouquet hat den Brief des Remigius (bei Bouquet IV, p.
51 E. , Gonciliorum Galliae . . collectio Parisiis 1789. T. 1,
p. 827) vor dem Beginn des Krieges mit den Westgothen
gesetzt ; ebenso die Ausgabe der Goncilien. Hiergegen
spricht Alles : denn der Brief ist offenbar an einen jungen,
eben zur Regierung gekommenen Fürsten gerichtet, er ent-
') Beraerkenswerth fjr die burgundische Quelle ist die Rücitsicht
auf oströmische Verhältnisse. Mauricius ist übrigens 130 Jahre zu früh
angesetzt. *
») Nascetur nobis filius leonis fortitud.ne Signum et instar te-
nens. Leonis ist wohl durch ein Versehen ausgefallen.
142
hält gute Lehren für den in den Pflichten des Regenten
noch Unerfahrenen. Dies hat zuletzt P^tigny richtig hervorge-
hoben *). Er setzt den Brief daher in die ersten Zeiten von
Chlodovechs Regierung. Doch, dass dann unmöglich die Bi-
schöfe des nördlichen Galliens als „sacerdotes tui", d. h. des
Chlodovecb, welcher noch dem heidnischen Glauben anhängt,
bezeichnet werden können , leuchtet ein 2). Ist der Brief an
Chlodovecb geschrieben, so kann er nicht vor dem Ende des
Jahres 496 geschrieben sein : doch da war Chlodovecb nicht
mehr jung und unerfahren im Regieren. ,,manet vobis re-
gnum administrandum et Deo auspice procurandum. Populo-
rum Caput estis et regimen sustinetis. Acerbitate ne te vi-
deant in luctu affici, qui per te felicia videre consueverunt",
schreibt Remigius um diese Zeit 3). Die Vermulhung, dass der
Brief nicht an Chlodovecb, sondern an einen seiner Söhne, de-
ren Regierungsantritt Remigius erlebte, gerichtet sei, liegt nahe;
so fallen alle Bedenken weg. In der Ueberschrift des Briefes
kann leicht ein Fehler besannen sein.
Wir können daher für Chlodovechs Regierungszeit aus dem
Inhalt des Briefes keine Schlüsse ziehen. Die Worte, auf wel-
che gestützt, man für Chlodovecb das Amt des magister
militum in Anspruch genommen hat: „Rumor ad nos pervenit,
administrationem vos secundum rei bellicae suscepisse'' sind
zudem gewiss nicht ohne Verderbnis *) überliefert. Die Worte
„administratio rei beUicae" gestatten auch eine weitere Bezie-
hung als auf das römische Amt; auch sieht man nicht ein, wes-
halb die geläufige Bezeichnung umgangen sein sollte.
2.
Für die Echtheit der von Pardessus Diplomata I, p. 30 AT.
') P6tigny II, 362 ff.
2) Hierauf macht Waitz Yfg. II, 43 n. 1 aurmerksam. Auch die
Worte: „hoc in primis agenüum, ut Domini Judicium a te non vacillet"
können doch schwerlich an den heidnischen König gerichtet sein.
3) Bouquet IV, 51 C.
'*) Das secundum findet keine Beziehung. Mit der Emendation
seeundam ist wenig geholfen.
143
mitgetheilten Urkunde ist lebhaft gestritten worden, doch wird
man sich von derselben schwerlich überzeugen können. Ver-
gleichen wir das Diplom mit dem I, 57 mitgetheilten, über
dessen Echtheit keine Zweifel bestehen , so treten bedeutende
Abweichungen hervor. Während dieses in Briefform gehalten
ist, zeigt jenes die späterhin stehend gewordene Art der Aus-
Stellung mit feierlichem Eingang und Schluss , mit dem übli-
chen Uebergange zur Sache selbst: „quapropter notum sit etc.",
überhaupt ist beim Diplom I, 30 eine gewisse Feierlichkeit ge-
sucht, während beim Diplom I, 57 das Ganze einfach gehalten ist.
Auch das deutet dort auf spätere Zeit. Befremdend ist es auch,
dass der Aussteller sich den Titel „Celsitudo^' beilegt.— Was .den
Inhalt der Verleihung anlangt, so wird dem Johannes von Reo-
maus für den übertragenen Besitz die Gerichtsbarkeit mit verlie-
hen: bei der Schenkung an Euspicius und Maximin ist dieselbe
ausgenommen. — Doch noch mehr Bedenken erregen die Ver-
hältnisse, deren Bestehen die Urkunde voraussetzt. So deutet
die Aufzählung der hohen geistlichen und welllichen Beamten in
bestimmter Reihenfolge auf das Vorhandensein einer Aristokra-
tie, wPe wir sie für Chlodovechs Zeit schwerhch annehmen
dürfen. Dass Commendalion und Vasallilät in Chlodovechs
Zeit noch nicht bestanden, ist anerkannt: hier sind die Aus-
drücke „commendare, mundiburdium" in einer Weise gebraucht,
welche ohne bestimmte rechtliche Ausbildung jener Verhält-
nisse undenkbar ist. Commendalion und Landverleihung sind
hier schon verbunden, denn aus der Stelle „quia . . . habeat"
geht es deutlich hervor , dass Johannes sein Kloster in könig-
lichen Schutz gestellt hat , in der Absicht mit besondern Vor-
rechten ausgestatteten Grundbesitz für dasselbe zu erlangen.
Br^quigny hält das Diplom im Ganzen für echt, doch giebt
er zu, bestimmte Formeln seien von Abschreiberhand umgestaltet.
Das ist in der Thal nur ein Nolhbehelf; wir müssen das Di-
plom für Fälschung einer spätem Zeit halten, welche sich eben
durch die als bestehend vorausgesetzten Verhältnisse verräth.
Historische Schlüsse und Combinalionen können wir also auf
das Diplom im Ganzen und namentlich auf die Datirung „primo
nostrae susceplae christianitatis atque subiugationis Gallorum
anno'^ nicht bauen.
144
4.
Die Hist. epil. giebt c. 17 — 20 den Bericht über die Ver-
inählung. Hier folgt der Inhalt im Auszuge.
Die Verhältnisse in Burgund werden nach Gregor erzählt,
nur hatGundobad auch Ghilperichs zwei Söhne ermordet, die
ältere der beiden Töchter heisst Sädeleuba, auch hier ist sie ins
Kloster gegangen; verbannt sind die beiden Mädchen nicht. —
Ghlodovech wirbt durch viele Gesandtschaften im Burgunder
land um Ghrotechildis. Da die Gesandten sie nicht sehen
dürfen, sendet Ghlodovech einen Römer Aurelian allein ab.
Als Bettler verkleidet kommt dieser nach Genf, wo Ghro-
techildis mit ihrer Schwester verweilt; die Schwestern üben
gegen ihn christliches Mitleid, Ghrotechildis wäscht ihm die
Füsse. Da bringt Aurchan heimlich Ghlodovechs Werbung
an, übergiebt Ghlodovechs Ring. Ghrotechildis nimmt ihn
erfreut an. Sie entlässt Aurehan reich beschenkt mit ihrem
Ringe. Wolle Ghlodovech sie zum Weibe , so möge er sofort
durch Gesandte bei ihrem Oheim Gundobad werben lassen;
doch sollen die Gesandtön eilen, die Verlobung zu vollziehen,
damit nicht durch die Ankunft des Aridius von Gonstanti-
linopel Alles vereitelt werde. Aurelian kehrt als Bettler zu-
rück, schon hat er Orleans, seine Heimath, beinahe erreicht,
^ da muss er noch die Gefahren seiner Verkleidung erfahren,
sein Ranzen, in welchem er Ghrotechildens Geschenk und ih-
ren Ring mit sich führt, wird ihm gestohlen, doch durch aus-
gesandte Diener dem Diebe wieder abgenommen. Aurelian er-
zählt dem Ghlodovech den Erfolg seiner Sendung und Ghro-
techildens Vorschlag. — Ghlodovech sendet nun Gesandle zum
burgundischen Hofe und bittet den Gundobad um die Hand
seiner Nichte. Gundobad stimmt zu. Die Gesandten erwerben
nach alter Sitte durch Kauf und Verlobung ihrem Herrn die
Braut, zu Ghalons an der Saone wird die Braut den Gesandten
übergeben, die Ghlodovech vertreten. - Schnell heben die
Franken die von Gundobad ihnen, übergebene Königstochter
auf einen Wagen, sie fuhren sie und ihre Schätze dem Ghlo-
dovech zu. Da Ghrotechildis Aridius Rückkehr fürchtet, treibt
sie zur Eile, sie begehrt auf ein Pferd gesetzt zu werden, dies
geschieht, so eilen sie zum Ghlodovech. Als Aridius, in schnel-
145
lern Laufe von Gonstantinopel zurückgekehrt, vom Gundobad
das Geschehene hört, warnt er seinen König; durch die Ver-
mählung sei die Verpflichtung zur Blutrache an Ghlodovech
gekommen; habe Ghlodovech die Macht, so werde er das den
Verwandten zugefügte Leid rächen. Er räth, ein Heer nachzusen-
den, um Ghrotechildis zurückzuhalten. Gundobad folgt diesem
Rathe. Als Ghrotechildis Villariacum, dem Sitze Ghlodovechs
im Gebiete von Troyes, sich nähert, bittet sie, noch bevor die
burgundische Gränze überschritten ist, ihre Begleiter, zwölf Mei-
len weil nach beiden Seiten hin das Burgunderland zu plün-
dern und durch Feuer zu verwüsten. Dies geschieht mit Ghlo-
dovechs Erlaubnis, und Ghrotechildis dankt Gott, dass sie den
Anfang der Rache für ihre Eltern und Brüder sehe. — Dar-
auf wird sie zum Ghlodovech geführt, welcher sie froh als Gat-
tin aufnimmt; schon hat er einen Sohn von einem Kebsweibe
mit Namen Theuderich.
Der Bericht ist, abgesehen von dem poetischen Werlhe,
interessant für die Sitte der Zeit, aus welcher er stammt. Die
Königstöchter selbst üben hier, wie auch im Berichte der Ge-
sta, Werke der christlichen Barmherzigkeil. — Der Akt der
Vermählung , dessen rechtliche Seite hier besonders hervorge-
hoben ist, lässt sich genau verfolgen. Man kann vier Momente
unterscheiden: 1. Freiwerbung Aurelians für Ghlodovech, 2.
Werbung beim Gundobad und Kauf, 3. Verlobung, 4. Uebergabe
der Verlobten an die Stellvertreter ihres Verlobten. Der Kauf
geschieht nach fränkischer Sitte durch Zahlung der symboli-
schen Kaufsumme von einem Sohdus und einem Denar. Die
vier unterschiedenen Momente liegen für gewöhnhch auch der
Zeit nach auseinander; dass hier Kauf, Verlobung und Ueber-
gabe der Braut sich so rasch folgen, erklärt sich aus der Eile,
welche den Gesandten erwünscht sein muss. Deshalb erbit-
ten sie von Gundobad ein „placitum ad praesens, ut ipsam
ad conjugium traderet Ghlodoveo" d. h. sie bitten um einen
augenblickhchen Termin der UebergRbe. Als Gundobad den
augenblickhchen Termin zugesteht, werden in Ghalons an der
Saone hochzeilhche FeierHchkeiten zubereitet. Hier erfolgt die
Uebergabe, wie es scheint, auf einer Versammlung *).
'} Cblüdoveus legatos ad Gundobadum dirigit, peteos, ut Chrote-
10
nili^iifi
^yiH
146
147
Die Gesta enthalten c. 1 1 - 14 init. die entsprechende Dar-
stellung :
Die Vorgänge in Burgund, welche vor der Vermählung
liegen, sind im Anschluss an Gregor erzählt; nur ist abwei-
chend von ihm die ältere Schwester verbannt, die jüngere wird
zu Hause gehalten. — Ghlodovechs Gesandten gelingt es, die
Chrothildis zu sehen. Chlodovech sendet dann seinen Ge-
sandten Aurelian, ein Römer wird er hier nicht genannt, nach
dem Burgunderlande. Eines Sonntags verkleidet sich Aurelian
im Walde als Bettler. Als die fromme Chrothildis nach be-
endeter Messe den vor der Thür der Kirche versammelten Ar-
men Almosen spendet,* empfän,^t Aurehan von ihr ein Gold-
stück. Da er ihr die Hand küsst und unbemerkt sie am Ge-
wände zupft, erlangt er Zutritt bei ihr. Er bringt seine Wer-
bung an, will den Ring und die Brautgeschenke Ghlodovechs
übergeben, allein sein Bettlersack, den er draussen vor der
Thüre abgelegt , ist gestohlen ; da indes Chrothildis selbst
nachfragt, wird er zurückgegeben.' Sie empfängt den bräutli-
chen Schmuck, den Ring des Chlodovech und legt ihn in den
Schatz ihres Oheims. Chlodovech lässt sie melden, als Chri-
stin dürfe sie den Heiden nicht ehehchen; das solle Niemand
wissen, doch vertraut sie auf Gott. So kehrt Aurelian zurück
und njeldet das Geschehene. — Im folgenden Jahre sendet
Cblodo\ech den Aurelian als Gesandten zum Gundobad und
begehrt seine Verlobte Chrothildis. Gundobad fürchtet ei-
nen listigen Anschlag Ghlodovechs, der seine Nichte nie ken-
nen gelernt habe. Kr sucht Aurelian schnell abzufertigen, doch
dieser droht, Chlodovech werde mit Waffengewalt sein Anrecht
an seine Verlobte geltend machen. Gundobad ist bereit, es
auf einen Krieg ankommen zu lassen; da treten vermittelnd
childem neptem snam ei in coniugium sociandam traderet .... legati of-
ferentes solidum et denarium , ut mos erat Francoruin , eam partibus
Cblodovei sponsaiit: placitum ad praesens petentes, ut ipsam ad coniu-
gium traderet Chlodoveo. Nulla stante mora inito placito Cabillono, nup-
tiae praeparantur. Schon vorher in Ghrotechildens Antwort wird die
rechtliche Seile hervorgehoben: — obtenta a(J praesens firmitate, placitum
sub celeritate instituant. Vgl. Waitz Vfg. l 199 und das alte Recht
p. 115
die Räthe des burgundischen Königs dazwischen, sie wollen
unnützen Krieg mit dem gefährUchen Feinde vermeiden. Auf
ihre Veranlassung wird im königlichen Schatze nachgesehen,
es findet sich Ghlodovechs Ring. Hierüber befragt, giebt Chro-
thildis Auskunft. So wird sie Aurelian übergeben — und
von diesem und seinen Genossen nach Soissons zum Franken-
könige geführt. — Chlodovech erhebt sie mit Freuden zu sei-
ner Gemahlin. Spät am Tage, bevor sie das eheliche Lager
besteigen, verlangt Chrothildis die Erfüllung zweier Bitten
von Chlodovech: er soll vom Heidenthume zum katholischen
Glauben sich bekehren und des Leides gedenken, welches ih-
ren Eltern vom Gundobad zugefügt ist. Das zweite verspricht
Chlodovech; seine Götter kann er nicht verlassen. — Chlodo-
vech verlangt dann durch seinen Gesandten Aurelian vom Gun-
dobad Chrothildens väterliches Erbtheil. Auch hier droht zu-
erst Gundobad Aurehan, der nur gekommen sei, um das bur-
gundische Land auszukundschaften, den Tod. Doch Aurelian be-
ruft sich auf Chlodovech und seine tapfern Franken, Wieder
wird durch die burgundischen Räthe der Bruch vermieden;
Gundobad muss den grössten Theil seines Schatzes an Chlodo-
vech abtreten: nun fehle nur noch, dass er auch sein Reich
mit Chlodovech theile. — So kehrt Aurelian heim, wegen sei-
ner Treue bewundert von den weisen burgundischen Räthen.
Von Chlodovech wird er mit dem Herzogthum Melun belohnt.
Schon hatte Chlodovech einen Sohn von einem Kebsweibe mit
Namen Theuderich.
5.
Gregor ist für die Taufe im Vergleich mit den andern
Quellen durchaus Hauptquelle. Die Gesta c. 15 geben nichts
Neues, sie reden nur hie und da etwas um. Abweichendes
von Gregor enthält die Hist. epit. c. 21, doch hat dies .keinen
bedeutenden W^erth. Dem gegenüber kommen die legendenhaf-
ten üeberlieferungen in Betracht, welche Hinkmar V. Remigii,
Bouquet Bd. 111 , 374 ff. giebL Sie beruhen nicht auf der alten
V. Remigii, die wahrscheinlich Gregor benutzte ; die legenden-
hafte Tradition hatte sich damals unmogUch schon so ausbilden
können. Die Erzählung vom nächtlichen Gebete des Bischofs
148
mit dem Könige und der Königin 376 A-E, von Chlodovechs
Benehmen auf dem Wege zur Kirche, die Legende von der hei-
ligen Ampulla hat Hinkmar gewiss aus der Tradition genom-
• men, welche in Rheims später entstanden ist. Anderes konnte
Hinkmar nach der Silte seiner Zeit ausführen, z. B. die Unter-
weisung von Volk und König vor der Taufe. Im Ganzen
schHesst er sich , abgesehen von den bezeichneten Zusät-
zen, ziemlich genau an die Gesta an, p. 374 E — 377 B; die
ganze Fassung ist eine ähnliche, nur die Latinität verbes-
sert. Bei 377 B : procedit — praeceptis liegt Gregor offenbar
• zu Grunde. Diese Vita hat also keinen Anspruch darauf, als
selbständige Quelle zu gelten.
Auch der Beweis, welchen die Hisl. epit. c. 21 von Chlo-
dovechs Glauben anführt , hat schon ganz legendenhaften
Charakter.
7.
Isidori Historia Wisigothorum, in Isidori opp. rec.
Faustinus Arevalus Romae 1803. T. VIl, p. 119, auch bei
Bouquet II , 702.
Era DXXI. ») ann. X. imperii Zenonis. Eurico mortuo Ala-
ricus filius eins apud Tolosenam urbem princeps Gothorum
constituitur regnans ann. XXlIl. Adversus quem Fluduius
Francorum princeps Galliae regnum atfeclans, Burgundionibus
sibi auxiliantibus bellum movet, fusisque Gothorum copiis, ip-
sum postremo regem apud Pictavium superatum interficit.
Theudericus autem Italiae rex, dura interitum generi compe-
risset, confestim ab Italia proficrscitur, Francos proterit, partem
regni , quam manus hostium occupaverat , recepit Gothorum-
que iuri reslituit.
I Era DXLV. ann. XVII. imperii Anastasii Gisaleicus superio-
ris regis filius ex concubina creatus Narbonae princeps effici-
tur, regnans annis quatuor, sicut genere vilissimus, ita infeli-
citate et ignavia summus. Denique dum eadem civitas a Gun-
debado Burgundionum rege direpta fuisset, iste cum magna
») Die spanische Aera geht der christlichen um 38 Jahre voraus.
149
suorum clade apud Barcinonam se contuht, ibique moFatus,
quousque etiam regni fascibus a Theuderico fugere ignominia
privaretur. Inde profectus ad Africam, Wandalorum suffragium
poscit, quo in regnum posset restitui. Qui dum non impe-
trasset auxilium, mox de Africa rediens ob metum Theuderici
Aquitaniam petiit, ibique anno uno delitescens, in Hispaniam
revertitur, atque a Theuderici regis duce duodecimo a Barci-
nona urbe mihario commisso proeho superatus in fugam ver-
litur, captusque trans fluvium Druentium Galliarum interiit,
sicque prius honorem postea vitam amisit.
Era DXLIX. ann. XXI. imperii Anastasii Theudericus iunior
. . . rursus extincto Gisaleico rege Gothorum Hispaniae regnum
quindecim annis obtinuit , quod superstes Amalarico nepoti
suo reliquit.
Chronologia et series regum Gothorum, Bouquet
11 , 704.
Alaricus filius eins (Eurici) regnavit annis XXIII. Quem
Clodoveus rex Francorum apud Pictavem hello interfecit. Ob
cuius vindictam Theodoricus socer eins , Italiae rex , Francos
prostravit et regnum Gothis integrum restituit sub imperatore
Athanasio **).
Gesalaicus Alarici filius regnavit annis IV. Iste a Gunde-
baldo Burgundionum rege Narbona superatus ad Barcilonam
fugit. Inde ad Africam ad Wandalos pro auxilio perrexit et
non impetravit. Inde reversus apud Barcilonam a duce Theu-
derici Italiae regis est interfectus sub imperatore Athanasio.
Theudericus supradictus occiso Gesalaico regnum Gothorum
tenuit annis XV et superstiti nepoti suo Amalarico reliquit.
Jordanis de rebus Geticis c. 58: non minus tro-
phaeum (Theodoricus) de Francis per Hibbam suum comitera
in Galha acquisivit , plus XXX millibus Francorum in praelio
caesis. Nam et Thiodem suum armigerum post mortem Alarici
genejy tutorem in Hispaniae regno Amalarici nepotis constituit.
Zusätze zu Victor Tunnunensis, Roncallius II, 3^,
unkritisch bei Schottus Hispania illustrata IV, 136.
[Ind. XV, 507] ») Venantio et Celere coss.
His diebus pugna Gothorum et Francorum Boglodoreta.
<*) leg. Anastasio.
')' Indiclion und Jahr nach Christus sind hinzugeHigt.
150
Alaricus rex in proelio a Francis interfectus est. Begnum
Tolosanum destructum est.
[Ind. UI, 510] Boetio V. C. cos.
His coss. Gesalecus Goericurn Barcinone in palatio inter-
fecit : quo anno idem Gesalecus ab Helbane *) Theodorici Italiae
regis duce i\b Hispania fugatus Africam petit. Gomes vero
Veilici Barcinone occiditur ').
[Ind. VI, 513] Probo V. G. cos.
Post Marrium 2) Theodoricus Italiao rex Gothorum regit in
Hispania annos XV, Amalarici parvuli tutelam gerens.
Cassiodori Ghronicon, Roncallius II, 236.
[Ind. 1 , 508] Venantius iunior et Geler.
His coss. contra Francos a D. N. destinatur exercitus, qui
Gallias Francorum depraedatione confusas, victis hostibus ac
fugatis, suo adquisivit imperio.
Marii Aventicensis Ghronicon, ßoncaillus II, 405.
[Ind. II, 509] Importuno.
Hoc cos. Mammo dux Gothorum partem Galliae deprae-
davit.
1) Vor d. 24. Juni 50S. I, 24 an alle Gotlien.
*
2) bald nach dem Einmarsch in d. Provence 508. III, 38 imVandil
(„ipsa initia bene plantare debent nostri nominis faraam").
bald nach dem Einmarsch in d. Provence 508. III, 43 an Unigis
(„cum . . Galhas noster exercitus intraverit").
bald nach d. Siege 508. Ill, 16 an Gemellus („Galliae nobis . .
subjugatae").
bald nach d. Siege 508. III, 17 an alle Provinzialen (gleichzei-
tig mit III, 16).
nach dem Siege 508. IV, 17 an Ibas („gloriosum in bello-
rum certamine").
nach dem Siege 508. III, 41 an Gemellus (später als III, 16.
* 17).
nach dem Siege 508. III, 42 an die Provinzialen (später als
lU, 41).
•) leg Hebbane, s. p. 88, n. 3.
•) Die W^orte comes - occidit haben nur Scaliger und Basnagius.
^) Scaliger und Basnagius lesen mit Recht post Alaricum, *
151
nach dem Siege 508. IH, 34 an die Marseiller („ad ordinatio-
nem, defensionem" wird Maraba-
dus gesandt).
nach 508. V, 10 an die Gepiden ( „pro defensione
generali custodiae causa" abge-
^ sandt).
nach 508. V, 11 an dieselben (später als V, 10).
Die Briefe III, 34. V, 10, 11 gehören in die Zeit schon be-
festigter Herrschaft, die übrigen sind früher. Ob 11,8. V, 13
hieher »ehören, ist ungewiss.
3) nicht lange vor 1. Sept. 509. IV, 36 an Faustus („per ind. HI.
as publicus relaxalus").
nicht lange vor 1. Sept. 510. III, 32 an Ades („per ind. IV. re-
laxata fiscalia tributa").
vorEintrittd.günsLFahrzt.510. 111,44 an Arles („cuqi tempus
navigationis arriserit" »).
nicht lange vor I. Sept. 510. UI, 40 an alle Provinzialen („per
ind. IV. relaxata tributa-
ria functio'').
«
? nicht lange vor 1. Sept. 510. IV, 26.
4) nach Gesalichs Flucht 510. V, 43.
nach Gesalichs Tod 511. V, 44 („Gesalecus quondam rex").
5) In spätere Zeit fallen: IV, 16. VUI, 10.
8.
Am Schlüsse unserer Untersuchungen wird eine kurze zu-
sammenfassende Uebersicht über die Quellen von Gregors
Nachrichten nicht unerwünscht sein.
1. Annalistischen Aufzeichnungen entnahm Gregor
die Nachrichten —
a) II, 18. 19 über Ghilderichs kriegerische Thaten.
b) II , 27 über den Krieg mit den Thoringern.
c) II, 43 über Chlodovechs Tod.
') Im Sommer ist im mittelländischen Meere westlich von Italien
ständiger Nordwind.
152
d) II, 27 über den Fall des Reiches von Soissons *).
c) II, 30 u. 37 die genaue Datirung des Krieges mil den
Alamannen und mit den Westgothen, welche eine alle
Handschrift hat (s. Bouquet II, praef. p.VIl).
2. — legendenhafter, geistlicher schriftlicher oder münd-
licher Ueberlieferung:
a) 11,31 die Erzählung von Chlodovechs Taufe. Diese
geht ohne Zweifel auf den alten Über vitüe Hemigii
zurück , welchen Gregor als zu seiner Zeit noch vor*
banden erwähnt. Vielleicht sind auch c. 29 u. 30 aus
derselben Quelle '^).
b) 11,37.38 die Nachrichten über den westgothiscten
Krieg , die Annahme consularischer Insignien durch
Chlodovech in Tx)urs. Sie beruhen wohl auf der in
Tours erhaltenen Tradition. Ausgenommen ist das
über Maxentius Berichtete.
3. — der im Munde des frankischen Volkes zu seiner
Zeit noch fortlebenden (zum Theil dichterischer)
Ueberlieferung:
a) U, 12 die Erzählung von GhilderichsVertreibung, Flucht,
Rückkehr.
b) 11, 27 die Schilderung des Märzfeldes.
c) II , 32. 33 den burgundischen Krieg.
d) 11,40.41.42 den Bericht über die Vereinigung des
ripuarisehen Reiches und der kleineren salfränkischen
Reiche mit dem Reiche Chlodovechs.
•) Ganz sicher ist dies freilich nicht: doch dass es darüber anna-
istische Aufzeichnungen gab, ist an und für sich nicht zu bezweifeln,
und wird durch die in den Gesta c. 15 erhaltenen Nachrichten bewie-
sen (s. oben p. 29).
*) Das ist deshalb wahrscheinlirh , weil c 29, 30, 31 ein in demsel-
ben Geiste geschriebenes Ganzes bilden, nämlich die Bekehrungsge-
s chic hte Chlodovechs. — Aus den Worten c. 31 : „talemque ibi gratiam
adstantibus Deus Iribuit, ut aestimarenl se paradisi odoribus collo-
cari" darf man wohl schliessen, dass der Schreiber der Vita, welche
Gregor benutzt, bei der Taufe anwesend war: er scheint demnach ein
Remigius befreundeter Geistlicher gewesen zu sein.
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